29.08.2021, Berlin: Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (hinten l-r, CDU), Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Olaf Scholz (SPD) stehen bei der Sendung im Fernseh-Studio in Berlin-Adlershof. (dpa)
Folgen

Knapp vier Wochen vor der Bundestagswahl fand das erste sogenannte TV-Triell zwischen der Kanzlerkandidatin und den Kanzlerkandidaten statt. Dieser Fernsehdebatte werden noch zwei weitere folgen, bei denen sowohl Laschet, Baerbock und Scholz als auch die Wahlprogramme im Fokus stehen werden. Seit geraumer Zeit lässt sich zudem ein interessanter Trend beobachten, demzufolge sich die mediale Aufmerksamkeit hauptsächlich der Kanzlerkandidatin und den Kanzlerkandidaten widmet. Das Interesse an den jeweiligen Wahlprogrammen der Parteien scheint dabei eher in den Hintergrund gerückt zu sein, was zur Folge hat, dass überwiegend über Personen statt über Wahlprogramme gesprochen wird. Zwar lässt sich noch nicht erahnen, in welche inhaltliche Richtung sich der Bundestagswahlkampf in den nächsten drei bis vier Wochen noch bewegen wird. Dennoch bleibt zu hoffen, dass insbesondere anlässlich der TV-Debatten die inhaltlichen Positionierungen der Kandidaten und letzten Endes auch die Wahlprogramme der Parteien konkreter behandelt werden.

Im politischen System Deutschlands wird bekanntermaßen die Bundeskanzlerin oder der Bundeskanzler nicht durch eine Direktwahl ins Amt gewählt. Die Mehrheit im Bundestag, die nach der Bundestagswahl die Regierung zu bilden imstande sein wird, entscheidet letztendlich über die Kanzlerfrage. Doch die Berichterstattung in den Medien, aber auch die seit einigen Jahren umso stärker bevorzugten sozialen Medien scheinen in letzter Zeit einen deutlicheren Schwerpunkt auf bestimmte Personen zu legen, in diesem Fall auf die drei KanzlerkandidatInnen. Höchstwahrscheinlich war ein ähnliches Interesse hinsichtlich Spitzenkandidaten auch in der Vergangenheit sowohl seitens Parteien als auch seitens der Bevölkerung präsent. Doch mittlerweile scheint es teilweise den Eindruck zu erwecken, als fände am 26. September eine Direktwahl des Bundeskanzlers statt.

Durch die Digitalisierung, die Nutzung von sozialen Medien und die Veränderung der politischen Landschaft scheint sich derzeit auch in Deutschland das Hauptinteresse in Richtung „Spitzen- bzw. KanzlerkandidatInnen“ zu verlagern. Zwar hat es in Deutschland keine verfassungsrechtlichen Schritte in dieser Richtung gegeben. Dennoch könnte derzeit der Eindruck entstehen, dass insbesondere die genannten Persönlichkeiten/Akteure eine größere mediale Aufmerksamkeit genießen als ihre Parteien bzw. Wahlprogramme.

Die Gründe dafür könnten darin liegen, dass traditionelle Volksparteien gegenwärtig deutlich geringere Stimmenanteile erhalten, was zur Folge haben könnte, dass statt Parteien nun bestimmte beliebte Akteure aus der Politik noch deutlicher in das öffentliche Interesse rücken. Bezüglich Veränderungen der Stimmenanteile der Parteien brachte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kürzlich Folgendes zum Ausdruck: „Die Zeiten scheinen erst mal vorbei, in denen Parteien die Bundestagswahlen mit 35 oder 40 Prozent gewinnen.“ Zudem werde Scholz zufolge die nächste Bundesregierung voraussichtlich aus drei Partnern bestehen. Scholz, der bereits im August 2020 als SPD-Kanzlerkandidat nominiert wurde, gilt heute als der beliebteste Politiker Deutschlands. Es wäre womöglich nicht falsch zu behaupten, dass Scholz von diesem Trend gegenwärtig am meisten profitiert. Er selbst scheint sich dieser aktuellen Veränderung vor allem hinsichtlich des Wahlkampfs und der Erwartungen der Bevölkerung und Medien während dieser Zeit bewusst zu sein. Viele Analysen unterstreichen in diesem Sinne seine Strategie, die in gewisser Weise auch mit der Art von Bundeskanzlerin Angela Merkel verglichen wird.

Der Vorteil dieses aktuellen Trends könnte darin liegen, dass Personen/KanzlerkandidatInnen im Verhältnis zu ihren Parteien, die komplexere Strukturen und unterschiedliche Gruppierungen aufweisen, viel einfacher Vorstellungen bezüglich zukünftiger Politikvorhaben und Ziele vermitteln können. Auch könnte es für diese Personen von Vorteil sein, sich auf die eigene erfolgreiche politische Karriere zu beziehen, was bei den Wählern zu einem stärkeren und persönlicheren Vertrauensgefühl führen könnte.

Allen Positionen und sogar der eigenen Persönlichkeit der KanzlerkandidatInnen zum Trotz bleibt es aber dabei, dass für eine Regierungsbildung eine Mehrheit im Bundestag benötigt wird. Zudem kann teilweise in Vergessenheit geraten, dass nach wie vor in Deutschland das föderale Prinzip gilt. Je mehr ein Spitzenkandidat – und ohne Parteibezug – im Vordergrund steht, ob während des Wahlkampfs oder anschließend auch als Bundeskanzler/in, umso häufiger kann dies zu falschen Erwartungen an diese Person führen. In diesem Sinne sollte beispielsweise an die Anfangsphase der Corona-Pandemie erinnert werden, als von der Bundesregierung oder sogar direkt von der Bundeskanzlerin bestimmte Maßnahmen erwartet wurden, obwohl die entscheidenden Kompetenzen dazu bei den Ländern liegen. Verglichen wurde mit Frankreich oder auch mit den USA, obwohl in diesen Staaten andere verfassungsrechtliche Grundlagen bezüglich der Exekutive gelten.

Bei der diesjährigen Bundestagswahl treten zum ersten Mal drei KanzlerkandidatInnen an, die sehr stark im Fokus der Medien, aber auch der Bevölkerung stehen. Die Frage aber, ob sich dieser Trend auch in Zukunft etablieren oder nur von temporärer Bedeutung sein wird, lässt sich aktuell nicht vorhersagen. Obwohl KanzlerkandidatInnen generell eine wichtige Rolle bei den Bundestagswahlen spielen, scheint es zumindest derzeit, als würden auch in Deutschland die Parteien immer weiter in den Hintergrund geraten.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com