05.03.2022, Russland, Ust-Luga: Tanks von Transneft, einem staatlichen russischen Unternehmen, das die Erdöl-Pipelines des Landes betreibt, im Ölterminal von Ust-Luga. Die EU-Staaten haben sich beim geplanten Öl-Embargo gegen Russland auf einen Kompromiss verständigt. (dpa)
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Als in der Nacht von Montag auf Dienstag vom Europäischen Rat, dem Gremium der EU-Staats- und Regierungschefs vermeldet wurde, die EU habe sich auf ein (Teil-)Ölembargo geeinigt, waren die Verhandler offensichtlich zu erschöpft, um die Details sofort zu erklären. Die gute Nachricht, dass alle einem sechsten Sanktionspaket gegen die russische Invasion in der Ukraine zugestimmt und damit den Preis für Putins Krieg weiter erhöht haben, sollte reichen. Nur Viktor Orban wandte sich nach Mitternacht an die heimischen Medien, feierte die Ausnahmen für sein Land und dass ungarische Familien dank seines Verhandlungsgeschicks gut schlafen könnten.

Am Morgen wurden dann die Bestandteile des neuen Sanktionspakets und speziell das Teilembargo erläutert: Das Embargo beschränkt sich auf Ölimporte, die über Schiffe nach Europa kommen, während die Druschba-Pipeline von den Sanktionen ausgenommen ist. Polen und Deutschland verzichten auf deren Nutzung, während Ungarn, die Slowakei und Tschechien weiterhin russisches Öl beziehen.

Vereinter Westen

Schon im Vorfeld des Überfalls auf die Ukraine und zuletzt am Wochenende in einem Telefonat mit Olaf Scholz und Emanuel Macron versuchte Vladimir Putin dem Westen zu drohen, die EU zu spalten und damit möglichst handlungsunfähig zu machen. Grundsätzlich sind die Voraussetzungen dafür günstig, weil der Westen kein monolithischer Block ist, sondern eine Werte- und Interessengemeinschaft souveräner Staaten. Während ein Mann im Kreml oder im Weißen Haus sitzt, treffen sich in Brüssel 27 Staats- und Regierungschefs. Innergemeinschaftliche Interessenkonflikte sind vorprogrammiert, und Einigkeit ist die Ausnahme, nicht die Regel. Der Zivilisationsbruch als welcher der Überfall auf die Ukraine im Westen empfunden wird, und die unmittelbare Bedrohung von östlichen EU- und NATO-Mitgliedern, die Putin als russische Einflusszonen definiert und dadurch ihre Eigenständigkeit in Zweifel zieht, haben den Westen vorübergehend geeint und die Umsetzung von historisch präzedenzlosen Sanktionen ermöglicht. Da für beide Seiten die Kosten steigen, ist die Einigkeit aber ebenso endlich wie die Fähigkeit Putins, Krieg zu führen.

Unterschiedliche Betroffenheiten und Interessen

Wie immer in Konflikten geht es nicht nur darum, wie hart man austeilen kann, sondern wie viel man bereit ist einzustecken und wie lange man dies durchhalten kann. Sanktionen treffen den Sanktionierten ebenso wie den, der sie ausspricht. Bislang galt, dass die Kosten der verabredeten Maßnahmen von jedem Land selbst getragen werden. Im nun verabredeten Sanktionspaket ist dies anders. Ungarn bezieht faktisch die Position eines neutralen Landes und ließ sich sein Veto mit Ausnahmen und Garantien abkaufen. Damit unterläuft Orban nicht nur die gemeinschaftliche Position, auch die Wettbewerbsposition z.B. gegenüber den Niederlanden wird verzerrt.

