von Ali Özkök
TRT Deutsch hat mit Herbert Heuß gesprochen. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma.
Obwohl Sinti und Roma seit mittlerweile mehr als 600 Jahren in Europa leben, werden sie heute noch in vielen Ländern der EU als Fremdkörper behandelt und zum Ziel von Hasskampagnen und Ausgrenzung. Woher kommt diese anhaltende Feindseligkeit?
Der Antiziganismus ist als eine spezifische Form des Rassismus tief in den europäischen Gesellschaften und Vorstellungen verwurzelt. Eine der Funktionen dieses Antiziganismus ist sicher im Kontext des entstehenden Nationalstaats zu finden, nämlich in der Herstellung von Homogenität, die über lange Zeit hinweg ein Ziel und Voraussetzung des Nationalstaates war. Auf einer anderen Ebene dient die imaginierte Figur des „Zigeuners“ – mit Freiheit, Ungebundenheit und all den anderen romantisierenden Vorurteilen – der Disziplinierung der Mehrheit: Wenn ihr euch Freiheit etc. wie „Zigeuner‘ holen wollt, dann wird es euch genauso ergehen wie den „Zigeunern“, dann wird euch genauso die soziale Stigmatisierung treffen. Bei allen sozialen Konflikten dient immer noch die Minderheit als kleinster gemeinsamer Nenner: In der Ausgrenzung von Sinti und Roma treffen sich immer noch Gruppen, die sonst durchaus unterschiedliche Interessen haben. Mit anderen Worten: Hass und Ausgrenzung sind Instrumente einer Integration der Mehrheit.
Wie kann eine kleine Community dem gegensteuern?
Sinti und Roma können als noch dazu kleine Minderheit dagegen wenig tun; der Antiziganismus ist ein Problem der Mehrheit – und zentrales Problem für die Minderheit. Es ist deshalb ein wichtiges Signal für den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma wie für unsere Gesellschaft als Ganzes, dass die Bundesregierung im Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsradikalismus und Rassismus gezielt die Bekämpfung des Antiziganismus in den Maßnahmenkatalog aufgenommen hat. Wichtig ist auch der aktuell von der Unabhängigen Kommission Antiziganismus, die die Bundesregierung im März 2019 berufen hatte, vorgelegte Bericht „Perspektivwechsel – Nachholende Gerechtigkeit – Partizipation“, der Anfang Mai dem Kabinett vorgelegt wird und der gezielte Empfehlungen ausspricht.
Was muss im Verhältnis zwischen Staat, Mehrheit und Roma-Communitys aus Ihrer Sicht besser laufen, um das Zusammenleben zu optimieren?
Zunächst müssen Regierungen, aber genauso auch Medien, Institutionen und verstehen, dass „Roma“ keine homogene Gruppe sind, sondern dass sich die einzelnen Gruppen stark voneinander unterscheiden. So leben die deutschen Sinti seit über 600 Jahren im deutschen Sprachraum, sie sind deutsche Staatsbürger. Auf der anderen Seite leben etwa in Rumänien über 50 verschiedene Gruppen, die sich zum Teil deutlich voneinander unterscheiden. Heute leben große Teile der Roma-Bevölkerung insbesondere in den Staaten Ost- und Südosteuropas unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Dabei darf aber auch nicht übersehen werden, dass es gerade in diesen Ländern gleichzeitig eine nicht ganz kleine Gruppe von gut ausgebildeten jungen Roma gibt, die aber oftmals keine angemessene Arbeit finden und die dann zur Migration gezwungen sind.
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat sich sehr dafür eingesetzt, dass während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im neuen Strategischen Rahmen der EU zur gleichberechtigten Teilhabe von Roma das Thema Antiziganismus fest verankert wird. Nach unserer Auffassung ist dieser Antiziganismus die entscheidende Ursache für die oftmals desolate Lebenssituation vieler Roma, und jede Änderung dieser Situation muss sich mit dem bestehenden Antiziganismus direkt auseinandersetzen. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat hierfür in den Staaten des Westbalkans erste Projekte ins Leben gerufen.
Referenten auf der jüngsten Konferenz des European Roma Institute for Arts and Culture (ERIAC) hatten Medien als zentralen Faktor genannt, wenn es um die Verstärkung von Feindseligkeiten geht. Welche Möglichkeiten sehen Sie, hier Wahrnehmungen zu verändern?
Die Medien spielen in der Tat eine große Rolle, und zwar in beide Richtungen. Wenn etwa Spiegel-TV immer wieder vorgebliche "Dokumentationen" produziert und sendet, die auf eine Kriminalisierung und Stigmatisierung der gesamten Minderheit allein aufgrund ihrer Abstammung hinzielen, dann wird hier immer wieder ein Bild produziert, das im schlimmsten Fall Gewalt gegen die Minderheit provoziert. Die Kommentare und die Emails, die der Zentralrat im Anschluss an derlei Sendungen erhält, sind in dieser Hinsicht eindeutig.
Andererseits aber sind die Medien ein wichtiger Bündnispartner für Sinti und Roma, um eben Gegenbilder zu den tiefverwurzelten Stereotypen zu schaffen. So hat der Bayerische Rundfunk aktuell eine Sendung über den Einfluss der Musik von Sinti und Roma auf die europäische Klassik produziert und gesendet. Hier kommt zum Beispiel Riccardo M. Sahiti, Gründer und Dirigent der „Roma und Sinti Philharmoniker“, zu Wort, der den Reichtum an Kompositionen von Haydn, Brahms, Sarasate und vielen anderen aufzeigt, die eben die Musik von Roma aufgenommen haben.
Die Bürgerrechtsarbeit in Deutschland und ebenso international wäre ohne die Unterstützung vieler Journalisten und Medien heute nicht in dieser Form existent. Die Auseinandersetzungen mit einer staatlichen Politik, die in Deutschland jahrzehntelang die Anerkennung des Holocaust, des NS-Völkermordes an über 500.000 Sinti und Roma in Europa, verhindert hatte, die nach dem Krieg ungebrochene Fortsetzung der Sondererfassung von Sinti und Roma in Deutschland, der damit aufs engste verbundene Ausschluss von der Entschädigung: Alle diese oftmals langjährigen Auseinandersetzungen wären ohne die Unterstützung vielen Bündnispartner und hier vor allem vieler demokratischer Journalisten und Medien nicht möglich gewesen.
Hier zeigt sich, welche Verantwortung Medien wahrnehmen müssen, aber auch welche Möglichkeiten den Medien, und besonders den digitalen Medien, innewohnen.
Vielen Dank für das Gespräch!