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Ist Trump wie „ein Phönix aus der Asche“ auferstanden? Er versucht seine Corona-Erkrankung politisch zu inszenieren. Trotzdem wird es für ihn immer schwieriger, die Präsidentschaftswahl am 3. November zu gewinnen.

Nach fast einer Woche in Abwesenheit zeigte sich US-Präsident Donald Trump erstmals wieder auf einer Kundgebung im besonders umkämpften Bundesstaat Florida, und richtete aus, „alle küssen“ zu wollen, wie der „Independent“ berichtete: „I’ll kiss the guys and the beautiful women“. Zuvor hatte er vom Balkon des Weißen Hauses zu den Menschen gesprochen, wie „Chicago Tribune“ mitteilte. Laut „CBS News“ behauptete Trump sogar, nun gegen die Corona-Erkrankung „immun“ zu sein.

Trump wurde vorgeworfen, Corona nicht ernst genug genommen zu haben. Es wurde ihm ferner unterstellt, sich mehr um die Wirtschaft als um die Gesundheit der Menschen zu sorgen. Dann wurde Trump selbst auf positiv auf das Coronavirus getestet. Es gab Gerüchte darüber, seit wann Trump davon wusste, wie schwer der Verlauf seiner Erkrankung sei und mit welchen neuen experimentellen Medikamenten er behandelt wurde. Es ist davon auszugehen, dass er im Walter Reed National Military Medical Center in Bethesda, Maryland, die beste Corona-Behandlung erhielt. Das würde derzeit keinem normalen Amerikaner zur Verfügung stehen, worauf auch „BBC“ verwies.

Trump kann sich hier natürlich wieder inszenieren und nach außen hin eine „rasche Genesung“ zur Schau stellen – ganz unabhängig davon, wie es um seine Genesung und Gesundheit tatsächlich bestellt ist. Für Trump ist das wie Wasser auf seine Mühlen. Eine Vielzahl an Botschaften ist hier kommunizierbar. Ist das Coronavirus tatsächlich so gefährlich, wenn er solch ein rasches Comeback schaffte? Oder ist Trump tatsächlich ein „Wunder-Mann“, dem nicht einmal die globale Corona-Pandemie etwas anhaben kann. Trump kann wieder direkt zu seinen Anhängern sprechen, und die Message zirkulieren lassen, sogar „immun“ gegen Corona zu sein.

Noch vor seiner Erkrankung fand am 29. September die erste TV-Debatte zwischen dem Republikaner Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden, dem Vizepräsidenten unter Barack Obama, statt. Moderiert wurde sie durch Chris Wallace. Er ist ein Journalist, der „Fox News“ nahe steht, aber doch mit einer überparteilichen Reputation. Wie die „New York Times“ berichtete, wurde diese Diskussion von mehr als 73 Millionen Zuschauern live mitverfolgt.

Doch welcher der beiden Diskutanten konnte die Debatte für sich entscheiden? Inhaltlich versuchten sowohl Trump als auch Biden, ihre präferierten Themen direkt anzusprechen und einzuspielen, was auch mehr oder weniger beiden Kandidaten gleich gut gelang. Auf inhaltlicher Ebene kam die Diskussion damit einem „unentschieden“ nahe. Was aber bei dieser Diskussion besonders negativ auffiel, war ihre Form. Bei früheren Präsidentschaftsdebatten in den US-Medien beeindruckte vor allem die hohe Disziplin – gleichbedeutend damit, dass der eine Kandidat den anderen nicht unterbrach. Grundsätzlich galt auch für diese Debatte das Schema, dass Redezeiten aufgeteilt waren, und es Redezeiten gab, wo der andere nicht intervenieren durfte. Das Problem diesmal aber war, dass sich Trump über weite Strecken nicht daran hielt. Wie „BBC News“ feststellte, sprach Biden insgesamt 43 Minuten und Trump 38 Minuten, was auf ein ausgewogenes Redemaß hinweist. Jedoch fiel Trump seinem Konkurrenten Biden insgesamt bei 73 Gelegenheiten ins Wort. Das produzierte einen über weite Teile chaotischen Verlauf der Debatte. Mehrmals ergab sich die Situation, dass Biden am Wort war und auch die Kamera mit Großbild auf ihn gerichtet war, aber man von der Seite her Trump mit lauter Stimme laufend hineinreden hörte – und das geschah öfters. Damit verletzte Trump systematisch auf grobe Art und Weise die Regeln für diese TV-Debatte, denen er im Vorfeld selbst zugestimmt hatte. Selbst der Moderator Chris Wallace wies Trump explizit mehrmals auf diesen Umstand hin – aber scheiterte. Im Raum entstand vielfach der Eindruck, dass das rhetorische Verhalten von Trump eines Präsidenten eigentlich unwürdig ist.

