von Till C. Waldauer
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, nannte im Gespräch mit ARD-Reportern das sich abzeichnende Ergebnis der Bundestagswahl einen Ausdruck einer „Heterogenität“, die Deutschland präge. Diese gelte es nun, in sinnvoller Weise zusammenzuführen.
Den alten Volksparteien ist dies am Wahlsonntag allein nicht mehr gelungen. Zwar liegen SPD und Union nach wie vor deutlich vor allen anderen Parteien – auch den Grünen, die kurze Zeit in Umfragen sogar auf Augenhöhe gesehen wurden. Dass die SPD, wie sich über den Wahlabend hin zu festigen scheint, erstmals seit 2002 wieder als stärkste Partei aus der Bundestagswahl hervorgehen könnte, wird in mehrerlei Hinsicht durch die genaueren Umstände getrübt.
Glanzarmer SPD-Sieg
Die SPD erzielt mit knapp 26 Prozent zwar ihr bestes Ergebnis seit 2013. Gleichzeitig ist auch dieses jedoch deutlich unter allen Resultaten, die von den Sozialdemokraten von 1949 bis einschließlich 2005 bei Bundestagswahlen erzielt werden konnten.
Die Rückkehr auf Platz eins in der Wählergunst – verbunden mit hohen Beliebtheitswerten für Spitzenkandidat Olaf Scholz – wird mit großer Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass Bundespräsident Steinmeier zuerst diesen mit der Bildung einer Regierung beauftragen wird.
Damit ist jedoch noch lange nicht gesagt, dass diese am Ende auch unter SPD-Führung zustande kommen wird. Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet, von Medien und Umfrageinstituten vor wenigen Wochen auf chancenlose 19 Prozent hinuntergeschrieben, hat einen beachtlichen Schlussspurt hingelegt und die SPD zwar voraussichtlich nicht mehr einholen, aber auf Tuchfühlung mit ihr bleiben können.
Laschet nach Aufholjagd gestärkt
Das knappe Ergebnis macht eine allfällige Palastrevolte gegen Laschet unwahrscheinlich, zumal diese bereits bis zum Dienstag stehen müsste, wenn die neugewählte Unionsfraktion ihre konstituierende Sitzung abhält. Darüber hinaus fehlt es an Protagonisten, die eine solche mit Erfolgsaussicht voranbringen könnten. Laschets schärfster Rivale im Vorfeld der Kanzlerkandidatur, Markus Söder, hat mit weniger als 33 Prozent ein ernüchterndes Ergebnis eingefahren.
Auch aus der CDU ist nicht mit einer Konkurrenzkandidatur um den Fraktionsvorsitz oder gar einer zeitnahen Herausforderung von Armin Laschet zu rechnen, obwohl die Union gegenüber 2017 einen deutlichen Einbruch erfahren hat und das schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte beklagen muss.
Dies gilt umso weniger, als beispielsweise ein Jamaika-Bündnis nach aktuellem Stand eine solide Mehrheit hinter sich hätte – und FDP-Chef Christian Lindner eine solche stets als Wunschmodell einer Ampel unter SPD-Führung vorgezogen hätte.
Grüne und Liberale vor Koalitionskartell
Die Union müsste den Preis für ein solches Modell jedoch niedrig halten. Erste Aussagen Lindners nach der Wahl deuten darauf hin, dass sich insbesondere das Verhältnis zwischen Liberalen und Grünen strategisch verändert hat. Musste sich die FDP 2017 noch gegen den Versuch einer stärkeren Merkel-Union und der Grünen wehren, sie in den Koalitionsverhandlungen zum Stimmenlieferanten zu degradieren, könnte sich jetzt eine Art gelb-grünes Kartell bilden, das versuchen würde, dem großen Partner Union oder SPD maximale Zugeständnisse abzufordern.
Zu weit dürften sie dabei den Bogen jedoch auch nicht überspannen: Im äußersten Fall hätten Union und SPD noch die Option, eine weitere Große Koalition zu bilden, auch wenn dies als die unbeliebteste Variante für beide gilt. Alternativ wäre auch ein Kenia- oder Deutschlandbündnis möglich, in dem die beiden alten Volksparteien wahlweise Grüne oder FDP mit ins Boot holen.
AfD nur noch für Linkswähler attraktiv?
In seinem ersten Statement vor seinen Anhängern unterstrich FDP-Chef Lindner, dass die heutige Wahl die Mitte gestärkt und die Ränder geschwächt habe. Dies gilt jedenfalls für die Linkspartei, die mit fünf Prozent an den Rand der parlamentarischen Existenz gebracht wurde und sich perspektivisch auch nicht mehr darauf verlassen kann, in jedem Fall mindestens drei Direktmandate zu erringen.
Aber auch die AfD befindet sich auf dem absteigenden Ast. Einer Wählerstromanalyse zufolge hat die Rechtsaußenpartei an alle politischen Konkurrenten sowie an das Lager der Sonstigen und Nichtwähler verloren – je 60.000 Wähler an Union und Grüne, 210.000 an die SPD, 150.000 an die Liberalen, 120.000 an andere Parteien von den „Freien Wählern“ bis zur Anti-Impf-Partei „Die Basis“, 170.000 an die Nichtwähler. Lediglich der Linkspartei konnte sie 110.000 Stimmen gegenüber 2017 abnehmen.
Dennoch gelang es der Partei, sich vor allem in alten ostdeutschen Hochburgen wie Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu stabilisieren. In Sachsen und Thüringen zeichnet sich sogar ab, dass die AfD als stimmenstärkste Partei aus der Wahl hervorgeht. In Sachsen-Anhalt landete sie mit 20 Prozent nur knapp hinter der CDU auf Platz drei. Dort konnte sich erstmals seit längerem wieder die SPD mit 25 Prozent an die Spitze sitzen.