Europa bereitet sich auf einen der härtesten Winter seiner Geschichte vor. Die russischen Gegenmaßnahmen in Form eines verringerten Erdgastransportes haben die in hohem Maße von Russland abhängigen europäischen Staaten in eine prekäre Lage gebracht. Überdies ist das aktuelle Leck in der Nord Stream 2-Pipeline ein weiterer klarer Hinweis darauf, wie hart der Kampf um Energie sein wird. Nachdem Russland zuvor bereits dem Nord Stream 1 Projekt eine Absage erteilte, wurde die Frage, wie Europa, insbesondere aber auch Deutschland, seinen Erdgasbedarf decken wird, zu einem ernsthaften Sicherheitsproblem. Deutschland, das zu 55 Prozent von russischem Gas abhängig ist, bemüht sich Alternativlösungen, seit dem Putin die Energiekarte gezogen hat. Folgerichtig war einer dieser Schritte die jüngste Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz in die Golfstaaten. Zur Lösung der hausgemachten Energiekrise besuchte der Kanzler Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar.
Auch wenn das Hauptziel dieses nach langer Pause vorgenommenen deutschen Besuchs in den Golfstaaten darin bestand, neue Alternativen zu finden, um Deutschlands aktuelles Energiedefizit zu schließen und die Ressourcen Öl, verflüssigtes Erdgas (LNG) und Wasserstoff stärker zu nutzen, lag dem Kanzler zweifellos auch am Herzen, einen Beitrag für die Senkung der Energiepreise mit der Unterstützung der Golfstaaten zu initiieren. In Kenntnis der Tatsache, dass die in punkto Kohlenwasserstoffressourcen sehr reichen Golfstaaten eine positive und negative Rolle bei der Bildung der globalen Energiepreise spielen können, konzentrierte sich der Bundeskanzler vor allem auf die Forderung nach einer Erhöhung des Öl- und Erdgasfördermengen, insbesondere von Saudi-Arabien. Während dieses Besuchs des Bundeskanzlers wurde zwischen dem deutschen Energie-konzern RWE und der ADNOC aus den VAE ein Vertrag zur Lieferung von LNG-Gas abgeschlossen. Selbstverständlich sind die vereinbarten 137.000 Kubikmeter LNG, die bis Ende Dezember 2022 geliefert werden sollen, eine vergleichsweise sehr kleine Menge für Deutschland, das einen jährlichen Erdgasverbrauch von etwa 90 Milliarden Kubikmetern hat. Darüber hinaus wurde zwischen der ADNOC und der deutschen Wilhelm Hoyer GmbH & Co. KG (Hoyer) eine weitere Vereinbarung über die Lieferung von 250.000 Tonnen Dieselkraftstoff pro Monat (ab dem Jahr 2023) bekannt gegeben. Es bleibt anzumerken, dass die aktuelle Suche nach Kooperationen im Energiebereich mit den Golfstaaten wichtig ist, um die eigenen Energiealternativen für die Zukunft zu diversifizieren.
Sind neue Kooperationen möglich?
Die Beziehungen zwischen Deutschland und den Golfstaaten sind im Vergleich zu den anderen Weltmächten nicht besonders ausgeprägt. Es zeigt sich, dass die Golfstaaten, die schon immer ein besonderes Verhältnis zu den USA gepflegt haben, insbesondere nach 2010 auch mit Akteuren wie Frankreich, England und China in einen ernsthaften Annäherungsprozess eingetreten sind. Dabei ist festzustellen, dass die zwischenzeitlich durch den arabischen Frühling und dem Atomabkommen mit dem Iran belasteten Beziehungen zu den USA zu einer außenpolitischen Diversifizierung der Akteure am Golf geführt haben, wobei Deutschland in diesem Prozess augenfällig passiv geblieben ist. Mit Ausnahme von Katar kann festgehalten werden, dass die Interaktion und Kommunikation Deutschlands mit den Golfstaaten vergleichsweise schwach ist.
Die anhaltenden Spannungen zwischen Russland und der Ukraine, und die Position Deutschlands und anderer westlicher Akteure gegenüber Russland zeigen, dass Moskau auch künftig nicht auf die Energiekarte verzichten wird. In diesem Fall werden die Energieressourcen der Golfstaaten noch wichtiger. Wenn der Kanzler in dieser Region also ein gestaltender Akteur sein möchte, ist er gezwungen diplomatischere Formulierungen zu wählen, die den realpolitischen Wirklichkeiten Rechnung tragen.
Europas Wettbewerb am Golf
Die Golfstaaten, die auf der Liste bei der Suche nach Alternativen ganz oben stehen, um die Abhängigkeit der europäischen Länder von russischem Gas zu verringern, haben mit ihren Ressourcen ein großes Potenzial. Die europäischen Akteure, die sich dessen bewusst sind, reihen sich nach und nach in die Schlange ein, um Vereinbarungen mit den Golfstaaten zu unterzeichnen. Italien, Frankreich, England und Deutschland unterzeichneten bereits in diesem Jahr Abkommen mit Katar, das über eine der weltweit größten Erdgasreserven verfügt und plant seine Produktionsmengen durch die Erschließung neuer Felder zu steigern. Bedenkt man, dass ein großer Teil der Erdgasexporte Katars in den asiatischen Markt geliefert werden, wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis auch Europa seinen Anteil von diesem Kuchen erhält.
Dabei ist absehbar, dass jedes europäische Land, das versucht, eine enge Zusammenarbeit mit den Golfstaaten im Rahmen der Energieversorgung aufzubauen, in naher Zukunft auch in einen ernsthaften Wettbewerb mit anderen europäischen Staaten um Öl und Erdgas aus den Golfstaaten treten wird. So sind sich die Golfstaaten bewusst, dass ihr politischer und wirtschaftlicher Stellenwert als primäre Adressen für Energie steigt, wohl wissend, dass sowohl die asiatischen Länder, als auch die um Unabhängigkeit von Russland bemühten europäischen Länder von diesen Produkten abhängig sind und entsprechend steigen die Erwartungen an Staaten dieser Region. Dabei wird insbesondere von den europäischen Akteuren erwartet, dass sie sensibler auf die Bedenken der Golfstaaten hinsichtlich der Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit durch etwa das iranische Atomprogramm, reagieren. In diesem Sinne führt kein Weg daran vorbei, dass der Bundeskanzler, der mit einer Covid-Erkrankung nach Berlin zurückgekehrt ist, weitere Schritte unternehmen muss, damit er sich künftig zufriedener aus den Golfstaaten verabschieden kann.