Symbolbild: Krieg in der Ukraine (AP)
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von Ali Özkök In der Zeit von 2004 bis 2007 war Dr. phil. Volker Stanzel Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Volksrepublik China. In der Zeit von 2009 bis 2013 bekleidete er das gleiche diplomatische Amt in Japan. Nach Lehraufträgen unter anderem in Santa Cruz, Berlin und der Hertie School of Governance hat der frühere Diplomat die Funktion des Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik übernommen.

Im Gespräch mit TRT Deutsch spricht er unter anderem über Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützung der Ukraine angesichts der russischen Invasion. Die Türkei sieht er in einer privilegierten Position, was die diplomatischen Initiativen zwischen Russland und der Ukraine anbelangt. Allerdings warnt er angesichts russischer Maximalforderungen vor zu hohen Erwartungen an das bevorstehende Treffen in Ankara.

Botschafter a.D. Volker Stanzel im TRT Deutsch-Interview. (TRT Deutsch)

Tut die Nato genug, um den Nicht-Mitgliedstaat Ukraine in Anbetracht des russischen Angriffskrieges zu unterstützen? Sollte sie überhaupt mehr tun? Oder gibt es irgendwo einen Punkt, an dem eine weitere Eskalation nur noch uns selbst schadet?

Ja, die Unterstützung ist ja recht vielfältig. Das Wichtigste ist natürlich die humanitäre Unterstützung und das setzt nicht nur die Nato, sondern es sind die EU-Staaten. Es sind auch weit entfernte Staaten wie Japan oder Südkorea, die versuchen, die humanitäre Belastung für das Land zu lindern.

Darüber hinaus ist eine wichtige Unterstützung die diplomatische Initiative, die zu Sanktionsmaßnahmen geführt hat, von denen wir hoffen, dass sie Russland so stark treffen werden, dass Russland zu einer friedlichen Lösung des Konflikts bereit sein wird.

Und das Dritte sind dann Unterstützungen für die Kampffähigkeit der ukrainischen Seite. Das geschieht in finanzieller Weise. Es gibt ja viele Menschen, die finanzielle Unterstützung leisten, individuell oder auch in Gruppen oder Gemeinschaften, und die Waffenlieferungen an die Ukraine vornehmen. Gibt es einen Punkt, an dem die Unterstützung gefährlich für die unterstützenden Staaten? Wie gesagt, dass es nicht nur die Nato würde.

Selbstverständlich, in dem Moment, in dem Staaten direkt in die Kampfhandlungen eingreifen, sind sie selbst auch Kriegspartei und Russland ist eine große Nuklearmacht mit entsprechender Bewaffnung, und das würde zu einer echten Eskalation des Krieges führen. Also so etwas, wie es schon in der Diskussion war, dass die Nato eine Flugverbotszone einrichtet, wäre sicher eine Maßnahme, die zu Recht seitens Russlands als Eingriff in die Kriegshandlungen begriffen würde.

Könnte am Ende des Krieges eine Teilung der Ukraine wie früher eine von Deutschland und nach wie vor eine von Korea stehen?

Ja, dazu müssen Sie sehen: Wo ist denn eine natürliche Trennungslinie? Wahrscheinlich zwischen den Gebieten, die mehrheitlich von Russen besiedelt sind und den mehrheitlich von Ukrainern oder anderen Ethnien besiedelten Gebieten der Ukraine. Nun sind diese mehrheitlich russisch besiedelten Gebiete zum einen schon längst, wie die Krim, von Russland annektiert.

Das heißt: Für eine Teilung mit diesem Begriff müsste Russland zumindest formell wieder anerkennen, dass die Krim kein Teil Russlands ist. Oder wie bei den beiden Regionen im Donbass: Das sind Regionen, die von Putin bereits als unabhängige „Staaten“ anerkannt worden sind. Auch hier müsste also eine Teilung bedeuten, dass Russland einen Rückzug von seinen bisherigen Positionen macht. Und das sehe ich nicht als realistisch.

Verfolgt Russland das Ziel einer gesamten Besetzung der Ukraine?

Ja, die Integration des gesamten Landes in Russland. Das hat Putin oft genug in historischen Exkursen oder in politischen Gesprächen mit westlichen Politikern wie auch wie Bundeskanzler Scholz oder Präsident Macron und vermutlich auch in Gesprächen mit Präsident Erdoğan zu erkennen gegeben.

Die Türkei hat heute ein bevorstehendes Treffen der Außenminister der Ukraine und Russlands bekannt gegeben. Wie wichtig ist die türkische Diplomatie im Ukraine-Krieg aus deutscher Perspektive und wie könnte der Konflikt die europäische Kooperation mit der Türkei in Zukunft verändern?

Also die Türkei hat gute Beziehungen zum Russland Putins und natürlich gute Beziehungen zu EU-Staaten und ist selbst ein Nato-Mitgliedsstaat. Insofern kann man sagen, die Türkei ist in einer privilegierten Lage, wenn sie anbietet, zu vermitteln. Und deswegen ist es gut, dass Lawrow und Kuleba, die beiden Außenminister, dieses Angebot angenommen haben und sich am Donnerstag dann auch in der Türkei treffen werden am Rand einer Konferenz, ich glaube in Antalya.