Ein interessanter Aspekt der TV-Konfrontation zwischen Trump und Biden war die Frage, ob Trump eine Wahlniederlage akzeptieren würde. Sein Stehsatz dazu lautete, dass er die Wahl am 3. November sowieso gewinnen würde. Gleichzeitig wiederholte er aber sein Misstrauen gegenüber der Briefwahl. Dahinter verbirgt sich ein Politstreit und das mögliche Kalkül, dass im Falle einer Niederlage Trump das Votum mit allen Mitteln juristisch bekämpfen könnte, indem er die Legitimität gewisser Segmente der abgegebenen Stimmen (etwa über Briefwahl) offen in Frage stellt. Solch ein Streit würde letztlich automatisch beim höchsten Gericht der USA, dem Supreme Court, landen. Unter seinen neun Richtern herrschte über lange Zeit eine gewisse Balance zwischen den konservativen und den liberalen Richtern. Hier gelang Trump in seiner bisherigen Amtszeit einer seiner größten politischen Coups, da er mit Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh bereits zwei weitere konservative Richter verankerte. Mit dem Hinwegscheiden der mehr links-liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg wurde diese Stelle vakant, die jetzt Trump mit allen Mitteln noch vor dem 3. November, dem Tag des präsidentiellen Urnenganges, konservativ nachbesetzten möchte. Seine Richterkandidatin ist die konservative Amy Coney Barrett, die einen katholisch geprägten Hintergrund aufweist.

Wie „The Washington Post“ ausführte, fand die erste Anhörung von Barrett bereits am 12. Oktober im Senat statt. Es war auffällig, dass Barrett kritischen Schlüsselfragen der Demokraten auswich. Sie begründete das damit, dass sie nicht politisch berechenbar sein wolle. Im Fokus stand die Frage, ob sie bereit wäre, frühere Grundsatzentscheidungen des Supreme Court, beispielsweise betreffend Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und „Obama-Care“, einer möglichen Revision zu unterziehen. Gelingt es Trump, Barrett erfolgreich zu implementieren, dann würde das Gleichgewicht im Supreme Court wie folgt aussehen: sechs konservativen Richtern stünden nur mehr drei liberale Richter gegenüber, also eine Zwei-Drittel-Mehrheit für den konservativen Pol. Damit – so ein in Trump hinein interpretiertes Kalkül – hätte er das Terrain des Supreme Court in seinem Sinne gut präpariert, sollte eine mögliche Wahlanfechtung von seiner Seite (wenn er eben nicht am 3. November gewinnt) tatsächlich vor dem Supreme Court landen.

Trump war nach der TV-Debatte vom 29. September am Coronavirus erkrankt. Gerüchte machten die Runde, wie lange er eigentlich von seiner Erkrankung wusste. Die zweite TV-Debatte zwischen Trump und Biden war ursprünglich für den 15. Oktober vorgesehen. Wegen Corona wurden neue Sicherheitsmaßnahmen angedacht: etwa die Kandidaten virtuell hinzuzuschalten. Da erklärte Trump, dass er sich weigern würde, an solch einem „virtuellen TV-Event“ teilzunehmen, wie etwa „BBC News“ berichtete. Daraufhin beschloss die Kommission, die für die Organisation der Debatten zuständig ist, einfach diese zweite TV-Konfrontationsrunde überhaupt abzusagen, wie beispielsweise „CNN“ mitteilte. Angesichts des rhetorischen Chaos bei der ersten TV-Debatte stellt sich da letztlich natürlich die Frage, ob solch eine Absage nicht überhaupt die beste Entscheidung war.

Am 7. Oktober fand die TV-Debatte zwischen dem jetzigen republikanischen Vizepräsidenten Mike Pence und der demokratischen Senatorin Kamala Harris statt, welche die Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten auf dem Ticket von Biden ist. Moderiert wurde diese Diskussion von Susan Page. „CNN“ behauptete, dass Harris bei dieser Diskussion einen Punktesieg errangt habe. Was bei dieser Debatte positiv auffiel, war, dass sich die Kandidaten mit einem weitaus größeren Maß an Achtung behandelten. Zwar fiel Pence zu Beginn seiner Konkurrentin wenige Male in ihr Wort, wurde aber resolut durch Harris blockiert. Danach respektierten beide Kandidaten die Redezeit des anderen. Pence wandte zwar zwei rhetorische Strategien an: Einerseits die Fragen der Moderatorin nicht direkt zu beantworten und andererseits seine Redezeit zu überziehen. Beides tat aber auch Harris in einem gewissen Sinne. Somit entsteht das Fazit, dass Pence rhetorisch überlegen war – wenn man ihn mit seinem Chef Trump vergleicht. Laut Umfragen befindet sich Biden gegenüber Trump nach wie vor in Führung – mit fast 10 Prozentpunkten, wie „Real Clear Politics“ regelmäßig berichtet. Außerdem liegt Biden in mehreren der „Battleground States“ vorne, so wie in Florida, wenn auch nur knapp. Die Demokraten können davon ausgehen, ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus sogar auszubauen, und der Ausgang der Wahlen zum Senat ist wieder offener geworden. Die amerikanische Präsidentschaftswahl am 3. November wird damit immer kompetitiver. Eine Prognose kann aber schon jetzt gewagt werden: Ist Trump nicht der erklärte Sieger am 3. November, so müssen sich die USA eventuell auf eine harte juristische Auseinandersetzung einstellen, die ermitteln muss, wer „in rechtlicher Hinsicht“ jetzt eigentlich gewonnen hat.

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