Kontext ‚Anti-Terror-Paket‘
Am 7. Juli 2021 wurde nicht nur über das Islamgesetz im Nationalrat abgestimmt. Eine Reihe von Gesetzen, die allesamt Teil des sogenannten Anti-Terror-Pakets sein sollten, wurde verabschiedet: Staatsbürgerschaftsgesetz, Bekenntnisgemeinschaftengesetz, Führerscheingesetz sowie Terrorbekämpfungsgesetz wurden neu geregelt sowie der Geheimdienst neu geordnet.
Bereits 2015 stand das Islamgesetz unter starker Kritik, vor allem von Teilen der muslimischen Zivilgesellschaft. Letztendlich wurde es aber mit dem Pouvoir (österreichischer Begriff für Handlungsvollmacht) der Islamischen Glaubensgemeinschaft verabschiedet. Damals hieß es noch von Regierungsvertretern, es handele sich nicht um ein Sicherheitsgesetz. Dass dem nicht so ist, zeigen Debatte und Verlauf des novellierten Gesetzes im Jahre 2021.
Während führende Regierungsvertreter*innen einen scheinbar wohlwollenden Diskurs über den Schutz der Muslim*innen führen, sprechen die neuen gesetzlichen Regelungen eine ganz andere Sprache. Nämlich jene des Generalverdachts, der Muslim*innen in erster Linie als Sicherheitsrisiko versteht.
Eine neue Ära
Mit dem Islamgesetz von 2015, das jenes von 1912 ablöste, wurden völlig neue Rahmenbedingungen für das Verhältnis zwischen staatlichen Behörden und der Islamischen Glaubensgemeinschaft geschaffen: Einerseits sollte die Regierung völlig unübliche Befugnisse im Bereich des Religionsrechts erhalten. Damit wurden die Position des Staates gegenüber einer einzigen anerkannten Religionsgesellschaft neu definiert und die innere Autonomie der Religionsgesellschaft, ein hohes Gut der Religionsfreiheit, in Frage gestellt. Andererseits wurde die zuvor freie Zivilgesellschaft, die sich basierend auf dem Vereinsgesetz organisiert hatte, unter das Joch der Islamischen Glaubensgemeinschaft gestellt. Die Novelle des Islamgesetzes verstärkt diese Tendenz weiter. Denn der Novelle wurde nicht mit dem Einverständnis der Islamischen Glaubensgemeinschaft zugestimmt - ein Zeichen ihrer politischen Entwertung. Zudem wird der Eingriff staatlicher Behörden zur Auflösung von Einrichtungen der Islamischen Glaubensgemeinschaft nun weiter fortgeschrieben.
Das neue Gesetz sieht vor, dass die Finanzen islamischer Religionsgesellschaften sowie ihrer jeweiligen Kultusgemeinden und ihrer Unterstützungsvereine abseits des Islamgesetzes offengelegt werden. Zudem soll dem Bundeskanzleramt nunmehr eine Liste übergeben werden, in welcher alle Funktionsträger*innen inklusive Gast-Imamen bekanntgegeben werden. So sieht Kontrolle aus. Dem ehemaligen Präsidenten der Jüdischen Gemeinschaft hatte es bei einem ähnlichen Vorschlag vor mehr als zehn Jahren den Magen umgedreht, weil er sich an unselige Zeiten erinnert fühlte. Damit war der Vorschlag auch schon wieder vom Tisch. Anders heute im Falle der Muslim*innen. Des Weiteren wird dem Bundeskanzleramt die Möglichkeit eingeräumt, die Rechtspersönlichkeit von innerreligiösen Einrichtungen direkt aufzuheben, ohne die Religionsgesellschaft der Muslim*innen einzubinden. Früher konnte diese noch beanstandete Missstände abstellen. Damit wird die staatliche Oberhoheit endgültig zementiert.
Kritik stößt auf taube Ohren
Zwar hagelte es Kritik von unterschiedlichsten Seiten im Hinblick auf das Anti-Terror-Paket im Allgemeinen und das Islamgesetz im Speziellen. Diese Kritik kam insbesondere von juristischer Seite mit Expertise im Bereich des Religionsrechts und des Strafrechts. Widerhall fand diese aber kaum. Insbesondere die Einführung des Straftatbestandes „religiös motivierter Extremismus“ ist mehr als nur fraglich. Er zielt eigentlich auf den sogenannten „politischen Islam“ ab, wie die Integrationsministerin bei der erstmaligen Präsentation deutlich machte. Dieser neu eingeführte und nur schwer fassbare Straftatbestand riskiert die Einführung einer Gesinnungsverfolgung. Zwar beharrten die Grünen als Koalitionspartner gegenüber der weitaus mächtigeren türkisen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) darauf, es gebe keinen Straftatbestand gegen den „politischen Islam“ alleine, und der neu eingeführte Straftatbestand betreffe ausdrücklich alle religiös motivierten Extremismen. Gesetzeskommentar sowie Aussagen der Integrationsministerin zeigen aber, dass es sich hierbei ebenso wie im Falle der Dokumentationsstelle Politischer Islam nur um oberflächliche Schminke handelt. Denn auch die Dokumentationsstelle Politischer Islam wurde im Regierungsübereinkommen erstmals „neutraler“ formuliert und sollte sich schlussendlich lediglich auf den sogenannten politischen Islam fokussieren.
Nicht zuletzt sollten sich aber auch andere religiöse Gruppen einschließlich der anerkannten Kirchen Sorgen um gerade diese Ausweitung machen. Denn schließlich öffnet sie theoretisch Tür und Tor für eine staatliche Kriminalisierung all jener, die nicht auf Linie der Regierung sind. So etwa, wenn Kirchenvertreter den politischen Umgang mit Geflüchteten aus einer christlichen Perspektive kritisieren oder weitaus tiefergreifende politische Maßnahmen in Zukunft kritisieren könnten.
Geschlossene Position in der österreichischen Politik
Einer der besorgniserregendsten Aspekte im Zuge der Abstimmung über das Anti-Terror-Paket ist jedoch die Geschlossenheit der politischen Parteien. Während viele NGOs, namhafte Jurist*innen und einige betroffene Religionsgesellschaften Kritik übten, war dies nicht einmal für die politische Opposition ein Grund, gegen diese Maßnahmen zu stimmen. Dass am Ende nicht nur die türkis-grüne Koalition, sondern selbst die SPÖ und die NEOS die Novellierung des Islamgesetzes angenommen haben, zeigt vor allem eines: Die völlige Entwertung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und ihre zunehmende politische Bedeutungslosigkeit.