NSU-Mord an Ismail Yaşar jährt sich zum 17. Mal – Fragezeichen bleiben (dpa)
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Vor genau 17 Jahren ist Ismail Yaşar vor seinem Dönerimbiss in Nürnberg erschossen worden. Auf den damals 50-Jährigen wurden acht Kugeln abgefeuert. Yaşar war das sechste Opfer der Mordserie des erst 2011 aufgeflogenen „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU). Die Stadt Nürnberg hatte vergangene Woche zum Gedenken einen Platz nach İsmail Yaşar benannt.

Allein in Nürnberg ermordete der NSU zwischen 2000 und 2007 drei Menschen mit Migrationshintergrund. Das NSU-Trio bestand aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Insgesamt tötete das Trio neun Gewerbetreibende türkischer und griechischer Herkunft ausschließlich ihrer ethnischen Zugehörigkeit wegen. Das letzte und zehnte Opfer des NSU-Trios war die deutsche Polizistin Michèle Kiesewetter. Nach einem Banküberfall begingen Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 in Eisenach aus Angst vor Entdeckung Selbstmord – erst an jenem Tag wurde bekannt, dass die ungeklärte Mordserie einen rechtsterroristischen Hintergrunde hatte. Zschäpe wurde im Juli 2018 wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.

Obwohl der NSU-Prozess eines der größten und längsten Verfahren im Zusammenhang mit terroristischen Bestrebungen innerhalb des Rechtsextremismus war, sind viele Fragen unbeantwortet geblieben. Über die besondere Bedeutung des Falls Yaşar sprach Caro Keller vom Blog „NSU-Watch“ mit TRT Deutsch.

Hätte der NSU-Mord an Ismail Yaşar damals schon aufgeklärt werden können?

Der Mord an İsmail Yaşar sticht im NSU-Komplex heraus und hätte eine Wende in den Ermittlungen bedeuten können und müssen. Der NSU ermordete ihn genau ein Jahr nach seinem Nagelbombenanschlag auf die Kölner Keupstraße. Nach dem Anschlag auf die Keupstraße wurde von den Überlebenden und auch von einigen Journalisten öffentlich über ein mögliches rechtes Motiv gesprochen und berichtet. Es gab in Köln außerdem Aufnahmen einer Überwachungskamera, auf dem die Täter mit ihren Fahrrädern zu sehen waren.

Beim Mord an İsmail Yaşar gab es ebenfalls Augenzeuginnen und Augenzeugen, die Täter mit Fahrrädern sahen, sie halfen bei der Anfertigung von Phantombildern. Die Polizei wurde mehrfach auf die Ähnlichkeiten der Täter aufmerksam gemacht, sowohl von einer Zeugin als auch von einem Journalisten des Kölner Stadtanzeigers. Die Polizei wollte jedoch diesen Zusammenhang nicht erkennen und wies ihn zurück. Später zeigte sie das Überwachungsvideo aus Köln doch noch Zeugen der Morde, doch diese waren sich nicht sicher, weil so viel Zeit vergangen war.

Warum hat das NSU-Trio Yaşar ausgewählt?

Der NSU hat die Mord- und Anschlagsopfer nach rassistischen Motiven ausgewählt und dazu mit Hilfe seines Netzwerks viele Orte und Menschen in den Blick genommen und ausgespäht. Zudem suchten sie die Menschen mit Migrationsgeschichte an ihren Arbeitsplätzen auf. Warum sie sich letztlich aber zu diesen konkreten Morden entschieden, ist bis heute ungeklärt. Bei İsmail Yaşar ist jedoch auffällig, dass es zuvor eine Sachbeschädigung durch einen Neonazi mit Bezug zum NSU-Kerntrio gegeben hatte, für die dieser einen Monat im Gefängnis sitzen musste. Dieser Angriff wurde von den Behörden als rechts motiviert eingestuft.

Eine Frage ist bis heute ungeklärt: Handelte das NSU-Trio Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos allein?

Nein, es ist davon auszugehen, dass sich der NSU in allen Städten, in denen er Morde beging, auf ein Neonazi-Netzwerk verlassen konnte. Wie dieses Netzwerk konkret funktionierte und wie beispielsweise Informationen wie Ausspähnotizen zum Kerntrio gelangten, ist bis heute ungeklärt.

