Qualitätsjournalismus? ZDF-Doku schießt weit am Ziel vorbei
Die ZDF-Doku über den vereitelten Putschversuch in der Türkei bedient Klischees und bagatellisiert. Voreingenommene Zeitzeugen wie der ehemalige deutsche Botschafter Martin Erdmann beeinträchtigen zudem die Qualität der Sendung.
Martin Erdmann, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Türkei von 2015 bis 2020. (AA)

Die Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 gilt als Wendepunkt in der jüngeren Geschichte der Türkei. Am späten Abend des 15. Juli plante eine illegale Gruppe von Putschisten, die türkische Regierung zu stürzen und den Präsidenten zu ermorden. Als Drahtzieher des blutigen Putschversuchs gilt die Fetullahistische Terrororganisation (FETÖ), die nicht nur in Deutschland als sogenannte Gülen-Bewegung verharmlost wird. Zuvor hatten sich die konspirativ agierenden Anhänger des im US-Exil lebenden Anführers Fetullah Gülen systematisch in staatliche Institutionen in der Türkei eingenistet, um die Führung über den Staatsapparat bei bester Gelegenheit an sich zu reißen. Diese bot sich den fetullahistischen Verschwörern in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli. Bei dem mörderischen Staatsstreichversuch kamen über 250 Menschen durch die Waffen der FETÖ-Anhänger ums Leben. Mehr als 2000 unschuldige Menschen wurden verletzt, viele von ihnen schwer bis lebensgefährlich. Die Putschisten bombardierten neben dem Parlament Hauptquartiere der Polizei und Sicherheitsbehörden sowie Regierungsgebäude. Selbst der Sitz des Präsidenten blieb von den hinterhältigen Angriffen nicht verschont. Von der Bosporus-Brücke in Istanbul, die die FETÖ-Putschisten besetzt hielten, zielten sie auf Zivilisten und töteten sie ohne Skrupel. Darüber hinaus besaß ein Spezialeinsatzkommando den Befehl, den Präsidenten, der sich zum Zeitpunkt des Putschversuchs im Urlaub befand, in seinem Hotelzimmer aufzuspüren und hinzurichten. Gottlob wurde der heimtückische Aufstand in nur wenigen Stunden beendet.

Suggestive Stilmittel

Das ZDF hat mit dem Dokumentationsfilm „Kampf auf der Bosporus-Brücke – Die Türkei und der gescheiterte Putschversuch“ den Versuch unternommen, diese wegweisende und zugleich finstere Nacht im Sommer 2016 zu rekonstruieren. Herausgekommen ist dabei ein missglücktes Endprodukt, das die Opfer des blutigen Putschversuchs herabwürdigt und mit Unterstellungen – zum Teil aus dem Mund eines Diplomaten – gegen die türkische Regierung brilliert. So versucht der 45-minütige Film die Ereignisse aus jener Nacht – wie auch schon der Titel verrät – anhand einzelner Schicksale von Personen zu rekonstruieren, die sich zum genannten Zeitpunkt auf der Bosporus-Brücke aufhielten. Die Schar an Menschen, die sich dem Putschversuch entgegenstellten, wird als eine manipulierte und ausgenutzte Menge dargestellt. So steht die verzerrte Behauptung im Raum, dass die Demonstranten sich nicht aus eigener Motivation gegen die FETÖ-Putschisten entgegenstellten, sondern scheinbar allein aufgrund des vermeintlichen „Marschbefehls“ des türkischen Präsidenten sterben mussten. Damit wird der suggestive Eindruck erweckt, Erdoğan habe Teile der türkischen Bevölkerung für seine angeblichen Ziele mutwillig und kaltblütig geopfert. Die Macher des Films bewegen sich mit dieser erfindungsreichen Anspielung auf dünnem Eis, da sie sich verschwörungsideologischer und propagandistischer Stilmittel bedienen.

Pseudojournalismus

Der Film stammt von Can Dündar, Ex-Chefredakteur der türkischen Tageszeitung „Cumhuriyet“. Dündar ist eine in der Türkei zu einer Haftstrafe von mehr als 27 Jahren verurteilte Person. Ein Istanbuler Gericht sprach ihn schuldig, Staatsgeheimnisse weitergegeben zu haben und einer Terrororganisation anzugehören. Er hält sich derzeit in Deutschland auf, wohin er 2016 geflohen ist. Hier tritt er in verschiedenen subversiven Zusammenschlüssen auf. Dündar ist durch seine pseudo-journalistische Tätigkeit an vorderster Stelle und stets dabei engagiert, die Verhältnisse in der Türkei zu diffamieren. Als seine Partner fungieren im Film u.a. die Produzenten Tim Klimes, Christiane Mädge sowie David Schraven von der stiftungsfinanzierten „Rechercheplattform“ Correctiv. Zu den Geldgebern von Correcitv zählt u.a. auch die Open Society Foundation des US-Milliardärs George Soros.

