Der Österreichische Rundfunk und die Frage nach dem ungewollten Rassismus
Die ZiB1-Darstellung versinnbildlicht die Blindheit der Dominanzgesellschaft im Hinblick auf die Kämpfe muslimischer Frauen. Sie können den Boden des Justizministeriums wischen, aber keine Staatsanwältinnen werden, so die Vorstellung.
ORF (DPA)

Es war eine Lawine der Kritik, die losgetreten wurde, nachdem das Nachrichtenformat ZiB1 des Österreichischen Rundfunks (ORF) eine Grafik einblendete, die es in sich hatte. Basierend auf einer Studie des renommierten Umfrageinstituts Sora zu Ansehen und Arbeitsbedingungen von systemrelevanten Berufen wurde eine Grafik eingeblendet, die Ärztinnen, Pflegerinnen, Polizisten, Kassiererinnen und Reinigungskräfte zeigte.

Abgesehen von dem darin enthaltenen Gender-Aspekt, wonach die tendenziell schlecht bezahlten Branchen von Frauen getragen werden, war noch ein weiteres Detail auffällig: Die Putzfrau trägt einen Hijab, eine muslimische Bedeckung des Hauptes, und eine Tunika. Tatsächlich gab es auf der einen Seite die „Versteher“, die da meinten, dies würde doch lediglich die Realität abbilden. Warum also die Aufregung? Und auf der anderen Seite gab es die Kritiker - insbesondere muslimische Frauen, Ärztinnen und Lehrerinnen, die selbst den Hijab tragen und diese Stereotypisierung als nicht repräsentativ kritisierten.

Es dauerte nicht allzu lange, bis sich das ZiB1-Team entschuldigte und mitunter folgende Nachricht verbreitete: „Wir haben mit dieser Grafik ungewollt Vorurteile bedient, das hätte so nicht auf Sendung gehen dürfen.”

Instinktiv ist diese Reaktion zu begrüßen, sowohl was die Schnelligkeit anbelangt als auch die Fähigkeit, sich Fehler einzugestehen. Die Welle der Kritik wurde ernst genommen. Das zeigt umgekehrt auch, wie wichtig es auf Seite der UserInnen ist, nicht zu verstummen und mit Kritik nicht zu sparen. Der obige Satz aus der Entschuldigung veranschaulicht auch noch etwas anderes: Wer immer auch diese Grafik erstellt hat, zeigt den Menschen, welche Bilder in den Köpfen jener Personen stecken, die sich in zentralen Machtpositionen befinden, wo Bilder nicht nur ein Abbild von Lebensrealitäten darstellen, sondern auch Lebensentwürfe vorgeben können.

Es ist die Tragikomödie dieser Grafik, die vor dem Hintergrund der Unruhen in den USA in Reaktion auf die Ermordung von George Floyd die Bandbreite der Gefühle zwischen antirassistischem Anspruch und rassistischer Diskriminierung spannt. Österreich ist ein Land, das gerade in den letzten wenigen Jahren eine Rekordzahl an Maßnahmen zur Diskriminierung von muslimischen Frauen unternommen hat. Neben den sogenannten Kopftuchverboten im Kindergarten, in der Volksschule sowie bis zum 14. Lebensjahr steht die Absichtserklärung des Bundeskanzlers aus der Zeit in der Koalition mit der rechten FPÖ, dieses Kopftuchverbot auf den öffentlichen Dienst auszuweiten. Dazu gesellt sich der Konsens, wonach Richterinnen, Staatsanwältinnen und Polizistinnen nach Auffassung der politischen Führung des Landes quer über die meisten politischen Couleur ohnehin keinen Hijab tragen dürfen. Hinzu kommt die de facto Ausgrenzung von muslimischen Frauen in weiten Teilen des Arbeitsmarktes, solange diese auf das Tragen des Hijabs bestehen.

Die „ungewollte Bedienung von Vorurteilen“, wie der ORF sagt, ist gerade in diesem Spannungsfeld problematisch, denn sie verdeutlicht mehreres zugleich: So ist es die Blindheit der Dominanzgesellschaft im Hinblick auf die Kämpfe muslimischer Frauen, die sich in der Darstellung des Bildes der Hijab-tragenden Frau versinnbildlicht. Muslimische Frauen können den Boden des Justizministeriums putzen, nicht aber als Staatsanwältinnen in das Gebäude eintreten, so die dahinterstehende Vorstellung. Sie veranschaulicht auch die Dominanz weißer Lebensweisen in den Korridoren der Meinungsbildner und das gilt mehr als für die Medien insbesondere für weite Teile der Politik, denen gegenüber Medien eigentlich kritisch als Korrektiv auftreten sollten. Dem ORF kommt dabei als öffentlich-rechtlicher Rundfunk eine besondere Verantwortung zu, da er nicht als privater Akteur handelt, sondern mitunter ideell den Steuerzahlern verpflichtet ist.

Insofern ist festzuhalten, dass wenn die Kritik ernst gemeint ist und der strukturelle Rassismus anerkannt werden soll, der dieses Bild überhaupt erst ermöglicht hat, dann sollte der ORF weitreichende Maßnahmen – von der Besetzung des Personals bis hin zur Weiterbildung in Fragen von Rassismus – setzen. Nicht in erster Linie, um solche Bilder zu verunmöglichen, sondern um nicht Komplize der Ignoranz weißer Privilegien zu werden, die die Ausgrenzung und Erniedrigung von als „anders“ markierten Menschen wie in diesem Fall muslimischen Frauen reproduzieren.

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