Was weiß man über die Bezüge der NSU-Terrorzelle speziell zu Nürnberg, wo allein drei Verbrecher aus der Mordserie stattfanden?

Das Neonazi-Netzwerk des NSU in Nürnberg ist in immer deutlicher werdenden Umrissen zu erkennen. Nürnberg und Thüringen liegen örtlich dicht beieinander, es gab einen regen Austausch, der sich beispielsweise in Neonazi-Fanzines nachvollziehen lässt. 2006 ermittelte die Polizei kurzzeitig gegen eben jene Neonazi-Szene im Zusammenhang mit der Mordserie. In diesem Jahr hörte die rassistische Mordserie nach heutigem Kenntnisstand auf – weil der
NSU von seinem Netzwerk gewarnt wurde?

Caro Keller vom Blog „NSU-Watch“  (DPA)

Wie intensiv hatten Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutz damals die rechtsextremistische Szene der Stadt und ihrer Umgebung beobachtet? Die Behörden hatten die Szene durchaus im Blick. Im NSU-Komplex kann meist nicht davon gesprochen werden, dass die Behörden „auf dem rechten Auge blind“ sind. Es mangelt unter anderem vielmehr daran, die extreme Rechte als Problem ernst zu nehmen. Die Polizei hat trotz früher ernstzunehmender Hinweise in Richtung rechtsextremer Szene im Umfeld des Opfers ermittelt. Hat die Polizei versagt? Ja. Die Polizei hat auf mehreren Ebenen versagt. Sie haben das NSU-Kerntrio bei und nach den Durchsuchungsmaßnahmen am 28. Januar 1998 nicht festgenommen. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kamen danach bei ihrem – auch den Behörden bekannten – Umfeld unter, dieses wurde sogar überwacht, trotzdem kam es nicht zu Festnahmen. Der NSU-Komplex ist ein Beispiel für institutionellen Rassismus. Intensiv wurde gegen die Opfer und ihr Umfeld ermittelt – getragen von rassistisch geprägten Vorannahmen. Die Angehörigen der Ermordeten und die Überlebenden der Anschläge machten von Anfang an auf einen möglichen rechten Hintergrund aufmerksam – in Aussagen bei der Polizei, aber später auch auf Demonstrationen und in Interviews mit Medien. Dies wurde auf breiter Ebene nicht ernst genommen und ignoriert. Hier trägt nicht nur die Polizei Verantwortung, sondern auch Medienvertreter, Politiker und die gesamte Gesellschaft, die die Mordserie ja medial mitverfolgte. 2006 wurde kurzzeitig in Richtung eines rechten Motivs ermittelt, weil ein Profiler der bayerischen Polizei den Rassismus hinter der Mordserie analysierte. Aus anderen Bundesländern wie Hamburg wurde dieser Ansatz allerdings massiv abgeblockt. In Bayern hat ein zweiter U-Ausschuss seine Arbeit aufgenommen. Können die Morde der Neonazi-Terrorgruppe ohne die gesperrten Akten je aufklärt werden? Aufklärung wäre jederzeit durch Ermittlungen im bereits bekannten Teil des NSU-Netzwerks, durch Aussagen von Behörden-Mitarbeitern oder gar der beteiligten Neonazis möglich. Es fehlen hier die Entschlossenheit und der gesellschaftliche Druck. Gleichzeitig ist der Großteil der noch vorhandenen Akten zum NSU-Komplex beispielsweise für Untersuchungsausschüsse zugänglich – um einige muss sicher gestritten werden, diese Konflikte müssen die Abgeordneten auch entsprechend eingehen. Aktenwissen wiederum ist allerdings mit Vorsicht zu betrachten, in Akten steht nicht „die Wahrheit“, sondern die Sicht von Behördenmitarbeitern, die mitunter nicht alles oder auch Falsches aufschreiben. Die Erwartungen sind hier meist ein wenig hoch angesetzt.

Mehr dazu: Nürnberg: Platz nach NSU-Terroropfer Ismail Yaşar benannt

TRT Deutsch