Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat die von seiner Regierung geplante Schwächung der Justiz verteidigt und damit erneut Proteste im Land befeuert . Nach einer Ansprache des Regierungschefs am Donnerstagabend gingen in mehreren Städten Tausende Demonstranten für „eine Nacht des Widerstands“ auf die Straßen. Dabei kam es nach Medienberichten auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden festgenommen.
Oppositionsführer: Netanjahu reißt das Land auseinander
Netanjahus Regierung will das Höchste Gericht im Land gezielt schwächen. Ihrer Ansicht nach hat die unabhängige Justiz zu viel Einfluss auf politische Entscheidungen. Ein zentrales Gesetz des Projekts soll Anfang nächster Woche verabschiedet werden. Gegner sehen die Gewaltenteilung und damit die Demokratie in Gefahr. Manche warnen gar vor der schleichenden Einführung einer Diktatur.
In seiner Rede am Donnerstagabend wies der konservative Regierungschef die Befürchtungen als „absurd“ zurück. Er sprach davon, dass das Gesetz sogar die „Demokratie stärke“. Änderungen an dem Gesetzestext seien weiter möglich. Beobachter halten dies jedoch für unwahrscheinlich. Bei einer Änderung müsste erneut der Justizausschuss zustimmen. Das Gesetz könnte dann wohl nicht, wie von der Regierung angestrebt, bis zum Beginn der Sitzungspause Ende Juli verabschiedet werden.
Oppositionsführer Jair Lapid teilte auf Twitter mit: „Wir haben heute Abend einen Regierungschef gesehen, der das Land auseinanderreißt, anstelle es zu vereinen. Der lügt, anstelle die Wahrheit zu sagen“.
Ansprache heizt Proteste weiter an
Nach der Ansprache strömten Hunderte Menschen im Land auf die Straße. In der Millionenmetropole Tel Aviv am Mittelmeer blockierten Demonstranten zeitweise eine zentrale Autobahn. Auf Bildern war zu sehen, wie auf der Fahrbahn Gegenstände in Brand gesetzt wurden. Auch in anderen Städten störten wütende Demonstranten den Verkehr. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Beamte auf Pferden ein, um die Menge auseinander zu treiben.
Auch Freitag gingen die Proteste weiter. Am Dienstagabend waren Menschen zu einem Marsch von Tel Aviv nach Jerusalem aufgebrochen. Und die Zahl der Menschen, die teilnehmen, wächst mit jedem Tag. Waren es zu Beginn der rund 70 Kilometer langen Wanderung noch Hunderte, beteiligten sich am Freitag laut Organisatoren mehr als 10 000 Demonstrantinnen und Demonstranten. Ihr Ziel sei es, am Samstag das Parlament in Jerusalem mit Hunderttausend Menschen zu erreichen. Auf Videos war zu sehen, wie sich die kilometerlange Menge mit israelischen Flaggen und Protestschildern über Feldwege schlängelte.
Am Wochenende sind weitere Kundgebungen und Protestaktionen von Gegnern des Justizumbaus angekündigt. Am Sonntagabend soll es zudem eine große Demonstration von Befürwortern der Reform in Tel Aviv geben.
Sondersitzung am Sonntag
Anfang nächster Woche könnte ein Kernelement der Regierungspläne im Parlament verabschiedet werden. Die Regierung hat dazu für Sonntag eine Sondersitzung der Knesset einberufen. Mit der Abstimmung wird jedoch frühestens am Montag gerechnet.
Dem Höchsten Gericht wäre es im Falle einer Verabschiedung des Gesetzes nicht mehr möglich, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister als «unangemessen» zu bewerten.
Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.
Zu Jahresbeginn musste Netanjahu seinen Innenminister entlassen, weil die Richter dessen Ernennung wegen seiner kriminellen Vergangenheit als «unangemessen» eingestuft hatten. Beobachter erwarten, dass die Koalition dies mit dem neuen Gesetz rückgängig machen will. Kritiker befürchten zudem, dass es zu willkürlichen Entlassungen von Gegnern der Regierungspolitik in entscheidenden Positionen kommen könnte.
Seit mehr als einem halben Jahr gehen regelmäßig Tausende Menschen gegen die Reform auf die Straße. Druck auf Netanjahu kommt auch aus dem Militär. Israelischen Medien zufolge kündigten mehr als 1000 Reservisten der Luftwaffe am Freitag an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte das Gesetz verabschiedet werden. Auch aus anderen Bereichen des Militärs gab es bereits ähnliche Ankündigungen.