Vor drei Tagen verstarb der deutsche Diplomat und Träger des Bundesverdienstkreuzes Murad Wilfried Hofmann. In seinem 88-jährigen Leben diente er 33 Jahre dem Auswärtigen Amt und verfasste mehr als 22 Werke. Unter anderem studierte er an der Harvard Law School Amerikanisches Recht und gab als Student Tanzunterricht. Lange Zeit war er als Ballettkritiker tätig. Der ehemalige Christ konvertierte infolge seiner Erlebnisse während des Algerischen Unabhängigkeitskrieges zum Islam. Als Beirat und Ehrenmitglied des Zentralrats der Muslime in Deutschland (ZMD) hielt er Vorträge in den USA, Westeuropa und der islamischen Welt. Seine Veröffentlichungen haben überwiegend Aspekte des Islams zum Gegenstand. Der deutsche Islamrat sprach sein Beileid aus: „Mit seinem Tod haben wir eine Persönlichkeit verloren, die eine intellektuelle Bereicherung für die Muslime in Deutschland war.“
Mehmet Alparslan Çelebi, der stellvertretende Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, kannte Hofmann persönlich. Ihm mehrmals begegnet zu sein, bezeichnet er als eine Ehre. Bei einem Interview hat er TRT Deutsch Fragen zu der Person Hofmanns und dessen Wirken im In- und Ausland beantwortet:
Herr Çelebi, Sie haben Murad Hofmann persönlich gekannt. Was hat Herr Hofmann als Diplomat und Autor in Deutschland und auswärts bewegt?
Als Student und im Rahmen meiner ehrenamtlichen Arbeit in muslimischen Organisationen in Deutschland hatte ich die Ehre, Murad Hofmann mehrmals zu treffen. Er war seit 1961 im Auswärtigen Amt tätig und bekleidete hier wichtige Funktionen, u.a. leitete er die deutsche Delegation bei den Verhandlungen beiderseitiger und ausgewogener Truppenverminderungen in Europa sowie das Referat „NATO und Verteidigung“ in Brüssel. Nachdem er 1980 zum Islam konvertierte, führte er seine Arbeit im Auswärtigen Amt fort, vor allem als Botschafter in den muslimischen Ländern Algerien und Marokko. In dieser Zeit unterhielt er sehr enge Beziehungen zu muslimischen Denkern sowie Diplomaten weltweit. In intellektuellen Kreisen belebte er den Diskurs über einen Islam in der Moderne, beispielsweise durch sein Werk „Ein philosophischer Weg zum Islam“, was er bereits 1981 verfasste. In seinen weiteren Publikationen zum Islam griff er relevante Themen zur Staats- und Rechtsauffassung, die Beziehung zu anderen Religionen und gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Aspekte auf. Dabei setzte er diese in einen zeitgenössischen Kontext, was vor allem im Westen sehr erfrischend für das Islamverständnis war. Seine sehr verwurzelte Haltung, seine Fähigkeit, Realitäten und Entwicklungen weltweit zu verstehen, der enorme Erfahrungsschatz aus seiner Zeit im Auswärtigen Amt sowie seine breite intellektuelle Basis haben ihn aus meiner Sicht zu einem der wichtigsten und einflussreichsten Denker der Muslime gemacht.
Wie würden Sie die Persönlichkeit des Intellektuellen Hofmann beschreiben? Haben Sie eine Anekdote mit ihm?
Für mich persönlich war vor allem seine Fähigkeit, Theorie und Praxis zu verbinden und Zeit und Raum in seinen Ausführungen zu berücksichtigen, eines der bedeutendsten Merkmale von Murad Hofmann. Selten kommt es vor, dass Denker neben einer intellektuellen Basis auch auf praktische Erfahrungen in zahlreichen Lebensrealitäten und Kulturen aufbauen können.
Ich erinnere mich, dass Murad Hofmann 2004 zu einem Vortrag an der Goethe Universität eingeladen war. Das Thema war die Zukunft des Islams in Deutschland vor dem Hintergrund der damals jüngsten Anschläge vom 11. September 2001. Auch in Deutschland wehte ein rauer Wind. Die Debatte über die Konformität von Islam und Demokratie wurde emotional und lautstark auf verschiedenen Ebenen geführt. Die mehrheitsgesellschaftliche Haltung zum Islam in Deutschland nahm eine negative Wende. Während des Vortrags kam die Frage auf, wie Muslime in Deutschland ihren Mitmenschen den Islam als friedliche Religion näherbringen können, um Vorurteile abzubauen. Seine Antwort war sehr simpel, dennoch prägend. Er sagte, dass der einzige Weg, negative Annahmen einem Glauben gegenüber zu verringern, durch das Vorleben der ihm zugrundeliegenden Werte sei. Wenn Muslime als gerechte, fleißige und mitfühlende Mitmenschen auffielen, würde ihr Gegenüber keinen Monolog über die Schönheit des Islams benötigen, der so in seiner Form auch nicht glaubwürdig wäre. Verkörpere man stattdessen als Muslim einen guten Menschen, so würden Mitbürger sie als pflichtbewusste und angenehme Individuen wahrnehmen, und ein Zusammenleben begrüßen. Ich denke, Murad Hofmann hat Muslime oder Nicht-Muslime genau mit dieser Haltung stets begeistern und mitreißen können.
Er ging mit seiner Konversion zum Islam offen um. Wie fielen die Reaktionen darauf aus?
Ich glaube 1980 war eine andere Zeit als heute. Die Menschen weltweit waren offener für Gedanken und sie waren empfänglicher für das Fremde. Es gab soweit ich weiß keine großen Kontroversen über seine Konversion zum Islam. Ganz im Gegenteil konnte er seine Leitungsfunktionen im Auswärtigen Amt vermehrt in muslimischen Ländern fortführen. Auch seine zahlreichen Werke, die während seiner Zeit im Auswärtigen Amt entstanden sind, wurden zunächst offen aufgenommen. Anfang der 90er kamen dann erste größere kritische Beiträge in den deutschen Medien, die vor allem das Buch „Islam als Alternative“, welches Hofmann 1992 schrieb, als Angriff auf das freiheitlich-demokratische Verständnis sahen. Dabei handelte es sich bei den Beiträgen mehr um emotionale als rational-kritische Beiträge.
Welche Vision, denken Sie, liegt Murad Hofmanns lebenslangem Schaffen unter anderem in seiner Funktion beim ZMD zugrunde?
Auf diese Frage kann ich nur mit meiner eigenen Einschätzung antworten, die ich aus dem Studium seiner Werke und seiner Vorträge ableiten kann. Ich bin davon überzeugt, dass Murad Hofmann fest daran geglaubt hat, dass die sich in einer geistigen Krise befindende islamische Welt durch die Muslime in Europa aus der geistigen Ohnmacht erweckt und die jahrhundertelange Tradition der geistigen Wissenschaften durch die Muslime wieder aufgenommen wird. Als deutscher Muslim hat er den Islam in jeder Sicht als Bereicherung für das Leben und als Ausweg aus der Krise der Moderne gesehen und wollte diese Überzeugung mit einer rationalen und verständlichen Sprache mit Menschen weltweit teilen. Im Zuge seiner ehrenamtlichen Arbeit auf unterschiedlichen Plattformen, unter anderem auch als Ehrenmitglied des Zentralrats der Muslime in Deutschland, setzte er sich dafür ein, dass Menschen diese Herausforderung annehmen.
Möge Allah ihn für seine Anstrengungen belohnen. Seiner Familie wünsche ich viel Kraft und Geduld und drücke mein herzlichstes Beileid aus.