Die Entwicklung der medizinischen Versorgung
Die Osmanen förderten diverse Wissenschaften, die in den vorangegangenen Jahrhunderten insbesondere von ihren arabischen und persischen Glaubensgeschwistern in den verschiedensten Bereichen auf faszinierende Art und Weise ausgearbeitet worden waren. Zu den wichtigsten Wissenschaften, welche die Osmanen weiter vorantrieben, gehörte die Medizin. Schon die Seldschuken gründeten moderne Krankenhäuser in Anatolien, die später von den Osmanen weiter ausgebaut wurden. Die erste Krankenanstalt, die von den Osmanen gebaut wurde, entstand bereits 1394 in Bursa. Diese medizinischen Versorgungszentren wurden unter anderem Dârüşşifa (ursprünglich arabisch; Haus der Heilung), Dârüssıhha (ursprünglich arabisch; Haus der Gesundheit), Bîmâristan (ursprünglich persisch; Krankenhaus), Şifahâne und Bîmârhâne (türk. Krankenhaus) oder Tımarhâne (Psychiatrie) genannt. Oft werden diese Begriffe synonym verwendet. Alle Anstalten legten ursprünglich ihren Fokus auf die Behandlung psychisch Kranker.
Besonders bemerkenswert ist dabei, dass schon damals eine holistisch medizinische Sicht auf Erkrankungen gefördert wurde, wie sie heute immer stärker eingesetzt wird. Bei dieser sogenannten ganzheitlichen Medizin wird der Mensch als Einheit von Körper, Geist und Seele betrachtet und zusätzlich im Zusammenhang mit seiner Umwelt. Somit wurde darauf Wert gelegt, dass nicht nur die augenscheinlichen Symptome einer Erkrankung behandelt wurden, sondern die seelischen und körperlichen Ursachen dahinter ausfindig gemacht und entsprechend therapiert wurden.
Der formelle Aufbau der Krankenanstalten
Die osmanischen Krankenhäuser wurden wie in anderen muslimischen Gebieten von Stiftungen (vakıf) finanziert und waren daher politisch unabhängig. In den Stiftungsstatuten wurde betont, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Kultur, ihrem Status oder der Religion behandelt werden sollen und bis zur vollständigen Genesung das Recht haben, in der Anstalt zu bleiben.
Die Krankenanstalten der Osmanen bestanden aus einem großen Gebäudekomplex und beinhalteten neben dem Krankenhaus oftmals auch eine Moschee, eine Armenküche, ein Hamam, Gästezimmer (Kervansaray), ein Lebensmittelgeschäft und eine Medrese, in der Medizinstudenten ausgebildet wurden, die dann nach Absolvierung ihres Studiums in der Krankenanstalt arbeiten konnten.
Eine Auswahl der berühmtesten Krankenhäuser
Eines der frühesten Krankenhäuser in Anatolien ist die vom Herrscherhaus der Artukiden (Artukoğullari Beylik) in Mardin errichtete Emüniddin Darüşşifası. Sie wurde 1123 fertiggestellt. Der Gebäudekomplex beinhaltete neben dem Krankenhaus noch eine Moschee, einen Hamam und eine Medrese. Heute bestehen nur noch Moschee und Hamam.
Eines der berühmtesten Krankenhäuser der Seldschuken ist das in Kayseri liegende Gevher Nesibe Darüşşifası ve Tıp Medresesi aus dem Jahre 1206. Es wurde von Gevher Nesibe Sultan, der Tochter von Kılıçarslan II., in Auftrag gegeben. Im Komplex befand sich eine der wichtigsten medizinischen Fakultäten. Heute ist dort ein medizinhistorisches Museum untergebracht.
Mit den Eroberungen der Osmanen wurden viele neue Krankenhäuser gebaut, insbesondere in den neuen Hauptstädten. Das Yıldırım Darüşşifası wurde vom Osmanischen Sultan Yıldırım Beyazıt IV. 1394 in Bursa errichtet. Das nach einem verheerenden Erdbeben größtenteils zerstörte Gebäude wurde wieder aufgebaut und dient heute als Zentrum für Augenheilkunde.