Die Frage ist, was kann damit erreicht werden? Nachdem bekannt gegeben wurde, dass es zu diesen Gesprächen kommen wird, hat das russische Außenministerium sofort kommentiert, dass für einen Erfolg solcher Vermittlungen Voraussetzung ist, dass die Ukraine die bisherigen russischen Forderungen erfüllt. Das bedeutet: Russland erwartet eine Kapitulation.

Das kann man dann nicht Ergebnis einer Vermittlung nennen, sondern das kann dann nur bedeuten: Bis dahin, bis Donnerstag sind ja noch einige Tage, muss der Krieg so weit fortgeschritten sein, und zwar zulasten der Ukraine, dass die Ukraine zu einer Kapitulation bereit ist. Das ist, vermute ich, nicht das, was sich die türkische Regierung unter ihren Vermittlungsbemühungen vorstellt.

Vermittlung bedeutet, dass beide Seiten zu Kompromissen bereit sein müssen. Das scheint mir in der gegenwärtigen Situation aufseiten Russlands nicht der Fall zu sein. Aber bis Donnerstag könnten sich die Dinge verändern. Und wir wollen hoffen, dass bis Donnerstag die zivile Bevölkerung, auf jeden Fall die Bevölkerung der Ukraine insgesamt und natürlich auch die russischen Soldaten nicht noch mehr Leid ertragen müssen als bisher.

Inwieweit glauben Sie, dass die ukrainische Armee dem militärischen Druck Russlands nachhaltig standhalten kann?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich bin kein Militärexperte, sondern ich bin ein politischer Beobachter. Ich erinnere mich aber, dass im Jahr 2014 Putin im Donbass-Konflikt einmal gesagt hat: Die russischen Streitkräfte brauchen zwei Wochen, um Kiew einzunehmen. Am Donnerstag sind diese zwei Wochen um.

Wie ist das russische Vorgehen bisher gewesen? Am Anfang, vermutlich ausgehend von der Erwartung, dass es sehr schnell gehen könnte und die ukrainischen Truppen eher fliehen als kämpfen würden, mit nur sehr behutsamem Vorgehen. Man wollte die Städte nicht zerstören, sondern wollte sie kampflos einnehmen.

Erst nachdem das schiefgegangen ist, hat Russland auf Strategien zurückgegriffen, die es anderswo schon erfolgreich eingesetzt hat, nämlich einen Krieg vor allem gegen die Zivilbevölkerung und das durch Zerstörung von Städten wie in Aleppo, wie in Grosny und auch im Donbass. Und das scheint ja erfolgreich zu sein. Wenn wir sehen, welches Leid ausgelöst wird, dann ist dieses Überrollen durch eine übergroße Streitmacht genau die russische Strategie, die wahrscheinlich Putin auch schon im Auge gehabt hat, als er 2014 von diesen zwei Wochen gesprochen hat.

Ich halte es also durchaus für plausibel, wenn wir annehmen, dass all das, was bisher geschieht, durchaus im Rahmen der Planung Putins und seiner Generäle ist.

Der Abbruch fast aller Geschäftsbeziehungen zu Russland wird im Westen zu Versorgungsschwierigkeiten führen. Und Russland wird noch mehr von verbliebenen, nicht westlichen Handelspartnern abhängig werden. Wird am Ende China der große Gewinner sein?

Das vielleicht sehr, sehr langfristig. Was ist der Nutzen Russlands heute für China? Es ist a) ein Lieferant von günstigen, billigen Rohstoffen. Und wenn Russland nicht mehr an andere Abnehmer verkaufen kann, werden die Preise noch weiter sinken. Davon profitiert die Volksrepublik China selbstverständlich. Aber ein Markt ist Russland für China nicht.

Das heißt, der zweite Nutzen, den China aus seinem Verhältnis zu Russland zieht, ist politischer Natur. Beide Staaten, wie sie zuletzt bei der Eröffnung der Olympischen Spiele deutlich zu erkennen gegeben haben, sehen sich als Verbündete im Kampf gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie nützlich ist aber ein geschwächtes Russland als ein derartiger Partner noch für die Volksrepublik China? Ich denke, dass es kein besonders großer Nutzen ist. Ich sehe also nicht, wo China am Ende gewinnen kann.

Im Gegenteil, dass durch die Versorgungsschwierigkeiten, die sie zu Recht erwähnen, werden die wichtigsten Handelspartner Chinas, das sind die Europäische Union und das sind die USA, wirtschaftlich weit zurückgeworfen werden und sehr viel weniger konsumieren als bisher. Das wird die Möglichkeit Chinas, in die EU und die USA zu exportieren, enorm beeinträchtigen, also in größerem Maße als der Nutzen, den China ziehen wird. Aus dem jetzigen Krieg wird es ein Schaden sein, den es volkswirtschaftlich und auch politisch erlebt.

Vielen Dank!

TRT Deutsch