Deutschland erlebt aktuell eine der turbulentesten Phasen seiner Nachkriegsgeschichte, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Inmitten dieser Krise reist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf eine diplomatische Tour durch Saudi-Arabien, Jordanien und Türkiye. Besonders bemerkenswert ist, dass Steinmeier als erstes deutsches Staatsoberhaupt einen offiziellen Besuch in Saudi-Arabien absolviert hat. Der letzte Halt dieser Reise führt ihn am Mittwoch nach Türkiye. Die Bedeutung dieses Besuchs ist nicht zu unterschätzen: Deutschland will seinen Einfluss in Nahost erhöhen und als globaler Akteur wahrgenommen werden.
Das Berliner Präsidialamt betonte in einer Erklärung, dass „Saudi-Arabien, Jordanien und Türkiye wichtige Akteure im Nahen Osten sind und eine zentrale Rolle für die Stabilität in der Region spielen.“ Dies unterstreicht Deutschlands Ambitionen, in der internationalen Politik eine aktivere Rolle zu übernehmen. Doch um dies zu erreichen, muss Berlin eine pragmatischere und weniger ideologisch geprägte Außenpolitik betreiben.
Deutschlands Rolle in der Weltpolitik
Deutschland steckt auch auf internationaler Ebene in einer seiner schwierigsten Phasen. Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, dass Sanktionen gegen Russland nicht den erhofften Erfolg gebracht haben. Seit dem 24. Februar 2022 belaufen sich die wirtschaftlichen Kosten für Deutschland auf etwa 44 Milliarden Euro. Die Last dieses Konflikts hat besonders die Industrie und den Energiesektor schwer getroffen und macht eine nachhaltige Strategie unumgänglich.
Die Wiederwahl von Donald Trump birgt erhebliche geopolitische Risiken. Es ist zu erwarten, dass Washington seine Unterstützung für die Ukraine reduzieren wird, was Deutschland in eine noch prekärere Lage bringt. Ohne die Rückendeckung der USA könnte Berlin sich gezwungen sehen, Russland direkter entgegenzutreten, was die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen weiter verschärfen dürfte.
Zudem hat sich Deutschlands diplomatische Glaubwürdigkeit durch seine Unterstützung Israels im Nahostkonflikt weiter verschlechtert. Diese Haltung hat dazu geführt, dass Deutschland in der Region an Einfluss verliert, insbesondere in den arabischen Staaten.
Deutschlands Image im Nahen Osten
Obwohl Europa ein bedeutender Handelspartner der Golfregion ist und möglicherweise als starker politischer Akteur auftreten könnte, behindert die chronische Uneinigkeit innerhalb der EU jegliche kohärente Außenpolitik. Darüber hinaus hat Deutschlands bedingungslose Unterstützung für Israel das Vertrauen vieler Länder im Nahen Osten weiter erschüttert.
Sebastian Sons, Nahost-Experte beim Bonner Think Tank Carpo, betont, dass viele arabische Staaten Deutschlands Haltung als einseitig und von doppelten Standards geprägt wahrnehmen. Dennoch sieht beispielsweise Saudi-Arabien Deutschland weiterhin als wichtigen Partner, insbesondere aufgrund seiner engen Beziehungen zu Israel. Dies zeigt, dass es Raum für pragmatische Zusammenarbeit gibt – vorausgesetzt, Berlin passt seine diplomatische Strategie an.
Die Bedeutung der Beziehungen zwischen Deutschland und Türkiye
Die deutsch-türkischen Beziehungen umfassen zahlreiche Themen, darunter die türkische Gemeinschaft in Deutschland, wirtschaftliche Kooperationen, Verteidigungsfragen, Migrationsmanagement und die EU-Beitrittsperspektive von Türkiye. Steinmeiers Gespräche mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan dürften all diese Punkte aufgreifen. Besonders wichtig sind hierbei die rund 3,5 Millionen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland, die mittlerweile ein fester Bestandteil der Gesellschaft sind. Sie leisten einen signifikanten Beitrag zur Wirtschaft, Politik, Sport und Kultur, werden jedoch immer noch medial und politisch marginalisiert und sind immer wieder Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt.
Darüber hinaus sieht Deutschland Türkiye als einen zentralen Akteur für Stabilität in der Region, insbesondere in Bezug auf den Nahen Osten. Türkiye hat seinen Einfluss in Syrien ausgebaut, indem es mit der neuen Übergangsregierung in Damaskus kooperiert und aktiv gegen die YPG/PKK vorgeht. Diese Entwicklungen stärken die Position von Türkiye als dominierender Akteur in der Region.
Ein besonders umstrittenes Thema ist die Verteidigungszusammenarbeit. Aufgrund deutscher Waffenexportrestriktionen war die militärische Kooperation zwischen Berlin und Ankara lange Zeit blockiert. Doch jüngste Entwicklungen zeigen, dass Deutschland hier flexibler wird und in strategischen Bereichen den Dialog sucht. Ein Beispiel ist die Diskussion um den Kauf von Eurofighter-Kampfjets durch Türkiye, die lange blockiert wurde, nun aber durch Gespräche wieder an Dynamik gewinnt.
Die Stärkung der Beziehungen zu Türkiye kann für Deutschland in mehrfacher Hinsicht von Vorteil sein. Türkiye ist geopolitisch ein entscheidender Partner, der Stabilität in der Region sichern kann. Ob im Bereich Energie, Handel oder Verteidigung – eine enge Zusammenarbeit mit Ankara könnte Berlin helfen, seine globale Position zu stärken. Dafür muss Deutschland jedoch seine starre ideologische Haltung überdenken und eine pragmatischere Außenpolitik verfolgen. Die geopolitische Bedeutung von Türkiye ist inzwischen zu groß, als dass Berlin es sich leisten könnte, diesen Akteur zu ignorieren oder mit Vorbehalten zu behandeln. Eine partnerschaftliche und strategische Zusammenarbeit wäre der beste Weg, um sowohl Deutschlands Interessen als auch die Stabilität in der Region zu wahren.