Ungarn bringt das Argument vor, dass es keinen Zugang (mehr) zum Meer besitzt und sich deswegen nicht auf dem Seeweg alternativ mit Öl versorgen kann, falls durch die russische Druschba-Pipeline kein Öl mehr fließt. Ebenso wenig sind Umstellungen auf andere Energieträger kurzfristig machbar. Gleichzeitig ist der Anteil der ungarischen Ölimporte aus Russland bezogen auf die Gesamtmenge, die in der EU konsumiert wird, gering. Auch ohne Ungarn plant die EU, die Gesamtölimporte aus Russland um 90 % zu senken. Insofern macht es für den Umfang des Ölembargos kaum einen Unterschied, ob Ungarn dabei ist. Politisch geht es aber um die symbolische Demonstration westlicher Einigkeit in der Unterstützung der Ukraine und den Widerstand gegen Russland. Wie schwer dieser Eindruck zu halten ist, zeigte das Ratstreffen am Montag: Griechenland sperrte sich gegen Sanktionen auf Tankschiffe, die es Russland erschweren sollen, sein Öl in andere Teile der Welt zu verkaufen. Zypern verhinderte, dass reiche Russen künftig keine Immobilien mehr kaufen dürfen. Dem deutschen Bundeskanzler wird mangelnde Loyalität vorgeworfen, weil er sich zögerlich bei der Bereitstellung von Waffen zeigt. Und vom ehemaligen EU-Mitglied Großbritannien kam Kritik, dass das Ölembargo vor allem der Welt und Europa schade, Russland aber kaum.

Zumindest der zeitweilig erhobenen Forderung von 13 Mrd. Euro als Schmiermittel für die ungarische Zustimmung hat die EU nicht nachgegeben. Ausreichend Erfahrung mit Erpressungsversuchen hat die EU mit Ungarn bereits gesammelt. Dabei ging es gar nicht immer um Geld oder Privilegien, denn was für Populisten wie Orban außerdem zählt, ist die Inszenierung von Politik als Konflikt zwischen Gut und Böse. Als Hassobjekt für ihre innenpolitischen Erzählungen hat die ungarische Regierung über Jahre ein Zerrbild der Europäischen Kommission aufgebaut: Hier der Beschützer der ungarischen Freiheit und Souveränität, dort die finsteren Mächte eines illegitimen Brüsseler Zentralismus. Orban sucht und nutzt den Konflikt, um die Gefühle der Menschen in Ungarn zu mobilisieren. Die Europäische Kommission ist vertraglich und durch politischen Druck des Europäischen Parlaments gezwungen, auf Provokationen wie Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und die Demontage demokratischer Institutionen und Prinzipien zu reagieren. Deswegen wurden Ungarn (wie auch Polen) erhebliche finanzielle Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds nach der Pandemie zurückgehalten. Nun schlägt der starke Mann aus Budapest zurück und verschafft sich über den Weg der Erpressung Vorteile und Privilegien, die ihm zu Hause politisch nutzen.

So wie Russland die militärischen Möglichkeiten ausgehen und wohl auch die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit ihre Grenze erreicht, so ist auch die westliche Einheit endlich. Eine Einigung auf ein Gasembargo erscheint nach den Erfahrungen beim Öl deutlich schwieriger. Die Frage ist, auf welcher Seite sich Ermüdungserscheinungen früher zeigen und zu einem veränderten Verhalten zwingen.

Im Fall der EU kann das bedeuten, dass der interne Konflikt mit Orban, der isolierter ist als je zuvor, zu einer härteren Gangart führt als in der Vergangenheit. Forderungen nach einem Ende der Einstimmigkeit und der Möglichkeit Vetopositionen auszubeuten werden lauter. Solche Reformen sind aber nicht nur technischer Natur. Sie verändern das Selbstverständnis der EU und ihrer Mitglieder. Bislang sind alle gleich, und Einigkeit wird als Wert verstanden, was der EU zugleich Gewicht nach außen verleiht. Wer gezielt dagegen Politik macht, grenzt sich aus, wird zum Mitglied zweiter Klasse und kann entsprechend auch nicht auf die Solidarität der anderen vertrauen, wenn er es braucht.

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