Olaf Scholz und Benjamin Netanjahu / Foto: TRT Deutsch (Others)
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Der 7. Oktober 2024 markiert den ersten Jahrestag des israelischen Vernichtungskriegs gegen die Palästinenser im Gazastreifen. Die seit vergangenem Jahr anhaltenden Angriffe auf die Enklave haben zu einem massiven Verlust an Menschenleben und zu unermesslichem Leid in der Region geführt: Das israelische Militär hat allein in Gaza 41.000 Menschen getötet. Der Küstenstreifen ist zum Massengrab von etwa 17.000 Kindern und über 11.000 Frauen geworden. Fast 100.000 Menschen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Aus heutiger Sicht müssen wir konstatieren, dass nach dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 die Handlungen der israelischen Regierung und des israelischen Militärs gegen das palästinensische Volk genozidale Züge angenommen haben.

Kollektivbestrafung und Kriegsverbrechen

Israel, das internationales Recht mit Füßen tritt, hat mit seinen militärischen Aktionen in Gaza eine humanitäre Katastrophe ausgelöst. So ist die Ausweitung einer sogenannten Pufferzone entlang der östlichen Grenze des besetzten Gazastreifens besorgniserregend. Nicht nur dieses Vorgehen muss als mögliches Kriegsverbrechen untersucht werden. Recherchen von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International legen nahe, dass es sich hierbei um gezielte Kriegsverbrechen handelt, wie etwa die mutwillige Zerstörung von Infrastruktur und die Kollektivbestrafung der Bevölkerung. Solche Taten fordern das Leben unzähliger unschuldiger Menschen und hinterlassen tiefe Narben in der Zivilbevölkerung. Auch wenn der Zerstörungswahn des israelischen Militärs nicht aufhört, darf sich die Öffentlichkeit unter keinen Umständen an die Brutalität und Barbarei des israelischen Regimes gewöhnen.

Entmenschlichung und Entwürdigung der Menschen in Gaza

Die humanitäre Lage in Gaza verschlechtert sich in dramatischer Weise von Tag zu Tag. Über eine Million Menschen haben seit einem Jahr keinen Zugang zu Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Hunger und Seuchen bereiten sich aus. Die palästinensische Bevölkerung leidet nicht nur unter der physischen Zerstörung, sondern auch unter der systematischen Entmenschlichung und Entwürdigung durch Israel. Die Brutalität, mit der die israelische Armee vorgeht, ist erschütternd und zeigt sich in den gezielten Angriffen auf dicht besiedelte zivile Gebiete sowie in der systematischen Zerstörung von Wohnhäusern, Krankenhäusern, Gebetsstätten, Schulen und lebensnotwendiger Infrastruktur. Das brutale Vorgehen der israelischen Regierung und des israelischen Militärs gegen die Zivilbevölkerung in Gaza ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In Gaza sterben derzeit nicht nur Menschen, es stirbt die Menschlichkeit als solche. Und es sterben diejenigen Werte, die als Errungenschaft der zivilisierten Menschheit gepriesen wurden.

Palästinensische Opfer zu Zahlen degradiert

Die vom Westen geduldeten Gewaltakte Israels rauben der Bevölkerung in Gaza ihre Würde, lassen sie als „Kollateralschaden“ eines Krieges erscheinen und verdeutlichen die tiefgreifende Missachtung ihrer Menschenrechte. Die palästinensischen Opfer werden zu Zahlen degradiert, während ihr menschliches Leid oft relativiert oder gar ignoriert wird. Dabei nimmt die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft großen Schaden. Politische Akteure schauen seit einem Jahr dem Massenmord Israels an den Palästinensern tatenlos zu und unterdrücken den Ruf der Bürger nach einer Waffenruhe. Dabei ist längst klar: Diese Entmenschlichung muss endlich gestoppt werden und die internationalen Akteure sind aufgerufen, das Leid der palästinensischen Bevölkerung anzuerkennen und entsprechend zu handeln.

Vereinte Nationen so unvereint wie noch nie

Millionen Menschen fragen sich heute, wozu es die Vereinten Nationen und andere supranationale Organisationen überhaupt noch gibt, wenn diese gar keine Einflussmacht zur Beendigung dieses Konflikts haben. Die „Unvereinten Nationen“ sind am Ende. Es braucht keine UN mehr, denn so unvereint und gespalten wie heute war die Weltorganisation noch nie in ihrer Geschichte. Internationale Hilfsorganisationen bemühen sich zwar, die in Gaza dringend benötigte Hilfe zu leisten, jedoch behindern die anhaltende Gewalt und die Zugangsbeschränkungen Israels die lebensrettenden Maßnahmen erheblich.

Zwei-Staaten-Lösung kann Nahost-Konflikt beenden

Neben der Rückführung der Geiseln und einem sofortigen Rückzug der Besatzungsmacht aus Gaza ist ein sofortiger und umfassender Waffenstillstand unabdingbar, um weiteres Blutvergießen zu verhindern und die Betroffenen mit humanitärer Hilfe zu versorgen. Es hat sich immer wieder gezeigt, dass „militärische Maßnahmen“ keine nachhaltige Lösung für den israelisch-palästinensischen sowie israelisch-arabischen Konflikt bieten. Verhandlungen müssen wiederaufgenommen und diplomatische Wege eingeschlagen werden, um eine gerechte und dauerhafte Zwei-Staaten-Lösung zu finden. Auch die muslimischen und arabischen Nachbarn in der Region, allen voran die Herrscherfamilien der Golfstaaten, wären gebeten, sich deutlich mehr um Frieden im Nahen Osten zu bemühen, anstatt die Palästinenser ihrem Schicksal zu überlassen und einem Völkermord gleichgültig zuzusehen.

