Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu spaltet die Welt. Während die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIZ), der Iran und die Palästinensische Autonomiebehörde den Beschluss des Gerichts in Den Haag begrüßen, kritisieren mehrere Verbündete Israels - allen voran die USA - den Haftbefehl. Die Bundesregierung äußerte sich zunächst nicht, sie befindet sich in einer Zwickmühle: Einerseits unterstützt sie Israel in seinem Krieg gegen Gaza unter dem Vorwand des „Rechts auf Selbstverteidigung“ nach dem Vergeltungsanschlag der Hamas vor gut einem Jahr, andererseits plädiert sie stets für ein robustes internationales Rechtssystem mit verbindlichen Regeln.
Der Internationale Strafgerichtshof erließ Haftbefehle gegen Netanjahu sowie den erst kürzlich entlassenen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gaza-Krieg. Auch gegen den Militärchef der palästinensischen Widerstandsorganisation Hamas, Mohammed Deif, erließen die Richter in Den Haag einen Haftbefehl. Er soll am Vergeltungsanschlag der Hamas vom 7. Oktober verwickelt gewesen sein. Allerdings ist unklar, ob der vom israelischen Militär für tot erklärte Hamas-Kommandeur überhaupt noch am Leben ist. Die Hamas hat seinen angeblichen Tod nie bestätigt.
USA: „Wir werden immer an der Seite Israels stehen“
US-Präsident Joe Biden verurteilte die internationalen Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant. „Die Ausstellung von Haftbefehlen durch den Internationalen Strafgerichtshof gegen israelische Politiker ist empörend“, wurde Biden in einer Mitteilung des Weißen Hauses zitiert. Die USA erkennen wie Israel den Internationalen Strafgerichtshof grundsätzlich nicht an.
„Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Was auch immer der Internationale Strafgerichtshof andeuten mag, Israel und die Hamas sind nicht gleichwertig - überhaupt nicht“, sagte Biden. „Wir werden immer an der Seite Israels stehen, wenn seine Sicherheit bedroht ist.“ Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte, die USA würden keinen Haftbefehl vollstrecken.
Kritik an dem Haftbefehl kam auch aus anderen Ländern. „Israel ist brutalen Aggressionen, unmenschlichen Geiselnahmen und wahllosen Angriffen auf seine Bevölkerung ausgesetzt. Die legitime Verteidigung einer Nation zu kriminalisieren und gleichzeitig diese Gräueltaten auszublenden, ist ein Akt, der den Geist der internationalen Gerechtigkeit verfälscht“, schrieb der argentinische Präsident Javier Milei auf X. Ungarns Außenminister Peter Szijjarto bezeichnete die Haftbefehle als „schändlich und absurd“, Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg nannte sie „unverständlich und nicht nachvollziehbar“.
Iran und Palästinenser feiern Haftbefehle
Der Iran begrüßte die Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant hingegen. „Das ist lobenswert, nur müssen die USA und die Europäer die Haftbefehle auch respektieren und umsetzen“, sagte der außenpolitische Berater des geistigen Führers Ayatollah Ali Chamenei, Kamal Charrasi. Die Entscheidung des Gerichts in Den Haag sei auch beschämend für den Westen, der Israels Handeln im Gazastreifen und im Libanon uneingeschränkt unterstützt habe. Die Hamas bezeichnete die Entscheidung als „wichtigen historischen Präzedenzfall und eine Korrektur eines langen Wegs historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk.“
Auch die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) im besetzten Westjordanland lobte die internationalen Haftbefehle. Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs stelle das Vertrauen in das Völkerrecht und UN-Organisationen wieder her, hieß es in einer Mitteilung der Behörde, die die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa veröffentlichte. Die PA forderte laut der Mitteilung alle Mitgliedsstaaten des Gerichtshofes, zu denen auch Deutschland zählt, auf, „die Entscheidung des Gerichts umzusetzen und Verbrecher vor Gericht zu bringen“.
Haftbefehl könnte Netanjahus Reisefreiheit empfindlich einschränken
Die Regierungen der Niederlande und Kanadas teilten mit, dass die Haftbefehle in ihren Ländern auch vollstreckt würden. Sollten andere Staaten ebenso vorgehen, könnte dies die Reisefreiheit des israelischen Regierungschefs empfindlich einschränken.
Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara reagierte wie viele Landsleute empört. „An diesem Tag muss das Offensichtliche gesagt werden: Dem Internationalen Strafgerichtshof fehlt jegliche Autorität in dieser Angelegenheit“, zitierte die Zeitung „The Times of Israel“ aus einer Mitteilung. Netanjahus innenpolitische Gegner verurteilten ebenfalls die Den Haager Beschlüsse. Ex-Verteidigungsminister Gallant schrieb auf der Plattform X, die Haftbefehle gegen ihn und den Ministerpräsidenten schafften „einen gefährlichen Präzedenzfall gegen das Recht auf Selbstverteidigung“.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, hatte am 20. Mai wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mutmaßlicher Kriegsverbrechen Haftbefehle gegen Netanjahu, seinen damaligen Verteidigungsminister Gallant sowie gegen drei Anführer der Hamas beantragt. Deif ist der letzte noch lebende Hamas-Vertreter, für den Khan einen Haftbefehl beantragte. Yahya Sinwar, Hamas-Führer im Gazastreifen, und der politische Chef der Hamas, Ismail Hanija, wurden in den vergangenen Monaten von Israel getötet.
Der IStGH hat keine eigene Polizei, um seine Haftbefehle durchzusetzen, und ist deshalb auf die Kooperation der 124 Mitgliedstaaten angewiesen. Sie sind theoretisch verpflichtet, die Gesuchten festzunehmen, sobald sie sich in ihrem Staatsgebiet aufhalten.