Deutsche Autoindustrie in der Krise: Was ist schief gelaufen?
Deutschland hinkt bei der E-Auto-Revolution hinterher. Traditionsreiche Autobauer geraten durch die chinesische Konkurrenz in den Hintergrund. Dieser Trend dürfte sich auch künftig fortsetzen.
Auto-Show / Photo: AP (AP)

Die Automobilindustrie ist für Deutschland von entscheidender Bedeutung – aber auch in Gefahr. Der zunehmende Wettbewerb in der Welt, besonders der chinesische Aufwind, hat tiefgreifende Auswirkungen auf diesen ganz besonderen Sektor des europäischen Kontinents. In den EU-Ländern bietet die Autoindustrie Arbeitsplätze für rund 13,8 Millionen Menschen, was rund 7 Prozent der Gesamtbeschäftigung entspricht.

Doch wieso nahm die Wettbewerbsfähigkeit der EU und besonders der deutschen Automobilindustrie ab? Tatsächlich begann die Debatte schon lange vor dem Bericht des Wirtschaftswissenschaftlers Mario Draghi. Auf verschiedenen Konferenzen und Veranstaltungen, an denen ich in Europa teilgenommen habe, wurde dieses Problem, wenn auch nur am Rande, angesprochen. Aber diese Gefahr wurde größtenteils ignoriert, bis das Problem vollständig erkannt wurde. Dies zeigt, dass die Fähigkeit der EU, im Vorfeld strategisch zu denken und zu handeln, deutlich nachgelassen hat.

Chinesische Produkte erobern den Weltmarkt

Noch vor der Automobilindustrie haben chinesische Produkte den Markt in Europa in erheblichem Maße erobert. So werden heute beispielsweise fast 95 Prozent der in Europa verwendeten Solarzellen aus China importiert. Doch die Abhängigkeit von China ist nicht nur darauf beschränkt. In Deutschland kommen etwa 86 Prozent der Computer, 60 Prozent der Mobiltelefone und 45 Prozent der für Elektrofahrzeuge notwendigen Lithium-Ionen-Batterien ebenfalls aus China.

Chinas einheimische Marken waren weder im Inland noch auf dem Weltmarkt mit fossilen Brennstoffen betriebenen Autos erfolgreich. Denn der Sektor wurde von traditionellen Automarken dominiert. Der Wettbewerb mit deutschen, US-amerikanischen und japanischen Marken war schwierig.

Die Chance, auf die China gewartet hatte, kam mit der E-Auto-Revolution. Während zum Beispiel in Deutschland im Jahr 2023 etwa eine Million Elektrofahrzeuge produziert wurden, waren es in China 8,5 Millionen Fahrzeuge.

Mangelnde Flexibilität

Fünf Hauptfaktoren scheinen für den Rückgang der Wettbewerbsfähigkeit Europas im Allgemeinen und Deutschlands im Besonderen verantwortlich zu sein.

Der erste dieser Faktoren ist die Flexibilität. Die drei wichtigsten Punkte, die für Flexibilität im Produktionsprozess sorgen, sind die Materialversorgung, die Beschäftigung und die gesetzlichen Vorschriften. Bestehende Vorschriften schränken die Unternehmen der Automobilindustrie in der EU ein.

Die Produktionsinfrastruktur in Asien hingegen ist in der Lage, auf schnelle Entwicklungen zu reagieren. So kann beispielsweise die Materialbeschaffung viel schneller erfolgen; andere Arbeitsrechte und Arbeitsbedingungen ermöglichen den Unternehmen zudem mehr Flexibilität.

Steve Jobs sagte einst zu Barack Obama, der ihn aufforderte, die Iphone-Fabrik in die USA zu verlegen, dass die Fabrik nicht mehr zurückverlegt werden könne. Eines seiner Hauptargumente war die Flexibilität der Lieferketten, der Humanressourcen und der Vorschriften. So kann beispielsweise der Iphone-Hersteller Foxconn in China innerhalb von 15 Tagen 8700 neue Ingenieure für ein neues Projekt finden und einstellen, während dieser Prozess in den USA mindestens neun Monate dauert.

Die Fabriken in Asien können also schneller expandieren, sich aber genauso schnell verkleinern – jene in den USA und Europa hingegen nicht. Hinzu kommt, dass viele Zwischenprodukte und Rohstoffe, die bei der Herstellung von Elektrofahrzeugen verwendet werden, in Asien konzentriert sind.

Mangelndes Innovationstempo

Ein weiterer Grund, warum Deutschland hinter der Konkurrenz zurückbleibt, ist das Innovationstempo und die kulturelle Einstellung zur Innovation. Kontinentaleuropa neigt oft eher zu kleinen, aber kontinuierlichen Innovationen als zu radikalen Veränderungen.

