Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (dpa)
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Die bereits mehrfach als übergriffig kritisierte Inobhutnahme-Praxis der Jugendämter in Norwegen hat eine erneute Niederlage vor dem EGMR kassiert. Wie der „Courthouse News Service“ berichtet, wurde der 2009 im Alter von 16 Jahren aus Somalia geflüchteten muslimischen Mutter Mariya Abdi İbrahim 2010 das Sorgerecht über ihren Sohn im Kleinkindalter entzogen. Mariya Abdi İbrahim wollte sich als unverheiratete Schwangere dem Zugriff der Al-Shabaab-Miliz entziehen. In Kenia brachte sie das Kind zur Welt, reiste wenig später nach Norwegen ein und beantragte Asyl. Sie erhielt ein temporäres Bleiberecht.

Bereits 2019 Zwangsadoption für unrechtmäßig erklärt

Als das Kind zehn Monate alt war, warf das norwegische Jugendamt der Frau „Vernachlässigung“ vor und ordnete die Zwangsadoption an. Das Kind sollte von einem norwegischen Ehepaar adoptiert werden, das der protestantischen „Mission Covenant Church“ angehört und jedweden Kontakt zur leiblichen Mutter unterband. Zudem sollte das Kind getauft und christlich erzogen werden. Im Jahr 2015 genehmigte das norwegische Höchstgericht die Adoption gegen den Willen der leiblichen Mutter.

Bereits im Jahr 2019 befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dass die Vorgehensweise der norwegischen Behörden unrechtmäßig war. Die Weigerung, erforderliche Schritte zu setzen, um die Verbindung zwischen der leiblichen Mutter und deren Sohn aufrechtzuerhalten, verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention von 1953, welche die bürgerlichen und politischen Rechte der Bewohner von Mitgliedstaaten des Europarates schützt.

EGMR verurteilte Norwegen auch zu Schadensersatz

Norwegen änderte daraufhin einige Adoptionsvorschriften. Da es jedoch infolge des EGMR-Urteils von 2019 keine rechtmäßige Adoption durch das christliche Ehepaar gegeben hatte, stand nun eine mögliche Abschiebung des Kindes im Raum. Die heute 28-jährige Mariya Abdi İbrahim beantragte, ihn bei Verwandten oder zumindest einer anderen somalischen oder muslimischen Familie unterzubringen. Die norwegische Justiz lehnte diesen Antrag jedoch ab.

Am Freitag hat der EGMR entschieden, dass die norwegischen Behörden es versäumt hatten, den religiösen und kulturellen Hintergrund des Jungen zu berücksichtigen und damit die Rechte der Mutter verletzten.

Die Verantwortlichen, so hieß es im Urteil, „haben es versäumt, das Interesse der Klägerin daran zu berücksichtigen, dass [ihr Sohn] zumindest einige Verbindungen zu seiner kulturellen und religiösen Herkunft behalten kann“. Die norwegischen Behörden hatten argumentiert, dass es zu wenige potenzielle Pflege- oder Adoptiveltern gäbe, um dies zu gewährleisten. Norwegen muss İbrahim nun auch 30.000 Euro Schadensersatz bezahlen.

Polen gewährte erst 2019 norwegischer Mutter Asyl

Norwegen sieht sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit einer unverhältnismäßig hohen Zahl an Kinderschutzfällen konfrontiert. Dem Land wird vorgeworfen, bei Inobhutnahmen vorschnell und übergriffig zu agieren. Vor allem Einwanderern und religiösen Eltern würde überdurchschnittlich häufig das Sorgerecht entzogen.

Im Jahr 2011 wurden zwei Kinder ihren tschechischen Eltern wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs weggenommen. Die Eltern wurden schließlich entlastet, der Staat weigerte sich dennoch, die Kinder zurückzugeben, und hat diesen das Sorgerecht entzogen.
Im Jahr 2019 gewährte Polen der 37-jährigen Silje Garmo Asyl, die mit ihrer damals knapp zweijährigen Tochter Eira vor dem Zugriff des norwegischen „Barnevernet“ – so der Name der Jugendwohlfahrtsbehörde – geflohen war.

TRT Deutsch