Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) steht seit Tagen in der Kritik, nachdem er Ende Januar im Bundestag zugelassen hat, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein Antrag der Union mit den Stimmen der islamfeindlichen und rechtsradikalen AfD eine Mehrheit im Parlament erreicht hat. Nur zwei Tage nach dieser ersten Abstimmung scheiterte dann allerdings der Gesetzentwurf der CDU/CSU zur Verschärfung der Migrationspolitik, obwohl die AfD sich auch diesem Vorhaben der Union anschloss.
Massendemonstrationen gegen Rechtsruck in Deutschland
Zivilgesellschaftliche Organisationen, Kirchen, Medien und weite Teile der Politik übten zum Teil scharfe Kritik an dem Tabu- und Wortbruch von Friedrich Merz. Hundertausende Menschen gingen daraufhin in ganz Deutschland auf die Straße. Die Demonstrationen richteten sich gegen einen erneuten Rechtsruck in Deutschland und gegen eine Kooperation der CDU/CSU mit der rechtsradikalen AfD, die von Teilen der FDP und dem populistischen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) unterstützt wird. Zudem verdeutlichen die Kundgebungen, dass eine gesellschaftliche Spaltung und Polarisierung dieser Tage Realität geworden ist. Überdies ist es kein Zufall, dass die Umfragewerte der CDU/CSU seit Oktober 2023 auf einen Tiefpunkt gefallen sind.
Dem Wortbruch folgt der Vertrauensbruch
Noch am 13. November letzten Jahres hatte Friedrich Merz im Bundestag den staatstragenden Parteien vorgeschlagen, nur noch Themen zur Abstimmung zu bringen, über die sich Union, SPD und Grüne einig sind. Die Zusicherung hielt jedoch nicht allzu lange. Derjenige, der diesen staatsmännischen Vorschlag machte, ging als derjenige in die Geschichte ein, der dieses Versprechen mit Füßen trat. Dem Wortbruch folgte unweigerlich ein Vertrauensverlust. Denn: Wie sollte einem möglichen Kanzler vertraut werden, der bei der ersten Gelegenheit die demokratische Tradition des deutschen Parlaments über Bord wirft? Auf was müssten sich die Menschen im Land mit einem möglichen Kanzler Merz einlassen? Wenn schon viele alteingesessene Deutsche mit Migrationsgeschichte, die in vierter, fünfter Generation in Deutschland leben, sich über ihre zukünftige Sicherheit Sorgen machen und bereits über Exit-Strategien diskutieren, dann befindet sich das Land in einer ernsthaft problematischen Lage. Viele Menschen haben neuerdings noch mehr Schwierigkeiten, Merz weiterhin zu vertrauen.
Die Sache mit dem Vertrauen
Vertrauen zu gewinnen und zu bewahren, erfordert Konsequenz, Verlässlichkeit und eine klare Haltung. Es entsteht nicht durch bloße Worte, sondern durch glaubwürdiges Handeln über einen längeren Zeitraum. Gerade in der Politik ist Vertrauen ein fragiles Gut: Einmal verspielt, lässt es sich nur schwer zurückgewinnen. Wenn Friedrich Merz als Führungspersönlichkeit ernst genommen werden möchte, muss er zeigen, dass seine demokratischen Prinzipien Bestand haben – unabhängig von kurzfristigen taktischen Erwägungen. Widersprüchliche Signale, opportunistische Kehrtwenden oder strategische Annäherungen an fragwürdige politische Kräfte untergraben die Glaubwürdigkeit eines Politikers. Friedrich Merz steht genau vor dieser Herausforderung. Will er als Kanzlerkandidat der Union Vertrauen zurückgewinnen, muss er beweisen, dass er nicht nur auf schnelle politische Vorteile setzt, sondern bereit ist, für klare Prinzipien einzustehen. Vertrauen ist eine Kunst – und Merz muss jetzt versuchen, diese Kunst mit seinen 69 Jahren noch unter Beweis zu stellen.
Kann Merz staatsmännische Reife zeigen?