Als Zeitzeuge tritt in dem Film der ehemalige Botschafter der Türkei, Martin Erdmann, auf. Der Diplomat a.D., der von 2015 bis 2020 in Ankara stationiert war, behauptet, dass die Freiheitsrechte in der Türkei seit dem Putschversuch systematisch eingeschränkt seien. Als Beispiele nennt er die Situation der Presse, Justiz und Hochschulen. Daneben lastet er der Türkei an, sich mit „Riesenschritten von Europa wegbewegt“ zu haben. Doch wie glaubwürdig ist Martin Erdmann?

Dienstzeit oder Eiszeit?

In der Dienstzeit von Erdmann, der seine letzte diplomatische Station in der Türkei hatte, bevor er pensioniert wurde, sind die türkisch-deutschen Beziehungen ins Bodenlose abgestürzt. Im September 2020 äußerte sich der ehemalige Botschafter in seiner typisch überheblichen Art über die Türkei und Präsident Erdogan in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dabei glänzte er mit seinen klischeehaften Vorwürfen und spekulativen, herablassenden Analysen. Der 66- Jährige Ex-Diplomat, der sich vielmehr wie ein „Elefant im Porzellanladen“ benahm, freute sich über seine herbeigesehnte Endzeitstimmung, die angeblichen „Zerfallserscheinungen“ und die Post-Erdoğan-Ära, also an dem Tag, wie er schrieb, „an dem der heutigen Führung der Türkei die Puste ausgeht“. Zugleich präsentierte er sich als Glied von mutmaßlichen Rettern und Hoffnungsträgern der von der Regierung enttäuschten und entmutigten Türken.

Ein „Weggefährte“ von Straftätern?

In der Türkei erlang Martin Erdmann hauptsächlich als unermüdlicher Prozessbeobachter Bekanntheit. Dabei ließ es sich der undiplomatische Diplomat auch nicht nehmen, mit gerichtlich verurteilten Straftätern und Verbrechern Fotos aufzunehmen. Auch dem Prozess des ehemaligen Vorsitzenden der HDP, des legalen Arms der Terrororganisation PKK, wollte der deutsche Vertreter – wie bei so vielen anderen Kriminellen – als moralische Stütze beiwohnen. So hat Erdmann auch der MLKP-Sympathisantin Meşale Tolu sittlichen Beistand geleistet.

Der Weg ins Außenministerium war ihm bestens bekannt

Zudem besaß er die Unverfrorenheit, nicht am Empfang des Staatspräsidenten teilzunehmen, obwohl ihm eine Einladung vorlag. Den Weg von der deutschen Botschaft in Ankara zum türkischen Außenministerium konnte Erdmann im Schlaf gehen: Der gebürtige Münsteraner wurde während seiner fünfjährigen Amtszeit über zwanzig Mal ins türkische Außenministerium zitiert. Nicht selten ging es um die Aktivitäten separatistischer und terroristischer Gruppen, die in Deutschland frei agieren, Spenden sammeln, Rekrutierungen durchführen und trotz Verbote toleriert wurden. Zudem wurde Deutschland einer der Hauptrückzugsorte der FETÖ-Terroristen. Allein zwischen Juli 2016 und Juni 2018 hatten 296 Personen mit Diplomatenpässen und 881 Dienstpassinhaber einen Antrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt.

Verbindungen zu Enver Altaylı

Eine weitere Kuriosität ist der Umgang Martin Erdmanns und seiner Kollegen mit dem türkischen Ex-Agenten und dem ehemaligen Verantwortlichen und Mitbegründer der sogenannten Grauen Wölfe in Deutschland, Enver Altaylı, der in deutschen Medien fortdauernd als „deutscher Staatsbürger” vorgestellt und idealisiert wird. Auch Altaylı, dem beste Verbindungen zum Bundesnachrichtendiens (BND) nachgesagt werden, bekam regelmäßigen Besuch aus der deutschen Botschaft: Der Herr, der seinerzeit Oberinspekteur der „Grauen Wölfe“ in Deutschland war, bekam mindestens 28 Mal Besuch von Personen aus der deutschen Botschaft in Ankara, davon neun Mal von Erdmann persönlich, acht Mal von Malin Brüggemann, einem Attaché aus der deutschen Vertretung sowie weiteren Bediensteten der Auslandsmission.

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