Hinzu kommt, dass die Forschungs- und Entwicklungsbudgets in Bereichen wie Elektrofahrzeuge, Batterie-, Software- und Sensortechnologien nicht so hoch sind wie in China. Im Jahr 2019 stellte China 248 Milliarden US-Dollar an staatlicher Unterstützung für Elektrofahrzeuge und andere strategische Industrien bereit. Diese Summe entsprach 1,5 Prozent des chinesischen Volkseinkommens.

Betrachtet man die in diesem Prozess erlangten Patente, so zeigt sich, dass China allen anderen Ländern deutlich voraus ist. Zum Beispiel melden die 110.000 Ingenieure des chinesischen Unternehmens BYD täglich im Durchschnitt 32 Patente an. BYD hat insgesamt 16 Mal mehr Patente angemeldet als TESLA.

Besonders die Deutschen bevorzugen inkrementelle Innovationen gegenüber radikalen Veränderungen – sie konzentrieren sich also eher auf die Optimierung bestehender Technologien als auf die Schaffung von etwas Neuem und Umwälzendem. Diese kulturelle Angewohnheit gegenüber Innovationen spiegelt sich auch im Automobilsektor wider. Die Deutschen hatten im späten 19. Jahrhundert Autos mit Verbrennermotoren eingeführt und verfeinerten immer wieder die Details, um ihren technischen Vorsprung zu halten. Aber sie behielten den Ursprung des Verbrennermotors bei.

Obwohl die deutschen Automarken in vergangener Zeit wichtige Ziele bei der Innovation von Elektrofahrzeugen erreicht haben, hinken sie ihren Konkurrenten immer noch hinterher.

Widerstand der Zulieferindustrie

Der dritte Grund: Die große Automobilzulieferindustrie in Deutschland sträubt sich gegen den Übergang zu Elektrofahrzeugen – eigentlich ein verständlicher Widerstand. Denn die traditionsreiche Automobil- und Zulieferindustrie ist auch heute noch der wichtigste Wirtschaftszweig in Deutschland. Er macht einen beachtlichen Teil des Bruttoinlandsproduktes aus und beschäftigt Millionen von Menschen.

Der Sektor der Elektrofahrzeuge stellt aber nun eine erhebliche Bedrohung für die deutschen Ersatzteilhersteller dar. Deutsche Zulieferer von Teilen, die nicht für die neuen Elektrofahrzeuge benötigt werden, erkennen diese Bedrohung und wollen die Übergangszeit verlängern. Infolgedessen hat die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Bereich der Elektrofahrzeuge gelitten.

Ein weiterer Grund, der die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in diesem Prozess untergrub, war der deutsche Technologietransfer nach China. Deutsche Automobilunternehmen gehören zu den ersten ausländischen Unternehmen, die in den 1980er Jahren nach China kamen.

Um den chinesischen Markt stärker zu beherrschen, mussten sie jedoch mit chinesischen Unternehmen zusammenarbeiten. Deutsche Unternehmen, die über die von ihnen gegründeten Joint Ventures sehr eng mit chinesischen Unternehmen zusammenarbeiteten, zahlten dafür den Preis. Dabei wurde auch deutsches Automobil-Know-how an künftige chinesische Wettbewerber weitergegeben.

Schwache Vermarktungsstrategie

Ein weiterer Faktor für den Rückstand Europas im Bereich der E-Mobilität liegt in der Vermarktungsstrategie. Die europäischen Automobilhersteller, vor allem die deutschen, sind zwar gute Ingenieure, aber keine guten Verkäufer. Chinesische Marken hingegen dringen mit aggressiven Verkaufsmethoden selbst in die entferntesten Märkte ein. Attraktive Finanzierungsmodelle steigern zudem das Interesse an chinesischen Marken.

In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden einige der größten europäischen Automobilhersteller entscheiden, ob sie auf die Bremse treten oder weitermachen. Einige Hersteller, die auf dem Markt für Elektrofahrzeuge zu kämpfen haben, setzen sich bei der EU dafür ein, die Frist für konventionelle Motoren bis 2035 zu verlängern.

Hohe Steuern auf Automobilimporte aus China werden auf lange Sicht die europäischen Automobilunternehmen stärker treffen als China selbst. Denn viele chinesische Unternehmen werden nun anfangen, in der EU zu produzieren. Lokale Unternehmen werden dadurch in eine schwierigere Lage geraten.

In Anbetracht der enormen Investitionen deutscher Automobilunternehmen in China werden traditionelle deutsche Automobilunternehmen nicht wirklich verschwinden, sondern versuchen zu konkurrieren und zu überleben. Dafür werden sie ihre wichtigsten Produktionsprozesse langfristig nach China verlagern und mit chinesischen Unternehmen zusammenarbeiten. Am Ende dieses Prozesses könnte die Abhängigkeit der europäischen Automobilindustrie von China weiter zunehmen.

Donald Trumps Wahl war eine weitere schlechte Nachricht für Deutschland. Denn nun könnten auch auf Autos mit EU-Ursprung, die in die USA eingeführt werden, neue Zölle erhoben werden. Das wäre ein weiterer Alptraum für ganz Europa.

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