Keiner will mit der AfD: In Thüringen zeichnet sich nur eine Option ab
Die AfD unter Höcke ist bei den Landtagswahlen in Thüringen stärkste Partei geworden. Nach dem AfD-Shock krempeln die Parteien bereits die Ärmel hoch. Das Ziel ist klar: Eine regierende AfD und einen rechtsextremen Ministerpräsidenten verhindern.
01.09.2024, Hamburg: Teilnehmer einer Demonstration gegen Rechts halten ein Banner mit der Aufschrift «Stop AfD!». Unter dem Motto «Ob Thüringen oder Hamburg: Kein Fußbreit der AfD!» hatte das Hamburger Bündnis gegen Rechts zu einer Demonstration in der Innenstadt aufgerufen. / Photo: DPA (DPA)

Die AfD feiert sich als Wahlsieger und erhebt Anspruch auf die Staatskanzlei. Die zweitplatzierte CDU will dagegen an der rechtsextremen Partei vorbei eine Regierung bilden - und bekommt dabei vom bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linken) unverhofft Rückendeckung. Nach der Landtagswahl in Thüringen zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab - und letztlich nur eine realistische Option.

Ausgangslage am Wahlabend

Erstmals ist die AfD in Thüringen stärkste Partei in einem Landesparlament. Nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF kommt der vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Landesverband auf 32,4 Prozent bis 33,2 Prozent. AfD-Landeschef Björn Höcke reklamierte umgehend den Auftrag zur Regierungsbildung für sich. „Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen“, sagte er in der ARD und warnte sogar davor, seine Partei zu umgehen. Die von Mario Voigt geführte CDU erreicht mit 23,8 bis 23,9 Prozent den zweiten Platz, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) landet aus dem Stand bei 15,6 Prozent.

Die Linkspartei von Ministerpräsidenten Ramelow hat ihr Ergebnis von vor fünf Jahren mit laut Hochrechnungen 11,4 Prozent bis 12,9 Prozent mehr als halbiert. Für ihre bisherigen Koalitionspartner SPD und Grüne sieht es teils düster aus. Die SPD fährt mit 6,1 Prozent bis 6,2 Prozent ihr bislang schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in der Bundesrepublik ein. Die Grünen verpassen mit vier Prozent den Wiedereinzug in den Landtag, ebenso wie die FDP, die in den Hochrechnungen deutlich unter zwei Prozent landete.

Denkbare Koalitionsoptionen

Rot-Rot-Grün, das bereits in den vergangenen Jahren ohne Mehrheit regierte, ist klar abgewählt. Zudem hatte sich SPD-Landeschef Georg Maier bereits gegen eine Fortsetzung des Bündnisses ausgesprochen. Die AfD wiederum beansprucht zwar als stärkste Partei die Staatskanzlei, ihr fehlt es allerdings an Partnern. Alle anderen Parteien haben einer Koalition mit der AfD bereits eine Absage erteilt.

Die CDU von Landeschef Mario Voigt schließt auch Bündnisse mit Linkspartei und Grünen aus, nicht aber eine Koalition mit dem BSW. Voigt bekräftigte am Sonntag seine Bereitschaft zu Gesprächen mit der Wagenknecht-Partei und der SPD. Er sehe „eine große Chance, dass wir in Thüringen durch Gespräche eine stabile Regierung hinbekommen“, sagte er am Sonntag.

Rückendeckung bekommt der CDU-Mann dabei vom Linken Ramelow. Voigt habe den Auftrag, „zu demokratischen Mehrheiten“ zu kommen, und er werde ihn unterstützen, sagte Ramelow am Sonntag. Die BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf betonte, ihre Partei werde in Gespräche „mit allen demokratischen Parteien“ gehen.

Die Tücken nach der Wahl

Die Partnersuche nach der Thüringen-Wahl birgt einige Tücken. Klar ist: Eine Minderheitsregierung strebt keine Partei an. Zwar betonen sowohl CDU-Landeschef Mario Voigt als auch die BSW-Kandidatin Katja Wolf, dass sie sich eine Zusammenarbeit vorstellen können. Doch über einem möglichen Bündnis schwebt die BSW-Überfigur Wagenknecht.

Wagenknecht macht für Bündnisse nach den Landtagswahlen zur Bedingung, dass Landesregierungen eine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland und weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnen und dies auch im Koalitionsvertrag verankert wird. CDU-Mann Voigt verbat sich bereits solche Einmischungen und Ansagen von außen. BSW-Spitzenfrau Wolf versicherte derweil am Wahlabend, Wagenknecht werde bei Koalitionsgesprächen nicht mit am Tisch sitzen.

Auch bei der Wahl des neuen Landtagspräsidenten oder der -präsidentin wird es spannend. Diese ist Voraussetzung für die Konstituierung des Parlaments und damit für dessen Arbeitsfähigkeit. Als stärkste Fraktion hat die AfD hier das Vorschlagsrecht. Ob deren Kandidat aber durchkommt, ist zweifelhaft. Im dritten Wahlgang können dann auch andere Parteien einen Bewerber aufstellen.

Sollte die AfD ein Drittel der Abgeordneten im neuen Landtag stellen, hätte sie weitreichenden politischen Einfluss. In Thüringen ist beispielsweise eine Zweidrittelmehrheit aller gewählten Abgeordneten nötig, um den Landtag aufzulösen und damit den Weg für eine Neuwahl zu bereiten. Ohne AfD-Zustimmung ginge das dann nicht. Auch Verfassungsänderungen, die Wahl des Präsidenten und der Richter des Thüringer Verfassungsgerichtshofs und die Wahl des Rechnungshofpräsidenten verlangen eine Zweidrittelmehrheit, was die AfD mit einer Sperrminorität theoretisch blockieren könnte.

Nicht zuletzt birgt die Ministerpräsidentenwahl, für die es in Thüringen keine Frist gibt, Zündstoff. Denn das Trauma durch die überraschende Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Kurzzeitministerpräsidenten mit den Stimmen von CDU, Liberalen und AfD im Februar 2020 sitzt immer noch tief. Kemmerich trat nach kurzer Zeit wieder zurück, Ramelow wurde wiedergewählt.

Zu erwarten ist, dass Höcke antreten wird. Auch Voigt wird natürlich seinen Hut in den Ring werfen. Offen ist dann, in welchem Umfang ihn auch die anderen Parteien unterstützen werden, um den AfD-Rechtsaußen Höcke als Ministerpräsidenten zu verhindern.

AFP