Chinas Investitionen umschlingen Europa
China exportiert mehr Produkte nach Europa und nutzt seine technologische Überlegenheit zum eigenen Vorteil aus. Das neue Abkommen zwischen der EU und China zielt darauf ab, ein neues Gleichgewicht bei den wirtschaftlichen Beziehungen herzustellen.
(AP)

Eine der wichtigsten historischen Entwicklungen des 21. Jahrhunderts ist der Aufstieg Chinas. Zu den wichtigsten Säulen dieses Aufstiegs zählen die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Staaten, das Reservoir an billigen Arbeitskräften und die stetigen Investitionen aus dem Ausland. Gepaart mit dem chinesischen Regierungsstil, hat dieser Erfolg mit dem Übergang hin zu einem kontrollierten liberalen System dazu beigetragen, dass sich die Volkswirtschaft der Außenwelt öffnen konnte. Während also die Schritte zur Liberalisierung die Entwicklung des Außenhandels vorantrieben, verbesserten sich darüber hinaus die bilateralen Beziehungen zu anderen Staaten und gewann insbesondere diewirtschaftliche Tätigkeit mit Europa als eines der globalen Konsumzentren an Bedeutung.

China ist gegenwärtig das Land mit dem weltweit größten Außenhandelsvolumen und strebt in alle wichtigen Konsummärkte. Unter diesen Märkten ist Europa sowohl für Investitionen als auch für den Außenhandel sehr wichtig. Angesichts des aktuellen bilateralen Handelsvolumens in Höhe von 705 Milliarden Dollar kann man sagen, dass die Beziehungen zwischen China und Europa von strategischer Bedeutung sind. Die Tatsache, dass die gegenseitigen Investitionen bereits ein Volumen von über 500 Milliarden Dollar erreicht haben, sorgt bei beiden Parteien für eine bedeutende Auslastung bestehender Produktionskapazitäten. Das „umfassende Abkommen über Investitionen“, das voraussichtlich 2022 in Kraft treten soll, verdeutlicht, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Peking und Brüssel eine neue Dimension erreicht haben. Denn der europäische Kontinent ist gleichzeitig Endhaltepunkt des neu aufgelegten Seidenstraße-Projekts. Dass die größten Volkswirtschaften der Welt auf diese Weise zusammenstreben, ist auch ein Zeichen gravierender systemischer Veränderungen.

Das strategische Investitionsabkommen

Das Investitionsabkommen, von dem sich Unternehmen mit Sitz in der EU einen leichteren Zugang in den chinesischen Markt erhoffen, umfasst Bereiche wie Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit und Handel. Die Regierung in Peking verpflichtet sich zudem, europäischen Unternehmen in Sektoren wie Automobilindustrie, Hafendienstleistungen, Luftfahrt, Finanzen, Gesundheitswesen und Telekommunikation gewisse Privilegien einzuräumen und darüber hinaus transparenter bei der Verteilung von öffentlichen Geldern zu werden. Das Abkommen, welches auch den Technologietransfer aus EU-Staaten verbietet, hält auch gewisse Zugeständnisse Chinas fest. So umfasst das Abkommen, das gleichzeitig die Einhaltung der Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation vorschreibt, Regeln zu einem fairen Wettbewerb zwischen den Parteien in puncto Investitionen und Außenhandel. Allerdings behindern derzeit das Vorgehen der Kommunistischen Partei Chinas gegen die uigurische Minderheit, gravierende Menschenrechtsverletzungen sowie Vorwürfe der Zwangsarbeit den erfolgreichen Abschluss des Abkommens. Nichtsdestotrotz versucht die Regierung in Peking, die im Vergleich zu den Mitbewerbern nunmehr signifikante Vorteile im Außenhandel für sich verbucht, ein neues Netzwerk für seine Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen.

