Soziale Medien und Islamfeindlichkeit
Die Entwicklungen und das Wachstum der Internettechnologien haben hinsichtlich der Kommunikation und der Interaktion von Individuen vordergründig viele Möglichkeiten eröffnet. Dabei führten die sie kennzeichnende Anonymität und das Fehlen editorialer Kontrollmechanismen zu Freiräumen, die im Onlinebereich die Verbreitung von Hass, Stalking und Gewalt über diese Kanäle verursachten. In diesem Sinne ist das Internet zu einem Feld für Cyber-Bedrohungen, Cyber-Gewalt und Cyber-Hass geworden. Letztlich können die Nutzer der sozialen Medien ihre gegen Personen oder Gruppen gerichteten, von Wut, Gewalt, Hass und Diskriminierungen durchtränkten Aussagen und Ansichten einfach teilen und in Umlauf bringen und sich über diese Kanäle organisieren. So werden auch in letzter Zeit die über diese Kanäle eröffneten Einfluss-und Kommunikationsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer negativen Aspekte diskutiert.
Der wachsende Einfluss der Rechtsextremen und die zunehmende Islamfeindlichkeit in Europa in den sozialen Medien sowie die Neigung der Parteien der Mitte, anti-islamische Diskurse zu adaptieren, führen zu einer Normalisierung der Islamfeindlichkeit. Aus diesem Grund manifestiert sich die Ausgrenzung von Muslimen aus den sozialen und politischen Diskursen im Westen als eine Art politisches Engineering, und als Folge geht die Islamfeindlichkeit über eine individuelle Haltung hinaus und gewinnt eine institutionelle Dimension. Diese Ausgrenzung, die inzwischen zu einer systemischen mutiert ist, führt zu Verboten von Zeichen des Islams und der muslimischen Identität in der Öffentlichkeit, wie etwa Kopftücher in Bürokratie und Bildungswesen, Minarette und Moscheen mit sich. Auch Studien zur ethnokulturellen Vielfalt in europäischen Ländern zeigen, dass Muslime auf politischen Plattformen nicht ausreichend vertreten sind, obwohl sie in der europäischen Gesellschaft, in der sie seit langem leben, einen demographisch bedeutenden Anteil an der Bevölkerung stellen. So finden beispielsweise Muslime mit ihrem verhältnismäßig hohen Bevölkerungsanteil in Ländern wie England und Deutschland in der politischen Arena einschließlich der Parlamente nicht genügend Platz.
Rechtsextreme und islamfeindliche Akteure nutzen die sozialen Medien, um Mitglieder zu werben
Die zunehmende Dynamik der antimuslimischen Stimmung in den sozialen Medien, die im Westen zu verzeichnen ist und von Tag zu Tag an Einfluss gewinnt, hängt eng damit zusammen, dass islamfeindliche Akteure auf diesen Kanälen einen Diskurs fernab jeglicher Beschränkungen etablieren können. Insbesondere Organisationen wie Jihad Watch, Stop Islamization, The Investigative Project on Terrorism, Middle East Forum und Namen wie Richard Spencer und Pamele Geller können sowohl auf herkömmlichen als auch auf digitalen Kanälen sehr aktiv agieren. Diese Akteure, die Feindschaft gegen den Islam und Muslime vordergründig mit der Meinungsfreiheit legitimieren, können die fehlende Kontrolle der digitalen Medien zu ihrem Vorteil nutzen. Der Bezug des rechtsextremen Terroristen Breivik auf diese Namen und Strukturen in seinem Manifest und seine Interpretation des von ihm verantworteten Massakers 2011 als Befreiung Norwegens und Europas von einer Besatzung verdeutlichen die Folgen der Diskurse in den digitalen Medien. Ebenso wurden die Anschläge auf die Moschee von Christchurch 2019, bei denen Dutzende von Muslimen getötet wurden, vom Täter auf Youtube übertragen und der Filtermechanismus von ihm deaktiviert.
Die Tatsache, dass rechtsextreme Gruppen und terroristische Organisationen vor allem junge Menschen über digitale Plattformen rekrutieren, zeigt uns, dass digitale Medien zu einem wichtigen Risikogebiet geworden sind. Tatsächlich zeigen Berichte auf, dass rechtsextreme Gruppen und Neonazi-Organisationen wie The British Hand und The National Partisan Movement Instagram, Telegram und sogar spezielle Kommunikationsmittel in Europa nutzen und eine beträchtliche Anzahl von Mitgliedern durch diese Kanäle gewinnen konnten. In letzter Zeit verbreiten rechtsextreme Organisationen auch massiv Desinformationen, um die durch das Coronavirus verursachte Verunsicherung zu erhöhen und ein Klima der Angst zu schaffen. In einem Bericht mit dem Titel „Far-right exploitation of Covid-19“ wurde festgestellt, dass 34 rechtsextreme Websites bis zu 80 Millionen Interaktionen erhalten und schwere Manipulationen in den sozialen Medien verursachten. Alle diese Beispiele zeigen deutlich, dass digitale Medien sowohl für islamfeindliche als auch für ausländerfeindliche Akteure zu Organisations- und Propagandafeldern geworden sind.
Die gleichgültige Haltung digitaler Medien, die sehr sensibel mit antisemitischen Äußerungen und Diskursen in Online-Medien umgehen, bei islamfeindlichen Inhalten und Aktionen, öffnet der Umsetzung einer solchen Rhetorik in wirkliche Übergriffe Tür und Tor. So wird heute folgerichtig darüber diskutiert, ob die durch Internettechnologien eingeführten Innovationen zur Weiterentwicklung demokratischer Prozesse beitragen und damit die Demokratisierung befördert haben. Digitale Kanäle haben sich mittlerweile zu Instrumenten gewandelt, mit denen Politik und Gesellschaft manipuliert und die Souveränität der Länder bedroht werden. Darüber hinaus sind sie Orte, in denen ausländerfeindliche und menschenrechtsverletzende Diskurse sehr leicht in Umlauf kommen.