Flüchtlingsströme werden auch Europa erreichen

Neben dem Blutbad in Gaza beharrt Israel mit der Invasion Libanons sowie Luftangriffen auf Syrien und den Jemen darauf, den Konflikt in der Region auszubreiten. Ein Flächenbrand im gesamten Nahen und Mittleren Osten könnte auf uns zukommen. Solche Eskalationen gefährden nicht nur die Stabilität der Region, sondern auch den Weltfrieden. Deshalb sind Deeskalation, politische und diplomatische Lösungen derzeit nötiger denn je. Die Destabilisierung der Region birgt auch eine große Gefahr für die Sicherheit und Ordnung in Europa. Der Import des Konflikts in europäische Städte könnte sich schneller ereignen als angenommen. Die durch die ausgedehnten Angriffe Israels auf den Libanon losgetretenen Flüchtlingsströme werden früher oder später auch die Tore Europas, und damit auch Deutschlands, erreichen. Folglich sollte es auch im Interesse der Europäer sein, dass der Krieg im Nahen Osten so schnell wie möglich beendet wird.

Unrecht darf keine Staatsräson sein

Angesichts dieser heiklen Lage ist es nicht vermittelbar, wieso Deutschland diesen theo- und geopolitischen Krieg der israelischen Regierung unterstützt. Die Sicherung der Logistikwege des als Alternative zur „Neuen Seidenstraße“ geltenden Infrastrukturprojekts „India – Middle East – Europe Economic Corridor“ (IMEC) ist sicher nicht der alleinige Grund. Ebensowenig kann die historische Schuld Deutschlands aufgrund des Holocausts dafür missbraucht werden, um einen weiteren Massenmord an einem anderen Volk zu rechtfertigen. Die deutsche Staatsräson, von der Angela Merkel 2008 und der ehemalige deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, 2005 sprachen, darf nicht als Blankoscheck für völkerrechtswidrige, barbarische und menschenfeindliche Politik herhalten. Oder verhindert gar die deutsche „Staatsräson“ den Frieden in Israel und Palästina? „Israel zu unterstützen“ müsste doch eigentlich heißen, Eskalation und Gewalt zu vermeiden, Menschenleben zu schützen und das Völkerrecht zu achten. „Israel zu unterstützen“ müsste doch bedeuten, das Kriegskabinett Netanjahu klar und deutlich zu verurteilen und zu sanktionieren. Wenn die deutsche Staatsräson Unrecht unterstützt, ist sie gescheitert.

Es ist „fünf vor zwölf“ für den Frieden in der Welt

Die völkerrechtswidrige Besatzungs- und Vernichtungspolitik der israelischen Regierung gefährdet nicht nur den Frieden im Nahen Osten. Für den Frieden in der Welt ist es jetzt fünf vor zwölf. Deutschland und die Weltgemeinschaft stehen in der Verantwortung, endlich entschlossen gegen Unrecht und Gewalt zu handeln. Der israelisch-palästinensische Konflikt darf nicht als ewiger Dauerkonflikt fortbestehen. Der Druck auf die rechtsextremen Parteien und Politiker in der israelischen Regierung muss noch stärker werden. Ein Waffenembargo gegen die Kriegspartei wäre nur der erste Schritt zum Frieden. Alle Waffenlieferanten tragen eine Mitschuld an dem derzeit verübten Völkermord in Gaza. Zwischen 2019 bis 2023 war Deutschland nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant Israels. Auch wenn die Rüstungsexporte 2024 gesunken sind, hält die deutsche Regierung an der Lieferung von Kriegsgeräten an Israel fest – trotz offenkundiger Kriegsverbrechen. Deswegen müssen alle Staaten und internationalen Organisationen ihre Bemühungen umso mehr verstärken, um eine langfristige und gerechte Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt zu finden. Es bedarf eines umfassenden Engagements aller Seiten, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und eine stabile, sichere Zukunft für die Menschen in der gesamten Region zu gewährleisten. Denn: Es geht um die Menschheit und Menschlichkeit auf dieser Welt!

Rationale Staaten müssen Verantwortung übernehmen

So dramatisch die Lage auch sein mag, die Hoffnung auf Frieden darf niemals aus den Augen gelassen werden. Es liegt im Interesse der Menschheit, gerade in dieser verfahrenen Situation Verantwortung zu übernehmen und Lösungen durch Verhandlungen und Zusammenarbeit zu fördern. Die rationalen Staaten dieser Erde müssen ihrer Vorbildfunktion gerecht werden und gemeinsam für eine Zukunft arbeiten, in der Frieden, Gerechtigkeit und Sicherheit für alle Menschen im Nahen Osten und dem Rest der Welt Realität sind. Vor allem Deutschland könnte hier seine guten Beziehungen zur israelischen Regierung nutzen und mehr Druck auf den Kooperationspartner erzeugen, damit die Waffen endlich schweigen. Dafür bedarf es jedoch Achtung des Völkerrechts, egal wie der Täter heißt.


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