In den Niederlanden steht die Regierung von Ministerpräsident Mark Rutte wenige Wochen vor der Parlamentswahl wegen einer Affäre um Kinderbeihilfen schwer unter Druck. Das Kabinett werde am Freitag über Konsequenzen beraten, teilte Rutte am Mittwoch in Den Haag mit. Ein Rücktritt der Regierung wird nicht ausgeschlossen. Nach Einschätzung von Beobachtern hätte dies aber nur geringen Einfluss auf die Wahl im März.
In der Beihilfe-Affäre hatte eine parlamentarische Untersuchungskommission über das Vorgehen von Behörden, Regierung und Richtern ein vernichtendes Urteil gefällt. „Die Basisprinzipien des Rechtsstaates wurden verletzt“, urteilte die Kommission bereits im Dezember. Vielen Eltern sei „beispielloses Unrecht“ angetan worden. Das Kabinett hatte nun bis in die Nacht zum Mittwoch über den Bericht der Kommission beraten.
Die Steuerverwaltung hatte Unterstützungsleistungen an tausende Familien beendet, denen sie zu Unrecht absichtliche Falschangaben vorwarf. Später verpflichtete sie diese zu Rückzahlungen der Hilfen aus früheren Jahren, die sich in bestimmten Fällen zu Summen von mehreren zehntausend Euro addierten. Ein Teil der betroffenen Eltern geriet durch die Rückforderungen in große Finanznöte. Die Regierung hat sich inzwischen bei den Eltern entschuldigt und Entschädigungen von 30.000 Euro pro Familie zugesagt.
Hochrangigen Politikern wird vorgeworfen, von den Pannen in der Steuerverwaltung im Umgang mit den Unterstützungsleistungen gewusst und davor die Augen verschlossen zu haben. Der Anwalt der betroffenen Familien, Vasco Groeneveld, reichte am Dienstag Klage gegen drei Minister und zwei Ex-Minister ein. Mehrere betroffene Familien forderten in einem zu Wochenbeginn veröffentlichten Video den Rücktritt der Regierung.
Rutte ist vor allem mit Blick auf die Corona-Krise, die auch die Niederländer schwer belastet, gegen einen Rücktritt. Unklar ist jedoch die Einschätzung seiner drei Koalitionspartner. Opposition und Geschädigte fordern den Rücktritt. Ein solcher Schritt hätte vor allem symbolische Bedeutung: Am 17. März wird ein neues Parlament gewählt. In den Umfragen liegt Rutters rechtsliberale VVD weit vorn und könnte erneut eine Regierung bilden.