Angesichts sinkender Corona-Infektionszahlen, steigender Impfquoten und der Aussicht auf weitere Lockerungen wächst die Hoffnung der Bevölkerung in Deutschland auf eine entspannte Zeit. Die Menschen blicken nach einem düsteren Jahr der Beschränkungen mit Optimismus einem gelassenen Sommer entgegen. Die Zuversicht scheint in greifbarer Nähe: Lachen. Ballspielen. Grillen. Ausgehen. Nach mehr als einem Jahr der Pandemie ist das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr weit. Tagtäglich öffnen immer mehr Bereiche. Sicher, nicht alles kann ein Impfstoff unter Kontrolle bringen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der in einem Interview türkische, albanische und Einwanderer aus Ex-Jugoslawien entschieden vor Familienbesuchen in ihre Heimatländer warnte und damit andeutete, sie hätten die Hauptschuld an den Corona-Infektionszahlen zu tragen, ist so ein Beispiel für einen außer Kontrolle geratenen Politiker.
Populistische Aussagen über Migranten und sozial Benachteiligte
Spahn sagte wörtlich: „Wir haben aus dem vergangenen Sommer gelernt. Damals haben die Auslandsreisen, häufig Verwandtschaftsbesuche in der Türkei und auf dem Balkan, phasenweise rund 50 Prozent der Neuinfektionen bei uns ausgelöst. Das müssen wir in diesem Jahr verhindern.“ Die verhöhnenden Bemerkungen des Ministers waren keineswegs staatsmännisch. Sie waren aber auch nicht neu. Sie können vielmehr als billig und schmierig, hasserfüllt und arglistig gedeutet werden. Vielleicht wollte Spahn mit seinem Statement auch nur das tun, was er am besten kann: Populismus auf Kosten von Minderheiten, sozial Benachteiligten und Schwachen. Menschen in Misskredit bringen, Ängste schüren, Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht stellen. Dafür ist der Politiker nicht unbekannt. Die Zeitung, die dem Minister ein Forum für seine Tiraden gegenüber Migranten bot, ist in Bezug auf Populismus und das Diffamieren von Minderheiten und Unterprivilegierten ebenfalls nicht minder belastet. Der CDU-Politiker Spahn tritt schon lange als bekennender Gegner von Angela Merkels Flüchtlingspolitik auf. Außerdem ist er bekannt dafür, sich für die Begrenzung der doppelten Staatsbürgerschaft, für die Einführung eines Islamgesetzes und die Schaffung eines Moschee-Registers einzusetzen.
Ein überheblicher Minister, der den Bezug zur Lebensrealität verloren hat
Auch für seine herabwürdigenden Ansichten zum Thema Sozialhilfe- sowie Hartz-IV-Empfänger ist der Minister bekannt: „Hartz IV bedeutet nicht Armut“, hatte Jens Spahn gesagt. Annegret Kramp-Karrenbauer, damalige CDU-Generalsekretärin, wies Spahn darauf hin, dass gut verdienende Politiker besser nicht „versuchen zu erklären, wie man sich mit Hartz IV fühlen sollte“. Soviel zur ungesunden Empathiefähigkeit des Ministers, der für die Gesundheit der Bevölkerung zuständig sein soll.
Für die Türkei hat Sicherheit oberste Priorität bei Corona
Spahn sagte in dem besagten Interview weiter, die Bundesregierung wolle wieder „Vereinbarungen etwa mit der Türkei über Tests bei der Ein- und Ausreise abschließen. Und eine Testpflicht müsste wie im letzten Jahr von den Bundesländern an der Grenze kontrolliert werden.“ In der mutmaßlichen Endphase der Pandemie gelte, so der Minister, für Auslandsreisende folgender Grundsatz: „Testen und wachsam sein. Alles andere gefährdet unseren Erfolg.“ Möglicherweise ist es dem Gesundheitsminister entgangen: Die Türkei geht bei den Grenzkontrollen, sowohl bei der Ein- als auch bei der Ausreise, sehr genau vor und kontrolliert alle Menschen auf eine Corona-Erkrankung.Ausreisende müssen innerhalb von 48 Stunden vor der Rückkehr nach Deutschland in der Türkei einen PCR-Test machen. Fällt dieser positiv aus, müssen sie sich in der Türkei in Quarantäne bzw. ärztliche Behandlung begeben, sodass eine Rückreise nach Deutschland dann ohnehin nicht mehr möglich ist.