Das bekannteste Krankenhaus ist zweifelsohne das von Beyazıd II. in Edirne errichtete Darüşşifa. Der berühmte osmanische Reisende Evliya Çelebi beschreibt in seiner Seyahatnâme (Reisebericht) das Krankenhaus mit seiner Einrichtung und seinem besonderen Genesungsprogramm. Der Baukomplex mit zahlreichen Kuppeln beinhaltete unter anderem eine Madrasa mit 18 Studentenzimmern, eine Moschee, ein Armenhaus, eine große Küche, Gästezimmer, eine Waschküche und Geschäfte. In der Mitte unter der Hauptkuppel befand sich ein Brunnen. Heute ist das Haus der Heilung in Edirne wie die meisten anderen historischen Krankenanstalten ein Gesundheits- und Medizinmuseum. Das Gebäude zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Die meisten Krankenhäuser wurden später in Istanbul gebaut, denn fast jede große Sultansmoschee wurde auch mit einem Krankenhaus ausgestattet, sodass sich im 17. Jahrhundert etwa 110 Krankenhäuser in Istanbul befanden.
Aromatherapie und Musiktherapie für psychische Erkrankungen
Während in Europa vermeintliche Teufelsaustreibungen oder im schlimmsten Fall Verstoßungen und Verbrennungen de Umgang mit psychisch Erkrankten kennzeichnete, benutzten die Osmanen bereits Düfte, Klänge und Musik, um die Betroffenen zu stabilisieren und ihnen zur Genesung zu verhelfen.
Mehrmals wöchentlich besuchten Musikgruppen die Krankenhäuser und gaben Konzerte. Auch Wassergeräusche wurden zur Beruhigung und emotionalen Stabilisierung eingesetzt. Heute erfreuen sich klangtherapeutische Anwendungen auch in Europa immer größerer Beliebtheit. Klänge beeinflussen Gefühle und Empfindungen. Sie wirken beruhigend und stressabbauend. Man geht davon aus, dass die Schallschwingungen ins Unterbewusstsein dringen und Emotionen und Gemüt positiv beeinflussen.
Daneben kamen diverse Blumen und Räucherwerk in den Krankenanstalten zum Einsatz, welche auch heutzutage im Rahmen der Naturheilmedizin unter der Bezeichnung Aromatherapie Verwendung finden. Die Aromatherapie gehört zum Bereich der Pflanzenheilkunde und wird auch Phytotherapie genannt, da die essentiellen Öle mithilfe unterschiedlicher Methoden aus Pflanzenteilen wie Blüten, Rinde oder Wurzel extrahiert werden. Diese Öle stärken sowohl den Körper als auch Geist und Seele. Sie können einen antibakteriellen, antibiotischen und antiviralen Effekt haben. Außerdem weisen Studien darauf hin, dass eine Therapie mit Düften die Angst signifikant verringert, die Schlafqualität erhöht und depressive Verstimmungen mildert.
Räucherwerk kommt noch heute in der islamischen Kultur in aller Welt vielseitig zum Einsatz. In vielen muslimisch geprägten Ländern werden beispielsweise Moscheen freitags geräuchert, wie auch bei religiösen Zusammenkünften zur Andacht.
Oftmals befanden sich ehrenamtliche Derwische in den Krankenhäusern und unterstützten die Therapie psychisch Kranker. Durch Gebete, Koranlesungen und positive Zusprüche versuchten sie die Kranken spirituell zu stärken. Heute ist ihre Rolle mit Krankenhausseelsorgern vergleichbar.
Neben den Behandlungsformen wurde auch ein Ernährungsplan aufgesetzt und auf eine ausgewogene, gesunde Ernährung der Patienten besonders geachtet.