30.05.2022, Deutschland, Stuttgart: Euro-Banknoten in der Kasse eines Einzelhandelsgeschäfts (dpa)
Folgen

Teuerung und Energiekrise haben Deutschland fest im Griff. Wie in vielen Staaten explodieren auch hierzulande die Preise für Lebensmittel, Erdöl, Erdgas und Strom. Fatal ist jedoch: Untersuchungen zeigen, dass sich immer mehr Menschen selbst das Nötigste nicht mehr leisten können oder bereits anfangen zu hungern. Wegen der gestiegenen Inflation verzichten einer Umfrage zufolge 16 Prozent der Deutschen auf reguläre Mahlzeiten. Weitere 13 Prozent ziehen sogar einen Verzicht in Betracht, wenn die Preisexplosion anhält, wie eine Zeitung unter Berufung auf eine Insa-Umfrage berichtet. Die Umfrage zeigt zudem, dass die Deutschen immer mehr von den klassischen Supermärkten zu den Discountern abwandern, um beim Einkauf zu sparen. Ein erheblicher Teil der Deutschen spart auch bei den Zutaten beim Zubereiten des Essens. Gerade in sozial schwachen Milieus verlagere sich der Trend von einer proteinreichen Ernährung zu kohlenhydrathaltiger Kost wie Brot, Toast und Nudeln. Als Gegenmaßnahme zur Teuerung der Lebensmittel schlagen Sozialverbände eine Streichung der Mehrwertsteuer auf frische Lebensmittel vor.

Mietern und Hausbesitzern drohen massive Nachzahlungen

Auf die Bürger in Deutschland kommt eine Kostenlawine zugerollt. So warnt der Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), Axel Gedaschko, vor einem „massiven sozialen Sprengstoff“: Nach Berechnungen des Verbandes kommt auf einen Vierpersonenhaushalt in Deutschland schon in diesem Jahr eine Mehrbelastung von knapp 1.800 bis 5.000 Euro zu. Schon jetzt scheint sicher zu sein: Die Nachzahlungen werden es in sich haben.

Finanzminister Lindner: Ernste Wirtschaftskrise mit bis zu fünf Jahren Knappheit

Währenddessen betreiben die Politiker eine regelrechte Salamitaktik, möglicherweise auch aus Sorge vor sozialen Unruhen. Regierungsmitglieder rücken nur begrenzt mit der ganzen Wahrheit heraus und schwören die Bevölkerung nur scheibchenweise auf dramatische Zeiten ein. So machte beispielsweise Finanzminister Christian Lindner (FDP) in einem TV-Interview klar, dass sich die Bürger in Deutschland angesichts der grassierenden Inflation auf eine lange Phase des Verzichts einstellen müssten. „Meine Sorge ist, dass wir in einigen Wochen und Monaten eine sehr besorgniserregende Situation haben könnten“, sagte Lindner im ZDF-„heute journal“. Der Finanzminister wies darauf hin, dass den Bürgern eine Zeit der Knappheit von „drei bis vier, vielleicht fünf Jahren“ bevorstehe. Dafür müsse die Regierung eine Antwort finden, so der Minister. Der 43-jährige FDP-Politiker ergänzte: „Es besteht die Gefahr einer sehr ernstzunehmenden Wirtschaftskrise aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, aufgrund der Lieferketten-Probleme, aufgrund auch der Inflation.“ Oberstes Ziel müsse nun sein, die Inflation zu stoppen. „Nicht nur wegen der Wirtschaft, sondern weil viele Menschen auch Sorgen haben, ob sie das Leben bezahlen können.“

