„Kobane-Unruhen“ im Südosten der Türkei
Sieben Jahre sind seit den Angriffen von PKK-Anhängern auf Aufforderung des HDP-Zentralvorstands vergangen. Der damalige Co-Vorsitzende Selahattin Demirtaş wusste genau, welche Folgen sein Aufruf zum sogenannten Widerstand haben würde.
Yasin Börü (AA)

Im Vorfeld der Ereignisse

Im September 2014 attackiert und belagert die Terrormiliz Daesh die nordsyrische Stadt Ain Al-Arab (Kobane), die von der YPG, dem syrischen Ableger der Terrororganisation PKK, kontrolliert wird. Obwohl die Türkei nach diesen Angriffen 300.000 Flüchtlingen aus Nordsyrien, unter ihnen 100.000 Kurden, Schutz bot, unterstellte die HDP der Türkei, sie würde untätig zuschauen. Im Laufe der darauffolgenden Wochen intensivierte sie die Propaganda der PKK, die Türkei nähme bewusst den Tod von Kurden in Kauf – ungeachtet dessen, dass die kurdische Peschmerga aus dem Nordirak über die Türkei nach Ain Al-Arab reisen und die Kurden unterstützen durfte.

HDP heizt Stimmung im Land an

Die im türkischen Parlament sitzende HDP instrumentalisierte die Angriffe und mobilisierte ihre Anhänger für Aufstände im Südosten der Türkei. Der seit 2016 inhaftierte ehemalige Co-Vorsitzende Selahattin Demirtaş rief Anhänger der Terrororganisation PKK dazu auf, sich dem „historischen Widerstand“ anzuschließen. Ein ehemaliges Mitglied der PKK sagt, Demirtaş habe nach seinem Besuch am 30. September 2014 in Ain Al-Arab Anweisungen von PKK-Funktionären zur Mobilisierung für einen Aufstand bekommen. „Schließen wir uns gemeinsam dem historischen Widerstand an. Machen wir den historischen Widerstand gemeinsam, damit wir die Möglichkeit haben, ein historisches Bündnis und eine historische Einheit zu bilden“, soll Demirtaş gesagt haben.

Angriffe der Jugendorganisation der PKK

Nach diesem verheerenden Aufruf griff die YDG-H, Jugendorganisation der PKK, Parteizentralen, Vereine und Geschäfte der kurdischen Partei Hüda-Par und der Regierungspartei AKP an. Augenzeugen berichten, dass sie mit äußerster Brutalität vorgingen. Der 16-jährige Schüler Yasin Börü wurde mit seinen Freunden gefoltert, aus dem Fenster geworfen, überfahren und anschließend angezündet. Im Zuge der Angriffe kamen 50 Zivilisten und zwei Polizisten ums Leben.

In der Pressekonferenz nach den Ereignissen versuchte sich Selahattin Demirtaş aus der Verantwortung zu ziehen und behauptete, er habe seine Anhänger nicht auf die Straßen getrieben. Doch sein schweißüberströmtes Gesicht während der Fragen der Journalisten entlarvten ihn. Demirtaş wusste genau, welche Folgen sein Aufruf zum sogenannten Widerstand haben würde. Die Terrororganisation PKK fühlte sich zunehmend durch die vermeintlichen Erfolge der Schwesterorganisation YPG in Nordsyrien ermutigt und wollte die Gunst der Stunde nutzen, um auch Unruhen in der Türkei zu stiften.

Reaktion der Türkei auf die Entwicklungen in Nordsyrien

Nach den Angriffen der YPG aus Nordsyrien auf grenznahe Städte innerhalb der türkischen Grenzen verabschiedeten die Abgeordneten im türkischen Parlament ein Mandat für einen Militäreinsatz in Nordsyrien, um weitere Angriffe abzuwehren und die Quelle des Terrors auszutrocknen. Dieser Beschluss veranlasste die USA dazu, die Terrormiliz YPG aus der Luft mit Waffen und Munition zu versorgen. Ein NATO-Partner bewaffnete also eine Terrororganisation, die einen anderen NATO-Partner angreift. Aber die Empörung über den türkischen Militäreinsatz war in der internationalen Gemeinschaft größer. Die Türkei begriff, dass sie sich im Kampf gegen den Terror nicht auf ihre vermeintlichen Partner verlassen konnte.
Die Ereignisse vom 6.-8. Oktober 2014 ermutigten zudem die Terrororganisation PKK, im Südosten gezielt türkische Sicherheitskräfte in ziviler Kleidung zu exekutieren. Währenddessen verkündete die PKK-Führung unter Cemil Bayık, dass sie die Waffen nicht niederlegen und das von der türkischen Regierung vorgelegte „Innere Sicherheitspaket“ nicht anerkennen werde. Selahattin Demirtaş positionierte sich auch öffentlich gegen das Sicherheitspaket, das zur Bekämpfung des Terrors ausgeweitet werden sollte.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan wandte sich nach den Parlamentswahlen im Juni 2015 an die Weltöffentlichkeit und betonte, man werde weder im Süden der Türkei noch im Norden Syriens jemals einen Staat zulassen. Die Bestrebungen der YPG, einen eigenen Staat in Nordsyrien zu gründen, müssten um jeden Preis unterbunden werden. Der sogenannte PKK-Führer Murat Karayılan drohte damit, die Türkei zu seinem Kriegsgebiet zu machen, falls sie Rojava angreifen sollte. Im Juli desselben Jahres verkündete die PKK-Führung die Beendigung des „Waffenstillstands“ und ließ zwei Polizeibeamte im Schlaf in Şanlıurfa ermorden. Als Vorwand wurden der Bau von Straßen, Staudämmen und Polizeistationen im Südosten der Türkei genannt, die die Aktivitäten der PKK eindämmen sollten. Man drohte mit Angriffen auf Arbeiter und Maschinen, wenn der türkische Staat den Bau vorantreibe. Terroranschläge mit Ansage, die zum Teil auch umgesetzt wurden. Kurdische Arbeiter wurden von PKK-Terroristen entführt, gefoltert oder ermordet und Maschinen zerstört. Eine vermeintlich kurdische Bewegung, die kritische Kurden nicht duldet und die wirtschaftliche Entwicklung des Südostens verhindert.

Die Ereignisse vom Oktober 2014 und die Entwicklungen in Nordsyrien lassen sich nicht unabhängig voneinander betrachten. Denn wer die Beendigung des seit 2012 bestehenden Waffenstillstands verantwortet und keinen Frieden beabsichtigt, sieht man an der Chronologie der zeitlich aufeinanderfolgenden Ereignisse. Wer den wachsenden Einfluss der YPG in Nordsyrien als Anlass nimmt, Chaos und Krieg in die Städte der Türkei zu bringen, dem geht es mitnichten um Frieden, geschweige denn um das Wohl des kurdischen Volkes.
Der Rückzug der US-Truppen aus Syrien hat noch einmal gezeigt, dass es nur ausgenutzt und fallengelassen wurde. In die Region werden in Zukunft Sicherheit, Wohlstand und Frieden nicht von Mächten kommen, die dort keine Vergangenheit haben.

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