Fatima al-Fihri war die Gründerin von al-Qarawiyin in Fes, der weltweit ersten Universität. (stylist.co.uk)
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von Ufuk Necat Taşçı

Vor über tausend Jahren, als Europa mit den Herausforderungen des Mittelalters ringen musste, leuchteten der Nahe Osten und Nordafrika im Lichte des Wissens. Unter dem abbasidischen Kalifat (750-1258 n. Chr.) erlebte die gesamte Region ihre Blütezeit. Bemühungen um universelle Wissenschaft und experimentelle Forschung waren hoch anerkannt. Hoffnung und Weltoffenheit kennzeichneten die Städte von der levantinischen Region bis zu den Küsten des heutigen Marokko – bereichert von unterschiedlichen Kulturen und Traditionen, die hier beheimatet waren.

In dieser Epoche, die von Historikern als „Goldenes Zeitalter des Islam“ bezeichnet wird, gründete eine junge muslimische Frau namens Fatima al-Fihri 859 n. Chr. die Universität al-Qarawiyin in Fes, Marokko. Nach Angaben der Vereinten Nationen, der Manchester University, des Guinness-Buchs der Rekorde sowie weiterer zuverlässiger Quellen ist al-Qarawiyin die älteste Universität der Welt, die noch heute in Betrieb ist.

Erst zwei bis acht Jahrhunderte später wurden renommierte wissenschaftliche Bildungseinrichtungen wie die Universitäten von Oxford, Cambridge, Bologna und Columbia gegründet.

Genauso wie heute in den modernen Universitäten üblich, veranstaltete al-Qarawiyin schon damals regelmäßig Debatten, Symposien und förderte auf diese Weise den Wissensaustausch und die Entwicklung von Wissenschaften. In den Haupt- und Nebengebäuden der Universität befanden sich zudem mehrere Bibliotheken, die einflussreiche Werke beherbergten.

Die historische Bibliothek ist auch gegenwärtig für die Öffentlichkeit zugänglich und zeigt Fatimas Originaldiplom, das auf ein Holzbrett eingemeißelt wurde. Über mehr als 4000 wertvolle Manuskripte zu verschiedenen Themen verfügt die Bibliothek - darunter das Werk „Al-Muqaddimah“ aus dem 14. Jahrhundert vom berühmten muslimischen Historiker Ibn Khaldun. Mit seinen Thesen zu Gesetzmäßigkeiten in den Gesellschaftsdynamiken gilt er als Pionier der Soziologie.

Ein Raum der Begegnung und Wissensförderung

Ende des 20. Jahrhunderts war der Gebäudekomplex der Universität vom Verfall bedroht – immerhin hatte die Bildungseinrichtung viele Jahrhunderte und eine große Zeitgeschichte auf dem Buckel. Vor einigen Jahren erfolgte glücklicherweise die Rettungsaktion: Die marokkanische Regierung beauftragte eine in Toronto ansässige Architektin, Aziza Chaouni, mit der dringend benötigten Restauration.

Bedauerlicherweise wurden in der Zwischenzeit aufgrund mangelnder Pflege einige seltene Manuskripte in Mitleidenschaft gezogen. Einige dieser Originalschriften waren von den größten Gelehrten und Wissenschaftlern des Mittelalters verfasst worden.

Trotz alledem hat die Universität ihren Charakter der zuverlässigen Wissensquelle beibehalten können. Abdelfattah Bougchouf, der Kurator der Bibliothek von al-Qarawiyin, sagte 2016 in einem Interview von Al Jazeera, dass Menschen aus der ganzen Welt zu ihm kämen, um die Sammlung alter Manuskripte zu überprüfen.

Al-Qarawiyin hat im Mittelalter die globale Wissenschaft weitreichend beeinflusst und die Zukunft der Menschheit mitgestaltet.

Die Universität al-Qarawiyin befindet sich in Fes, Marokko. Sie gilt als die erste Universität der Welt. (Google Maps)

Die Universität wurde nach dem Konzept der Hochschulbildung gegründet, wie wir es heute kennen. Al-Fihris Idee war es, einen sozialen Raum der Begegnung und des Austausches zu schaffen, um fortschrittliches Lernen und Lehren zu ermöglichen. Helle philosophische und wissenschaftliche Köpfe sollten hier zusammenkommen, um sich gegenseitig zu bereichern und ihr kostbares Wissen auf der ganzen Welt verbreiten zu können. Die Idee dieser weitblickenden Frau ging mit Erfolg auf.

Die Universität al-Qarawiyin entwarf erstmals in der Weltgeschichte eine professionelle und institutionelle Lernstruktur, die in den folgenden Jahrhunderten in Europa Widerhall fand. Europa erkannte das immense Potential hinter diesem Konzept und ließ sich bei der Gründung seiner ältesten Institutionen - darunter die Universität von Bologna (gegründet 1088) und die Universität von Oxford (gegründet um 1096) - von al-Qarawiyin inspirieren.

Visionärin und Wohltäterin: Fatima al-Fihri

Fatima al-Fihri wurde 800 n. Chr. in Tunesien geboren. Sie war die Erbin einer Finanzdynastie, die an die Wissenschaft, die Kraft der Logik und das Denken glaubte. Als sie nach dem Tod ihres Vaters ein großes Vermögen erbte, war sie bereits nach Fes gezogen, die in der damaligen Zeit eine geschäftige Weltstadt war. Dort angekommen investierte sie einen Großteil ihres Vermögens in die Gründung einer Moschee und einer Bildungseinrichtung – der Universität al-Qarawiyin.

Laut Abdul Majid al-Mardi, dem Imam an der Moschee der Universität, welche übrigens zu den ältesten Bauwerken auf dem Gelände gehört, war al-Fihri eine Visionärin. „Sie hat ein großes Erbe hinterlassen. Dieses Gebäude ist ein Leuchtfeuer der Wissenschaft. Die Universität hatte große Auswirkungen auf verschiedene Kulturen und Zivilisationen. Sie war eine Quelle der Innovation“, erklärte er Al Jazeera im Jahr 2016.

Der Bau der Universität begann, nachdem al-Fihri ein Stück Land vom Stamm der El-Hawara gekauft hatte. Der Grundstein wurde im heiligen Monat Ramadan gelegt und die Bildungsstätte wurde nach ihrem Geburtsort Qayrawan in Tunesien benannt.

Neben berühmten muslimischen Gelehrten und Intellektuellen wie Ibn Ruschd absolvierten genauso Menschen anderer Glaubensrichtungen die Universität. Auch der jüdische Philosoph Maimonides soll unter den ausländischen Alumni gewesen sein, ebenso Gerbert von Aurillac, besser bekannt als Papst Silvester II. Laut einigen Historikern soll er sogar der Erste gewesen sein, der in Europa arabische Ziffern einführte.

TRT Deutsch