Namibia, Windhuk: Ein Denkmal erinnert im Zentrum der namibischen Hauptstadt an den von deutschen Kolonialtruppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama von 1904 bis 1907. (dpa)
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Vielen Deutschen ist die deutsche Kolonialzeit bis heute kein Begriff. Eine offizielle Auseinandersetzung hat es nie gegeben. Deutsche Kolonialverbrechen sind nicht Teil der Gedenkkultur und finden auch keine zentrale Bedeutung im Bildungswesen.

Die Indifferenz dieser Periode der deutschen Geschichte und ihren Opfern gegenüber manifestiert sich nun nochmals in der Ankündigung der Bundesregierung, den Völkermord an den Herero und Nama als solchen anzuerkennen. Die Entscheidung scheint keiner moralischen Auseinandersetzung zu entstammen, sondern stellt einen diplomatisch verhandelten Versuch dar, mit der dunklen Vergangenheit abzuschließen, ohne großen Schaden zu erleiden. Nachkommen sprechen von einem PR-Coup.

Von dem von Heiko Maas eher unglaubwürdig proklamierten Schritt zur Versöhnung kann keine Rede sein.

Deutscher Kolonialismus

Im Zuge seiner Kolonialbestrebungen besetzte das Deutsche Reich in den 1880er Jahren mehrere Teile Afrikas sowie kleinere Gebiete in Ostasien und im Pazifik. Wie andere europäische Mächte verfolgte auch Deutschland das Ziel, seine wirtschaftliche Machtstellung und internationale Bedeutung zu erweitern. Dies geschah durch rassistische Ausbeutung und Vernichtung.

Auf dem Gebiet, das heute den Staat Namibia umfasst, beging das Deutsche Reich den ersten Völkermord des zwanzigsten Jahrhunderts.

Im Jahr 1885 begann Deutschland damit, das Land der Herero und Nama in Südwestafrika zu besiedeln. Die einheimische Bevölkerung wurde getötet oder zu Verträgen mit dem Deutschen Reich gezwungen. Aufstände der indigenen Bevölkerung wurden gewaltsam niedergeschlagen. Der deutsche General Lothar von Trotha erließ im Oktober 1904 einen Vernichtungsbefehl und forderte die Hinrichtung aller Herero: „Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Hereros.”

Während des deutschen Vernichtungskriegs wurden die indigenen Einwohner hingerichtet, vergiftet oder starben an Hunger, Durst oder Erschöpfung. Das Deutsche Reich errichtete Konzentrationslager, in denen die einheimische Bevölkerung versklavt und für medizinische Experimente missbraucht wurde. Sterbeurkunden wurden im Voraus ausgestellt. Vier Fünftel der Herero und die Hälfte der Nama wurden getötet. Schädel der Opfer wurden benutzt, um Fantasien der Überlegenheit der Deutschen innerhalb konstruierter Rassenhierarchien zu proklamieren.

Deutschland verließ seine Kolonien nicht freiwillig. Erst durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg fiel das Deutsche Kolonialreich. Während der Nazizeit war eine koloniale Nostalgie verbreitet. Tatsächlich gab es eine Kontinuität zwischen den Kolonialverbrechen und dem Naziregime. Diese ist in Ideologie und Praxis offensichtlich. Teilweise waren dieselben Verbrecher involviert.

Deutschlands Ausbeutung und Unterdrückung afrikanischer Bevölkerungen ging auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter. Die Bundesrepublik gehörte zu den engsten Unterstützern des südafrikanischen Apartheidregimes, unter dem auch die Nachfahren der Herero und Nama litten. Selbst während des Boykotts gegen Südafrika ignorierte die Bundesrepublik UN-Embargos und lieferte militärisches Equipment. Somit profitierte die westdeutsche Wirtschaft von der Rassenpolitik in Südafrika.

Koloniale Gegenwart

Trotz dieser Kontinuität ist die deutsche Kolonialzeit nicht unbedingt Teil des Allgemeinwissens. Der Opfer wird nicht öffentlich gedacht. Auch heute noch tragen Straßen in Berlin die Namen deutscher Kolonisten.

In der Tat war die offizielle deutsche Einstellung den eigenen Kolonialverbrechen gegenüber lange von Ignoranz und Indifferenz geprägt. Auch gesellschaftlich gab es wenig Bemühungen, sich mit diesem Teil der Geschichte auseinanderzusetzen.

Stattdessen gab es Bestrebungen, den Völkermord zu bagatellisieren. Die AfD versuchte 2019 mit einer gescheiterten Petition, die Bundesregierung von jeglicher Entschuldigung abzuhalten und Reparationen kategorisch abzulehnen. Die AfD wünschte sich eine flexiblere Interpretation der Ereignisse und bediente sich kolonialer Tropen, um den Genozid zu leugnen. Laut AfD sei die bereits gezahlte Entwicklungshilfe an Namibia ein “ein eindrücklicher Beleg dafür, dass Deutschland sich seiner historischen Verantwortung einer ehemaligen Kolonie gestellt hat.”

Mag sich die Rhetorik der Bundesregierung auch von jener der AfD unterscheiden, so ist das Ziel ähnlich. Auch weiterhin weigert sich Deutschland, Reparationen zu zahlen, und behauptet stattdessen, die Finanzierung von Entwicklungshilfe sei eine ausreichende Maßnahme.

Wie vor einem Jahrhundert steht auch heute weiterhin die wirtschaftliche und politische Sicherheit Deutschlands über der moralischen Verantwortung. Seit Jahren kämpfen die Nachkommen der Opfer vergeblich darum, rechtliche Schritte gegen Deutschland einzuleiten. Berlin beteuert, es bestünden keine rechtlichen Verpflichtungen, da der Begriff “Genozid” erst 1948 eingeführt wurde. Statt Reparationen zu zahlen, einigte sich die Bundesregierung nach Verhandlungen mit der Regierung Namibias auf eine Zahlung von 1,1 Milliarden Euro auf die nächsten drei Jahrzehnte verteilt. Heiko Maas spricht von einer „Geste“, Vertreter der Opfer sehen dies als Beleidigung. Sie waren nicht in den Verhandlungsprozess eingebunden und fordern tatsächliche Reparationen, Anerkennung und eine Entschuldigung.

Die Bundesregierung scheint jedoch eher einen bequemen Weg finden zu wollen, ein weiteres düsteres Kapitel der deutschen Geschichte zu schließen, ohne sich jemals offen damit auseinandergesetzt zu haben. Dadurch werden die Nachfahren nochmals Opfer von deutschem Unrecht.

Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialzeit in Südwestafrika und darüber hinaus ist notwendig, um Tiefe und historische Kontinuität des deutschen Rassismus zu verstehen. Doch passen kolonialer Völkermord und deutsche Konzentrationslager in Afrika nicht in die dominanten Narrative der wirtschaftlich starken europäischen Macht, die sich angeblich mit den Gräueltaten ihrer Großeltern auseinandergesetzt haben will.

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