Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen / Photo: DPA (dpa)
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Im Zuge einer Generaldebatte im deutschen Bundestag meinte die Fraktionschefin der Grünen, Katharina Dröge, am geschichtsträchtigen 11. September bezugnehmend auf den Anschlag in Solingen, dass mehr gegen Islamismus getan werden müsse, der „zu den größten Gefahren für unsere Gesellschaft“ gehöre. Und weiter: „Denn das Gift des Islams, das erreicht die Köpfe der Menschen nicht nur im Ausland, das erreicht die Menschen auch hier“.

Das Sprachrohr der Neuen Rechten, die Junge Freiheit, applaudierte ihr. NIUS titelte: „Sogar die Grünen sprechen jetzt vom ‚Gift des Islam‘!“ Und zahlreiche Vertreter der Rechten freuten sich über die Aussage.

Nach den ersten Reaktionen meinte die grüne Bundesfraktionsvorsitzende noch am gleichen Tag, es habe sich bei ihrer Rede um einen Versprecher gehandelt: „Natürlich ging es dabei nicht um den Islam, sondern ganz klar um Islamismus. Das ist ein sehr großer Unterschied. Wer sich die Teile der Rede davor und danach anhört, sieht das ganz klar im Zusammenhang.“ Aber war das ausreichend? Hat Dröge die große Bedeutung ihres Versprechers begriffen?

Entmenschlichung

Die Entmenschlichung des zum Anderen Gemachten ist zentraler Bestandteil eines jeden rassistischen Diskurses, egal, ob es sich dabei um rassifizierte Juden, Muslime, Schwarze oder eine andere Gruppe handelt. Die Entmenschlichung steht am Beginn eines Prozesses, der zu Entrechtung und, wie am Beispiel von Juden in Deutschland oder der Muslime in Bosnien zu sehen war, einer systematischen und massenhaften Tötung führen kann.

Das „Gift des Islam“ entspricht einem Diskurs, der jedes Gegenmittel legitimiert. Und genau darin liegt die Schwere der Aussage. Es waren liberale Akteure wie Henryk Broder, die schon vor langer Zeit mit Sprüchen wie „der Unterschied zwischen Islam und Islamismus ist der gleiche wie jener zwischen Terror und Terrorismus“ um sich warfen. Sprüche, die wohlwollend von den Anführern der Neuen Rechten plakatiert wurden, um sich als Verteidiger der offenen Gesellschaft zu gerieren.

Islam und illegitime Gewalt

Aber nehmen wir Dröge beim Wort. Tatsächlich ist die Tragweite der sich seit Jahrzehnten wiederholenden In-Beziehung-Setzung von Islam und Gewalt genau darin zu verorten, dass ein Sinnzusammenhang geschaffen wird, der nicht weiter hinterfragt wird.

So wenig sich der Begriff Christianismus durchgesetzt hat, weil er der durchschnittlich in einem mitunter christlich sozialisierten Milieu aufgewachsenen Person kontraintuitiv erscheint, so sehr wird die Normalität des Problems Islamismus als gegeben hingenommen. Aber warum? Weil die stereotype und meist negative Thematisierung des Islams genau diese scheinbare Wahrheit geschaffen hat.

Die extreme Mitte

Weil genau jene Mechanismen, die Dröge in der gleichen Rede in einem weiteren Beitrag anspricht, dem hegemonialen Konsens der extremen Mitte entsprechen. Es ist die extreme Mitte, die einen Thilo Sarrazin mit seinen rassistischen Ideen über Jahre hinweg hegte und pflegte und die einen Rassismus wie von Boris Palmer geäußert hinnimmt. Genau diese Ideen haben jene restriktive Politik gegenüber Muslimen legitimiert, die Dröge in ihren weiteren Ausführungen stärkt.

Dröge meint weiter, dass der „radikale Islamismus“ die „Köpfe vergiftet“. Es brauche, so Dröge, ein „Bundesamt für Verfassungsschutz, das noch stärker als Frühwarnsystem agieren kann, um Gefahrenpotenziale auch wirklich zu erkennen“.

Dabei stellt sich die Frage, ob nicht genau dieses Bundesamt für Verfassungsschutz nicht eher Teil des Problems als Teil der Lösung ist. Nicht nur, dass dieses über Jahre hinweg einen ideologisch weit rechts stehenden Präsidenten wie Hans-Georg Maaßen an der Spitze hatte. Genau dieser Verfassungsschutz ist maßgeblich an der Kriminalisierung maßgeblicher Teile der organisierten muslimischen Zivilgesellschaft beteiligt. Das BFV ist eine Einrichtung zum Schutz der Privilegien der extremen Mitte.

Kurzsichtigkeit

Dröge ordnet sich als Grüne wie der Kopf der Ampelkoalition in den rechten Diskurs ein, der letztendlich den Rechten und nicht der linksliberalen Koalition helfen wird. Und noch problematischer ist, dass sich dieser Diskurs letztendlich gegen sie selbst wenden kann: Wenn Grüne entmenschlicht werden, etwa indem sie zu Klimaterroristen umgedeutet werden und der Sicherheitsapparat mit aller Härte gegen sie vorgeht.


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