Zu langsam und zu schlecht informiert: Seit Jahren stehen die deutschen Geheimdienste immer wieder in der Kritik. Die beiden früheren Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning und Gerhard Schindler, fordern nun mit deutlichen Worten eine komplette Neuaufstellung der deutschen Nachrichtendienste. Wie sie sieht auch die Union ein zu enges rechtliches Korsett für eine wirksame Arbeit der deutschen Geheimdienste.
Nachrichtendienste „zum zahnlosen Wachhund“ degeneriert
Die Politik habe die deutschen Nachrichtendienste über Jahre hinweg „zum zahnlosen Wachhund mit Maulkorb und Eisenkette degeneriert“, schreiben Hanning und Schindler in einem Gastbeitrag für die „Bild am Sonntag“. Es müsse alles auf den Prüfstand gestellt werden. Statt für jeden der drei deutschen Nachrichtendienste eigene technische Einheiten vorzuhalten, brauche Deutschland zudem „endlich einen neuen technischen Nachrichtendienst nach den erfolgreichen Vorbildern der NSA in den USA und des GCHQ in Großbritannien“.
„Die ehemaligen BND-Chefs legen den Finger in die Wunde“, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), der Nachrichtenagentur AFP. „Bei etwa der Hälfte der in den letzten Jahren verhinderten Terroranschlägen sind wir auf Hinweise ausländischer Nachrichtendienste angewiesen. Ähnliches gilt bei der Bekämpfung von Kindesmissbrauch.“
„Es wäre nicht sinnvoll, gerade jetzt in einer Lage vielseitiger Krisenherde, unsere Architektur der Dienste neu aufzustellen“, sagte hingegen der SPD-Abgeordnete Uli Grötsch AFP. „Vielmehr müssen wir weiter machen mit ihrer Stärkung.“ Dies bedeute die bessere Ausstattung mit Personal und Investitionen in Technik.
Dem BND wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Informationsdefizite und Fehleinschätzungen vorgeworfen. So musste der Dienst 2021 einräumen, die Lage vor der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan falsch bewertet zu haben. Und mit Blick auf den Aufstand der Wagner-Söldner in Russland hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Juni gesagt, dass der BND dies „nicht vorher gewusst“ habe - während andere westliche Dienste offenbar vorab Bescheid wussten.
Hanning stand von 1998 bis 2005 an der Spitze des deutschen Auslandsgeheimdienstes, Schindler war von 2012 bis 2016 BND-Chef. Im Zuge einer möglichen Umstrukturierung müsse die Zuständigkeit für den BND zudem aus dem Kanzleramt ausgegliedert werden, forderten beide nun. „Der BND sollte dem Ministerium unterstellt werden, wo die meisten Vorteile und Synergien zu erwarten sind – dem Verteidigungsministerium.“
Alexander Throm: „Überzogene Datenschutzanforderungen“
Die Ex-BND-Chefs warfen Politik und Justiz zudem vor, die Nachrichtendienste als Bedrohung für die Rechte deutscher Bürger zu verunglimpfen. Nachrichtendienste müssten „als unverzichtbarer Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur akzeptiert und behandelt werden“. Dies müsse nicht nur für die Politik, sondern auch für das Bundesverfassungsgericht gelten. Das oberste deutsche Gericht hatte dem BND beim Abhören in Deutschland Einschränkungen auferlegt, ausländische Staatsbürger zu Grundrechtsträgern des Grundgesetzes erklärt.
Auch der CDU-Politiker Throm sah in diesem Bereich ein Problem: „Überzogene Datenschutzanforderungen - gestützt durch die Rechtsprechung - haben dafür gesorgt, dass wir unsere Nachrichtendienste bei der Informationsbeschaffung behindern“, sagte er AFP. „Wir müssen den Übeltätern das Handwerk legen und nicht unseren Sicherheitsbehörden ihr Handwerk erschweren.“ Er warf insbesondere der FDP vor, hier zu restriktiv zu sein.
„Auch Sicherheitsbehörden agieren in keinem rechtsfreien Raum“, sagte hingegen der parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae. „Eine Behörde, die die Verfassung schützen soll, kann nicht jenseits der Verfassung agieren.“
„Im Bundestag haben wir für eine effektive parlamentarische Kontrolle gesorgt“, sagte der SPD-Abgeordnete Grötsch. Es gebe einen klaren Rechtsrahmen, „der unsere Dienste gleichrangig mit Diensten unserer Sicherheitspartner macht und demokratisch legitimiert“.