Die Nachrichtenagentur Anadolu enthüllte letzte Woche, dass französische Geheimdienste Kenntnis von der Finanzierung der Terrororganisation DAESH durch Lafarge hatten und die Situation zum eigenen Vorteil ausnutzten. Die Nachricht ist nicht unbedingt überraschend, wenn man die Rolle Frankreichs und anderer westlicher Mächte in Westasien genauer betrachtet.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Terrorfinanzierung
Gegen die französische Firma Lafarge wurde bereits im Juni 2017 ein Gerichtsverfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingeleitet. Dem Zementunternehmen wird vorgeworfen, im Zeitraum zwischen 2013 und September 2014 durch das syrische Tochterunternehmen Geld an Terrorgruppen, darunter DAESH, gezahlt zu haben, um das Werk in Syrien weiter in Betrieb zu halten. Es soll sich um circa 13 Millionen Euro gehandelt haben.
Das Unternehmen erkaufte sich damit Schutz von der Terrororganisation. Das Geld soll von DAESH für den Kauf von Rohstoffen verwendet worden sein.
Lafarge wies die Anschuldigungen der Terrorfinanzierung stets von sich, räumte jedoch ein, dass das syrische Tochterunternehmen Mittelsmänner bezahlte, um den sicheren Verkehr von Mitarbeitern und Gütern mit der Terrororganisation zu verhandeln.
2019 wies das Pariser Berufungsgericht eine Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit der Begründung ab, Lafarge habe nicht absichtlich mit Terroristen kooperiert. Anklagen wegen Terrorismusfinanzierung, Verstößen gegen das EU-Embargo und die Gefährdung menschlichen Lebens wurden hingegen zugelassen.
Das oberste Revisionsgericht in Paris entschied diese Woche, dass die Anklage gegen Lafarge zulässig ist. Das Gericht argumentierte, die Mitschuld sei darin gegeben, dass die Firma Millionenbeträge an die Terrororganisation im Wissen um deren kriminelle Ziele überwies.
Französische Geheimdienste und die Regierung wussten Bescheid
Aus den Dokumenten, die Nachrichtenagentur Anadolu vorliegen, geht hervor, dass Lafarge die französischen Geheimdienste kontinuierlich über ihre Verbindung mit DAESH unterrichtete. Allein in den Jahren 2013 und 2014 kam es zu mehr als 30 Treffen zwischen Lafarge und französischen inländischen, ausländischen und militärischen Geheimdiensten.
Die Dokumente zeigen, dass der französische Geheimdienst die Verbindungen der Firma mit DAESH selbst nutzte, um die eigenen Aktivitäten in der Region aufrechtzuerhalten und um Informationen zu sammeln. Ein Geheimdienstoffizier räumte im November 2018 vor Gericht ein, dass Lafarge seine Informationsquelle in Syrien war. Lafarge habe nicht nur DAESH, sondern alle bewaffneten Gruppen, einschließlich der Terrororganisation Al Nusra, mit Zement beliefert. Der Geheimdienst nutzte Lafarges Vernetzung opportunistisch aus. Die französischen staatlichen Institutionen wussten zweifelsohne Bescheid.
Frankreichs Handeln kann als verantwortungslos betrachtet werden, vor allem, weil gerade Frankreich aktiv am Krieg in Syrien beteiligt war und selbst mehrere Terroranschläge im eigenen Land erlebte.
In Syrien lieferte Frankreich Waffen an verschiedene gegen die Regierung gerichtete Gruppen und führte Luftangriffe gegen Stellungen von DAESH durch. In Frankreich selbst kam es zu mehreren Angriffen, wie denen am 13. November 2015. Bei einem von DAESH ausgeübten Terroranschlag wurden 130 Menschen getötet und über 400 verletzt. Am Abend zuvor verübte DAESH einen Terroranschlag in Beirut, bei dem 43 Menschen starben und über 200 verletzt wurden. Letzte Woche begann auch der Prozess gegen die Verantwortlichen des Anschlags vom November 2015. Es ist der größte Gerichtsprozess in der Geschichte Frankreichs.
Doch ist die Nachricht um Lafarge kein isoliertes Ereignis. Der Westen trägt eine Mitschuld am DAESH-Terror. Zum einen ebneten militärische Invasionen der USA und ihrer Verbündeten vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten ein Klima, aus dem DAESH entstehen konnte. Zum anderen trieben westliche Mächte aus militärischen und wirtschaftlichen Interessen die Konflikte in Syrien, Libyen, im Jemen und anderswo an. Terrorgruppen wurden dabei teilweise direkt unterstützt oder aus geopolitischen und strategischen Gründen toleriert, um die eigene Machtposition zu stärken.
Doch wie kann die französische Regierung es rechtfertigen, dass der eigene Geheimdienst mit genau der Gruppe in Kontakt war, die auf französischem Boden Anschläge verübte und die Bevölkerung in Schrecken versetzte?
Muslime spüren die Konsequenzen
Von den Konsequenzen dieser Politik ist vor allem die muslimische Bevölkerung im Westen betroffen. Nicht der Staat oder der Geheimdienst, sondern die muslimische Zivilbevölkerung, wird öffentlich in Verbindung mit Extremismus und Terrorismus gebracht.
Dies wird vor allem in Frankreich immer wieder deutlich. Die Regierung Macron schlägt seit Längerem eine islamfeindliche Politik ein und verschärft diese kontinuierlich durch neue Gesetze. Rechte und Freiheiten muslimischer BürgerInnen werden unter dem Vorwand von Menschenrechten, Sicherheit und Laizität zunehmend eingeschränkt. Um die rassistischen Maßnahmen zu rechtfertigen, bedient sich Macron der beliebten Narrative des Terrorismus. Macron bezeichnet dabei Gewaltverbrechen wie die Tötung des Lehrers Samuel Patty explizit als islamistischen Terrorismus und trägt so zur diskriminierenden Rhetorik bei.
Der Islam wurde von Mitgliedern seiner Regierung oft zum Feindbild erklärt. Muslime in Frankreich wurden dadurch unter Generalverdacht gestellt und sollten kollektiv für die Taten einzelner verantwortlich gemacht werden.
Analysiert man Frankreichs außereuropäische Politik, passen die neuesten Enthüllungen um den Geheimdienst zu den breiteren kolonialistischen und imperialistischen Bestrebungen Frankreichs. Die Rhetorik um Demokratie und Freiheit in Frankreich steht nicht nur im Kontrast zur Ausgrenzung der einheimischen Muslime, sondern auch zu Frankreichs Unterstützung despotischer Regime und Gruppen, besonders in Nordafrika und Westasien.
Das Ziel Frankreichs, die eigene Identität durch eine verstärkte Position in der Welt neu zu entdecken, ist während der Amtszeit Macrons, vor allem durch dessen persönliche Ambitionen, sich international politisch zu profilieren, nicht mehr zu ignorieren.
Die politische, finanzielle und militärische Unterstützung extremistischer Gruppierungen ist jedoch nicht neu. Sie zieht sich durch die moderne Geschichte Frankreichs und des Westens.