Es bleibt abzuwarten, ob Spahn sich mit dieser stigmatisierenden Entgleisung auf Kosten von Migranten für weitere repräsentative Aufgaben und künftige verantwortungsvolle Regierungsämter disqualifiziert hat oder für die abscheulichen Äußerungen sogar noch belohnt werden könnte. Denn Politik auf dem Rücken von Migranten hat gerade – aber nicht nur – in der CDU/CSU eine lange Tradition. Dass Jens Spahn gerade jetzt die „Ausländerkarte“ spielt, kommt nicht von ungefähr.
Maskenaffäre bringt Spahn in die Defensive
Womöglich sieht der Bundesgesundheitsminister die Sündenbocktaktik als letzten Rettungsweg aus seiner politischen und persönlichen Krise. Erst zog der angeblich aussichtsreiche Kandidat um den CDU-Vorsitz gegen seine Parteikollegen den Kürzeren. Dann kam heraus, dass das Gesundheitsministerium unter Spahn Corona-Masken gekauft haben soll – und zwar von einer Firma, bei der Spahns Ehemann Daniel Funke als Lobbyist tätig ist. Demnach habe das Ministerium im vergangenen Jahr FFP2-Schutzmasken von der Burda GmbH gekauft. Das deutet ganz klar auf Interessenkonflikte hin, weil Spahns Ehemann Daniel Funke als Lobbyist und Büroleiter von Burda in Berlin arbeitet. Es gehe um 570.000 FFP2-Masken, welche die Firma, bei der Spahns Ehemann tätig ist, an Spahns Ministerium verkauft haben soll. Nach dieser Affäre hatte Linken-Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler den Rücktritt von Spahn gefordert. Konsequenzen hat der Minister aus dieser Art der Vetternwirtschaft nicht gezogen. Ob die Affäre bei der Bundestagswahl dem Noch-Minister helfen oder schaden wird? Wir werden es sehen.
Das Versagen als Krisenmanager
Ein weiteres Dilemma für den Gesundheitsminister ist sein miserables Zeugnis im Umgang mit der Corona-Pandemie. Noch im März 2020 galt Jens Spahn als der gefeierte Krisenmanager. Aber ein Jahr später bewerteten die Deutschen Spahns Arbeit mehrheitlich als weniger gut oder sogar schlecht. Als Gründe werden die Serien an Unvermögen, Pannen und Affären um den arrogant wirkenden Populisten genannt. Der Gesundheitsminister verlor infolge der Corona-Pandemie mehr und mehr an Zustimmung, geriet durch das langsame Vorankommen der Impfkampagne sowie die nicht bestellten Selbsttests – manche sprachen sogar von einem „Schnelltest-Debakel“ – zunehmend in Kritik. Auch parteiintern erhält Spahn für seine katastrophale Leistung die Rechnung. Laut Friedrich Merz verunsichere Jens Spahn die Bevölkerung, belaste die Wirtschaft und leiste mit seinem widersprüchlichen Vorgehen und seinen absurden Vorschlägen keinen Beitrag für die Lösung der aus der Corona-Pandemie entstandenen Probleme.
Biontech-Gründer sind türkeistämmig
Jens Spahn sollte sein offenes Versagen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie eingestehen und nicht dadurch überdecken, dass er Migranten den Schwarzen Peter zuschiebt. Sein Versuch, billigen Wahlkampf auf dem Rücken von Minderheiten zu machen, ist zum Scheitern verurteilt. Vielleicht sollte der Gesundheitsminister statt auf die Türkei oder den Balkan lieber auf den beschaulichen Tiroler Wintersportort Ischgl schauen, wo sich im März 2020 Tausende Menschen bei ausgelassenen Feiern mit dem Corona-Virus infizierten. Oder entspricht diese Klientel nicht dem vorurteilsbehafteten Bild eines Jens Spahn? Ich frage mich auch, ob der Bundesgesundheitsminister weiß, dass die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Uğur Şahin türkischer Herkunft sind. Diesen beiden Menschen, die aus der Türkei stammen und mit ihrem Impfstoff derzeit „die Welt retten“, verdanken wir sehr viel, ja sogar unsere Gesundheit.