Kritik an der Salamitaktik der Regierung

Auch der ehemalige Amtskollege von Finanzminister Lindner, Peer Steinbrück (SPD), schwor die Menschen bei der ARD-Talkshow „Maischberger“ auf „sehr schwierige und raue Zeiten“ in den nächsten „drei, vier, fünf Jahren“ ein. Dabei übte er aber auch deutliche Kritik an der Salamitaktik der Regierung. Der ehemalige Kanzlerkandidat der SPD sagte, dass das gewohnte Wohlstandsparadigma Deutschlands deutlich zur Disposition stehe. „Es ist die tiefste Zeitenwende, die ich erlebt habe“, aber „die Konsequenzen sind politisch nur unzureichend erklärt worden.“ Und: „Ich glaube, dass in einer gewissen Trägheit der Zivilbevölkerung auch noch nicht begriffen worden ist, was diese Zeitenwende bedeutet. Scholz sollte die Folgen besser vermitteln.“

Olaf Scholz: „Das ist sozialer Sprengstoff“

Derlei Äußerungen verdeutlichen den Ernst der Lage. So wies Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im ARD-Sommerinterview auch ohne drumherum zu reden auf die drohende soziale Frage hin, die uns womöglich in kommender Zeit erheblich beschäftigen wird. In der Sendung „Bericht aus Berlin“ sagte der Kanzler, er mache sich große Sorgen über die steigenden Energiepreise. „Weil die Bürgerinnen und Bürger müssen ja zurechtkommen mit ihrem Leben, und wenn plötzlich die Heizrechnung um ein paar hundert Euro steigt, dann ist das eine Summe, die viele nicht wirklich bewältigen können. Das ist sozialer Sprengstoff.“

Habeck warnt vor gesellschaftlicher „Zerreißprobe“

Nur wenige Tage nach Olaf Scholz warnte auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem Interview mit dem Deutschlandfunk (DLF) vor einer sozialen und gesellschaftlichen „Zerreißprobe“, welche die Bürger erwarte. Die Preisanpassung aufgrund der hohen Energiekosten werde in diesem Jahr „hart“ und „für einige Menschen auch zu hart“, so der Vizekanzler. Klar sei zudem: „Wir müssen das sozialpolitisch auffangen.“ Auch Habecks Parteikollegin, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, warnte in einer zugespitzten Äußerung für den Fall eines akuten Gasmangels vor „Volksaufständen“.

Politik muss soziale Spaltung verhindern

Die deutsche Politik könnte als Antwort auf die sozialpolitischen Fragen dem Beispiel des EU-Partners Spanien folgen. Das Land auf der iberischen Halbinsel möchte Sondersteuern auf Übergewinne von Energiekonzernen und Banken einholen, um seine Bürger zu entlasten. „Wir werden nicht zulassen, dass das Leid der Vielen zum Vorteil der Wenigen wird“, erklärte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez. Durch die Einnahmen können dann öffentliche Wohnungen, Stipendien und kostenlose Bahntickets finanziert werden. Starke Schultern können und sollten in schwierigen Zeiten auch mehr tragen. Deshalb ist die Idee der „konzertierten Aktion“ von Bundeskanzler Scholz auch ein Schritt in die richtige Richtung. Denn die soziale Frage lässt sich am besten im Dialog der wirtschaftlich und gesellschaftlich-politisch relevanten Akteure lösen.

Zahl der Millionäre in Deutschland steigt weiter

Unterdessen wuchs die Zahl der Dollar-Millionäre in Deutschland, das nach den USA und Japan zu den Ländern auf der Welt mit den meisten Reichen zählt. In Deutschland kamen im letzten Jahr fast 100.000 Personen oder 6,4 Prozent zu den Dollar-Millionären hinzu. Die Statistiker zählten hierzulande insgesamt 1,63 Millionen Menschen, die umgerechnet mehr als eine Million Dollar auf dem Konto haben. Ihr Gesamtvermögen stieg den Berechnungen zufolge um 7,4 Prozent auf rund 6,3 Billionen Dollar. Auch diese Gruppe dürfte sich bei der Lösung der sozialen Frage konstruktiv beteiligen. Denn: „Sobald es Leute gibt, die sich aus allen Problemen rauskaufen können, bekommen wir eine gesellschaftliche Spaltung, die sich gewaschen hat. Solidarität ist und bleibt der Rohstoff zur Bewältigung dieser Krise“, so Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) in einem Interview.

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