Friedrich Merz hat es selbst in der Hand, diese Unsicherheit auszuräumen. Er könnte sich für seine antidemokratische Entgleisung der letzten Wochen entschuldigen und endlich aufhören, auf der rechtspopulistischen Welle zu reiten. Denn Merz möchte Bundeskanzler werden, also Kanzler aller (!) Deutschen. Das bedeutet aber auch, mehr staatspolitische Verantwortung zu übernehmen und sich dessen bewusst zu sein. Wer Kanzler werden will, muss nicht nur führen, sondern auch Schuld eingestehen können. Ein Rückzug von seiner bisherigen Strategie und eine glaubwürdige Entschuldigung wären ein Akt politischer Größe – ein Signal, dass es ihm um das Wohl des Landes und nicht um kurzfristige taktische Vorteile geht. Es wäre eine Gelegenheit, seine Eignung für das höchste Regierungsamt unter Beweis zu stellen: als jemand, der nicht nur Fehler macht, sondern auch aus ihnen lernt. Nur eine klare Abgrenzung gegenüber der extremen Rechten und ein entschlossenes Eintreten für demokratische Grundwerte werden langfristig das verlorene Vertrauen wiederherstellen.
Besorgniserregende Entwicklung: Mehr Angriffe auf Flüchtlinge und Muslime
Parallel dazu zeigt sich in unserer Gesellschaft eine besorgniserregende Entwicklung. Die aktuellen Zahlen des Bundesinnenministeriums zeigen, dass die populistische Rhetorik der letzten Jahre nicht folgenlos bleibt: Die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte haben im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. 218 politisch motivierte Straftaten gegen Unterkünfte und eine steigende Zahl von Gewaltdelikten sind ein alarmierendes Zeichen. Zudem stieg die Zahl der antimuslimischen Straftaten 2024 auf ein Rekordhoch. Im Vergleich zu 2022 wurde in den beiden vergangenen Jahren ein drastischer Anstieg verzeichnet: 2022 waren noch 572 Fälle registriert worden. 2023 meldeten die Behörden dagegen 1536 Taten, also fast das Dreifache. Für 2024 sind 1554 antimuslimisch motivierte Straftaten erfasst worden.
Ebenso besorgniserregend sind die Bombendrohungen, Sachbeschädigungen und Hassbotschaften gegen muslimische Einrichtungen in den letzten Tagen. Die Taten bedrohen nicht nur die Religionsfreiheit, sondern gefährden zunehmend auch den gesellschaftlichen Frieden.
Mit Demokratiefeinden paktieren ein No-Go
Die Polarisierung in der Migrationsdebatte schürt Angst, Hass und Gewalt, statt sachliche Lösungen zu bieten. Anstatt sich klar gegen diese Tendenzen zu positionieren, befeuern Teile der Union mit populistischen Aussagen und Wahlkampfstrategien ein gesellschaftliches Klima, das xenophobe und muslimfeindliche Haltungen normalisiert. Wenn sich eine Volkspartei zunehmend an rechten Narrativen orientiert, um Wählerstimmen zu gewinnen, dann riskiert sie nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit, sondern auch das Fundament unserer Demokratie. Doch eine Partei, die den Anspruch erhebt, die politische Mitte zu vertreten, kann es sich nicht leisten, mit Demokratiefeinden zu paktieren.
Die Äußerungen von Politikerinnen wie Clara Bünger (Die Linke) oder Mohamed El Kaada vom Koordinierungrat der Muslime (KRM) machen deutlich: Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Menschen, die in Deutschland Schutz suchen oder ihren Glauben leben wollen, zur Zielscheibe von Hass und Gewalt werden. Die zunehmende Feindlichkeit gegenüber Minderheiten sowie Muslime ist kein Randphänomen mehr, sondern ein Symptom für eine tiefgreifende Krise des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Will die Union eine Partei der demokratischen Mitte bleiben?
Die Verantwortung liegt nun bei allen demokratischen Kräften, sich klar gegen Populismus und Hetze zu positionieren. Es reicht nicht aus, sich von der AfD rhetorisch abzugrenzen, während man gleichzeitig deren Narrative bedient oder gar auf ihre Stimmen angewiesen ist. Demokratie lebt von Dialog und dem Willen, Brücken zu bauen – nicht von Spaltung und Ausgrenzung. Wenn wir zulassen, dass Angst und Hass die Debatte dominieren, gefährden wir nicht nur die Grundwerte unserer Gesellschaft, sondern auch die Zukunft unseres Landes. Es ist an der Zeit, dass wir uns wieder auf das besinnen, was uns verbindet, statt das zu betonen, was uns trennt. Die CDU/CSU muss sich entscheiden: Will sie eine Partei der demokratischen Mitte bleiben oder den schleichenden Rechtsruck weiter vorantreiben? Denn die Konsequenzen dieser Entwicklung könnten für Deutschland verheerend sein.