Ein Sondergericht in Myanmar hat die entmachtete Regierungschefin Aung San Suu Kyi in zwei Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Militärjunta verkürzte die Haftstrafen einige Stunden später auf zwei Jahre. Konkret gehe es um die Vorwürfe der Anstiftung zum Aufruhr und der Verletzung von Corona-Maßnahmen, sagten mit dem Verfahren vertraute Personen am Montag. Die Justiz wirft der 76-Jährigen weitere Vergehen vor, darunter Verstöße gegen die Außenhandelsgesetze und Korruption. Wann die Urteile dazu fallen sollen, ist noch unklar. Insgesamt drohen Suu Kyi Experten zufolge bis zu 100 Jahre Haft. Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt - auch Journalisten sind im Gericht in der Hauptstadt Naypyidaw nicht zugelassen. Suu Kyis Anwälten war schon Mitte Oktober ein Redeverbot erteilt und jede Kommunikation mit Medien, Diplomaten, internationalen Organisationen und ausländischen Regierungen untersagt worden.
UN-Hochkommissarin kritisiert Urteil
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, kritisierte die Verurteilung scharf. Ein solcher Schauprozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch ein vom Militär kontrolliertes Gericht sei politisch motiviert, teilte sie in Genf mit. Das Militär instrumentalisiere die Gerichte, um die politische Opposition zu entfernen. Das werde die Fronten nur noch verhärten. Eines der Urteile bezieht sich auf den Wahlkampf im vergangenen Jahr, als Suu Kyi ihren Anhängern zugewunken hatte. Obwohl sie dabei eine Maske und ein Gesichtsvisier trug, wurde dies vom Gericht als Verstoß gegen die Corona-Regeln gewertet. Im zweiten Urteil geht es um eine Mitteilung ihrer Partei nach dem Putsch, in der die Bürger aufgerufen wurden, sich gegen den Umsturz zu wehren. Zu diesem Zeitpunkt befand Suu Kyi sich aber bereits im Hausarrest. Wie Suu Kyi auf die Urteile reagierte, wurde nicht bekannt. Außer wenigen Aufnahmen aus dem Gerichtssaal aus den vergangenen Monaten wurde sie seit dem Militärputsch von Anfang Februar nicht mehr öffentlich gesehen. Sie steht seit dem Umsturz unter Hausarrest. Ob die Friedensnobelpreisträgerin tatsächlich ins Gefängnis muss oder im häuslichen Arrest verbleiben darf, war noch unklar. Menschenrechtsexperten sprechen aber schon lange von einem Schauprozess und vermuten, dass die Junta die beliebte Politikerin auf diese Weise langfristig zum Schweigen bringen will.
Kritik an Gerichtsverfahren
Reaktionen von Menschenrechtlern ließen nicht lange auf sich warten. „Dieser Prozess war vom ersten Tag an zu 100 Prozent politisch motiviert und hatte die klare Absicht, Suu Kyi für immer wegzusperren, damit sie nie wieder die Militärherrschaft anfechten kann“, sagte Phil Robertson, stellvertretender Direktor von Human Rights Watch in Asien, der dpa. Und dies sei erst der Anfang: Die anderen Anklagepunkte würden „wahrscheinlich dafür sorgen, dass Suu Kyi nie wieder eine freie Frau sein darf“. Ming Yu Hah, stellvertretende Regionaldirektorin bei Amnesty International Südostasien und Pazifik, betonte: „Die harten Urteile, die gegen Aung San Suu Kyi wegen dieser fingierten Anschuldigungen verhängt wurden, sind das jüngste Beispiel für die Entschlossenheit des Militärs, jede Opposition auszuschalten und die Freiheiten in Myanmar zu ersticken.“ Das Urteil sei «lächerlich», so die Expertin. Gleichzeitig erinnerte sie an die zahlreichen Gefangenen, denen ebenfalls gerade der Prozess gemacht werde: „Es gibt viele Häftlinge ohne das Profil von Aung San Suu Kyi, die derzeit die erschreckende Aussicht haben, jahrelang hinter Gittern zu sitzen, nur weil sie ihre Menschenrechte friedlich ausüben.“
Rund 10.000 Menschen seit dem Militärputsch festgenommen
Seit dem Umsturz versinkt das südostasiatische Krisenland im Chaos. Die Junta unterdrückt jeden Widerstand mit brutaler Gewalt. Bei Protesten gegen die neuen Machthaber sind nach Angaben der Gefangenenhilfsorganisation AAPP bereits mehr als 1300 Menschen getötet und rund 10.000 festgenommen worden. Immer wieder ist von schwerer Folter die Rede.
Die Verfahren gegen Suu Kyi und den entmachteten Präsidenten Win Myint hatten im Juni begonnen, waren aber wegen der Corona-Pandemie zeitweise unterbrochen worden. Win Myint (70) wurde am Montag wegen der gleichen Vorwürfe ebenfalls zu vier Jahren Haft verurteilt.
Suu Kyi hatte bereits in der Vergangenheit insgesamt 15 Jahre unter Hausarrest gestanden. Nach der Einleitung demokratischer Reformen war sie 2016 faktische Regierungschefin geworden. Sie ist beim Volk sehr beliebt und hatte sich bei der Parlamentswahl im November mit klarem Vorsprung eine zweite Amtszeit gesichert. Beobachter glauben, dass sie den Generälen, die das frühere Birma Jahrzehnte lang mit eiserner Faust regiert hatten, zu gefährlich geworden war. Die Junta begründete den Putsch hingegen mit angeblichem Wahlbetrug - Beweise dafür gibt es aber nicht.
Schweigen zu Massakern an muslimischen Rohingya
Suu Kyi stand zuletzt wegen ihrer Haltung zu der Ronhingya-Verfolgung in der Kritik. Sie weigerte sich, die Gewalt gegen die muslimische Minderheit zu verurteilen und befürwortete die Verhaftung von einheimischen Journalisten. Diese hatten über die Vorfälle berichtetet und Recherchen betrieben.
Ihr wurden deswegen mehrere internationale Auszeichnungen wieder entzogen. Das kanadische Parlament erkannte ihr im September 2017 den Titel als „Ehrenbürgerin“ ab. Amnesty International entzog ihr zwei Monate später den Ehrentitel „Botschafter des Gewissens“.