von Ali Özkök
Vor dem Hintergrund des für Mittwoch geplanten Türkei-Besuches des israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog hat TRT Deutsch mit Dr. Gallia Lindenstrauss gesprochen. Sie ist Senior Research Fellow am Institute for National Security Studies und spezialisiert auf die türkische Außenpolitik.
Ihre Kommentare und Stellungnahmen sind in allen großen israelischen Medien sowie in internationalen Medien wie „National Interest“, „Turkey Analyst“ und „Insight Turkey“ erschienen. Die Wissenschaftlerin hatte an der Abteilung für Internationale Beziehungen der Hebräischen Universität promoviert.
Im März wird der israelische Staatspräsident Issac Herzog auf Einladung von Präsident Erdoğan die Türkei besuchen. Was kann dieser Besuch zu mehr Stabilität und Verständigung im Nahen Osten beitragen?
Die Türkei und Israel sind wichtige regionale Akteure, die in der Vergangenheit auf eine Art und Weise zusammengearbeitet haben, die die Stabilität in der Region erhöht hat, und denen es insbesondere gelungen ist, bei der Verbesserung der Lebensbedingungen der Palästinenser auf konstruktive Weise zusammenzuarbeiten.
Dies ist der erste Besuch eines israelischen Präsidenten in der Türkei seit 2007, und es sei daran erinnert, dass damals der israelische Präsident gemeinsam mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde vor dem türkischen Parlament sprach, was in vielerlei Hinsicht den Höhepunkt des konstruktiven Engagements der Türkei im israelisch-palästinensischen Konflikt markierte.
Die Unruhen und bewaffneten Konflikte in der Region, die die 2010er Jahre nach dem Arabischen Frühling prägten, haben den Einfluss externer Akteure gestärkt, oft auf Kosten der Interessen der Akteure vor Ort selbst, wie etwa Israels und der Türkei. Wäre eine engere Zusammenarbeit auch ein Signal dafür, dass die stabilen Staaten in der Region ihre Probleme selbst in den Griff bekommen könnten?
Viele Akteure im Nahen Osten teilen die Auffassung, dass die USA bestrebt sind, ihr Engagement in der Region zu minimieren. In einem solchen Umfeld müssen die regionalen Akteure für sich selbst sorgen, und wir beobachten einen regionalen Trend zu Versuchen, Streitigkeiten zu überbrücken und die Kommunikationslinien zwischen früheren Gegnern wiederherzustellen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das mögliche Tauwetter zwischen der Türkei und Israel nicht von anderen Versuchen der regionalen Akteure, die Beziehungen zu verbessern.
Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Abraham-Abkommen bei den Veränderungen, die nun möglich scheinen? Die Türkei bemüht sich nicht nur um ein besseres Verhältnis zu Israel, sondern auch um eine Normalisierung mit Ägypten, Armenien oder den Golfmonarchien...
Die Tatsache, dass sich die Türkei mit ihren Annäherungsbemühungen auch an weitere Akteure neben Israel wendet, ist insofern ermutigend, als sie signalisiert, dass die Türkei möglicherweise tatsächlich einen echten Versuch unternimmt, einen Reset in ihrer Außenpolitik zu vollziehen.
Der Erfolg der Erwärmung der Beziehungen zwischen der Türkei und den VAE ist auch insofern ermutigend, als er den anderen Akteuren im Nahen Osten ein positives Beispiel dafür gibt, dass ein Neustart der Beziehungen zu Ankara ein wünschenswerter Weg ist.
Könnten Israel und die Türkei, die in der Vergangenheit eine konstruktive Politik gegenüber beiden Akteuren verfolgt haben, auch vielversprechende diplomatische Initiativen zum Russland-Ukraine-Konflikt beitragen?
Die Türkei spielt aufgrund ihrer Lage eine größere Rolle im russisch-ukrainischen Konflikt. In diesem Bereich kann ich mir eine Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Israel weniger vorstellen.
Erst vor wenigen Wochen haben wir aus Medienberichten erfahren, dass der israelische und der türkische Geheimdienst im Jahr 2020 gemeinsam ein iranisches Attentat auf einen Geschäftsmann vereitelt haben sollen. Wo liegt hier das Potenzial für eine Koordination?
Israel und die Türkei haben beide renommierte Sicherheitsdienste, die sich seit langem mit dem Thema der Vereitelung von Terroranschlägen beschäftigen. Leider sind die Türkei und Israel immer noch Akteure, die sich täglich mit Terrordrohungen auseinandersetzen müssen und daher ein tiefes Verständnis für die sicherheitspolitischen Herausforderungen haben, mit denen jedes Land konfrontiert ist, sowie für die Probleme, nach außen hin einige der Sicherheitsmaßnahmen zu erklären, die erforderlich sind, um Terroranschläge zu vereiteln.
Welche Bedeutung werden Energieinteressen in den künftigen türkisch-israelischen Beziehungen haben - zum Beispiel in Bezug auf Erdgas und den Energiebedarf in Europa?
Im Vergleich zu den Anfängen des Normalisierungsabkommens zwischen der Türkei und Israel im Jahr 2016, als von einer Pipeline für den Gastransport von Israel in die Türkei die Rede war, befindet sich Israel heute in einer anderen Position und wird wahrscheinlich weiterhin die ägyptische Route für den Erdgasexport nutzen, abgesehen von seinen bestehenden Exporten nach Jordanien. In dieser Hinsicht scheinen die Aussichten für eine Pipeline von Israel in die Türkei gering.
Im Bereich der erneuerbaren Energien und ganz allgemein bei der Anpassung an den Klimawandel besteht jedoch ein Potenzial für eine viel stärkere Zusammenarbeit zwischen Israel und der Türkei, insbesondere im Bereich der Wassertechnologie.
Die Beziehungen zwischen Israel und Aserbaidschan waren in den letzten Jahren besonders eng. Welche geopolitische Bedeutung haben sie und wie wichtig sind sie im Zusammenhang mit der Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und der Türkei?
Israel misst seinen Beziehungen zu Aserbaidschan große Bedeutung bei. Der zweite Berg-Karabach-Konflikt war natürlich ein Beweis dafür, dass es von Vorteil ist, Israel und die Türkei auf derselben Seite zu haben, und Baku begrüßt die Annäherung zwischen Israel und der Türkei sehr.
Im vergangenen Jahr hat es versucht, die beiden Seiten in dieser Richtung zu unterstützen. Doch auch die direkten Gespräche, wie sie heute zwischen der Türkei und Israel geführt werden, haben ihre Vorteile.
Vielen Dank für das Gespräch!
9 März 2022
Israelische Außenpolitik-Expertin: Reset mit Türkei „wünschenswerter Weg“
Dr. Gallia Lindenstrauss ist eine auf türkische Außenpolitik spezialisierte Forscherin im Think-Tank INSS. Im Gespräch mit TRT Deutsch äußert sie Optimismus bezüglich eines Neustarts der bilateralen Beziehungen zwischen Israel und der Türkei.
TRT Deutsch
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