Chinesische Investitionen in Europa nach Sektoren

Zwischen 2005 und 2020 konnte China sein Volumen an Auslandsinvestitionen auf 2 Billionen Dollar erhöhen und investierte mit 430 Milliarden Dollar zahlenmäßig am meisten auf dem europäischen Kontinent. Europa folgen Afrika und Asien. In dieser Periode stechen chinesische Investitionen in Europa hervor, etwa in Großbritannien (98,6 Milliarden Dollar), der Schweiz (61,2 Milliarden), Deutschland (48 Milliarden), Frankreich (32,4 Milliarden) und Italien (26,7 Milliarden) hervor. Bei näherer Betrachtung der chinesischen Investitionen in Europa auf Basis der Sektoren wird ersichtlich, dass Investitionen im Verkehrsbereich (79,7 Milliarden Dollar), im Energiesektor (76,6 Milliarden) und in der Landwirtschaft (59,1 Milliarden) den Großteil des Gesamtinvestitionsvolumens ausmachen. Europa erhält mehr als 21 Prozent der Investitionen Chinas und macht so 14 Prozent des chinesischen Außenhandels aus.

Die sichere, stabile und kontinuierliche Einfuhr chinesischer Produkte nach Europa, eines der wichtigsten Konsumzentren der Weltwirtschaft, ist für die weitere Entwicklung der chinesischen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Ebenso ist Europa, in dem viele chinesische Unternehmen aktiv tätig sind, einer der wichtigsten Motoren des gegenwärtigen technologischen Fortschritts. Auch deshalb streben viele Investitionen aus Peking nach Europa, und gleichzeitig tragen chinesische Unternehmen zum Ausbau der Produktionskompetenz westlicher Staaten bei. Gleiches gilt umgekehrt auch für China. Während also beide Parteien mit den aufblühenden Beziehungen zufrieden scheinen, profitiert China aufgrund seiner wirtschaftlichen Leistungskapazität offensichtlich mehr von selbigen. Auf der einen Seite exportiert China immer mehr Produkte in EU-Staaten, andererseits weist es einen Außenhandelsüberschuss von über 150 Milliarden Dollar aus. Darüber hinaus profitiert China dank seiner getätigten Investitionen in Europa von den dortigen technologischen Entwicklungen. In diesem Sinne zielt das neue Abkommen zwischen der EU und China, das 2022 in Kraft treten soll, darauf ab, ein neues Gleichgewicht bezüglich der bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen herzustellen.

Das Projekt der neuen Seidenstraße und chinesische Investitionen

Der Entwicklungsprozess der alten Seidenstraße wurde von vielen Konflikten und historischen Ereignissen begleitet. Eine der wichtigsten Folgen war zweifellos die Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen Europa und Asien. In China hergestellte Produkte wurden auf dem Landweg nach Europa transportiert, und entsprechend kumulierte in Asien der Reichtum. Während also China immer mehr Waren nach Europa verkaufte, wurden im Gegenzug Edelmetalle wie Gold und Silber in Asien angehäuft. Mit der Industrialisierung begannen europäische Staaten ihre Produktionskapazitäten zu steigern und konnten ihre Produkte vermehrt nach China exportieren. Aktuell ändert sich jedoch die Ausgangslage erneut. China exportiert nämlich immer mehr Produkte nach Europa und nutzt die technologische Überlegenheit zu seinen Gunsten aus. Dabei ist das Projekt der Seidenstraße einer der wichtigsten Indikatoren für diesen neuerlichen Wandel. Im Vergleich zur historischen Route umfasst das Projekt, welches in mehr als 100 Staaten umgesetzt wird, drei Etappen, die bis nach Europa führen. So trägt die Regierung in Peking zur Entwicklung der Infrastruktur und Häfen verschiedener Staaten bei, tätigt Investitionen im Energiesektor und leistet auch einen aktiven Beitrag zum Ausbau aller Handelsrouten. Darüber hinaus hat China mehrere Häfen in Staaten wie Israel, Kenia, Griechenland, Italien und Großbritannien übernommen, um den Transport chinesischer Produkte nach Europa sicherer zu machen. Chinas Investitionen in die neue Seidenstraße und die Summe der bereitgestellten Ressourcen für den Bau von Häfen, Eisenbahnen und Straßen haben weltweit 762,5 Milliarden Dollar überschritten. Hauptziel dieser Investitionen ist der sichere, kontinuierliche und stabile Transport eigener Produkte nach Europa. Die Initiative „One Belt, One Road“, die einen Beitrag zur Weltwirtschaft in Höhe von bis zu 8 Billionen Dollar entfalten kann, ist das zentrale Thema im Handel zwischen Europa und Asien.

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