Armin Kurtović: „Mein Sohn Hamza hätte fliehen können“
Warum war der Notausgang in der „Arena Bar” in Hanau verschlossen? Diese Frage beschäftigt Armin Kurtović. Im Gespräch mit TRT Deutsch spricht er von Polizeiversagen.
Armin Kurtović: „Mein Sohn Hamza hätte fliehen können“ / Photo: DPA (DPA)

von Feride Tavus

Die Familie von Hamza Kurtović hat am Donnerstag erneut eine Strafanzeige wegen des verschlossenen Notausgangs in der „Arena-Bar“ gestellt. Sie fordert die Wiederaufnahme der Ermittlungen.

In der Nacht des Hanauer Anschlags soll der Notausgang der Bar verschlossen gewesen sein. Aus diesem Grund seien die Opfer nicht zum Notausgang, sondern in den hinteren Barbereich geflohen. Dort hätten sie keine Chance gehabt, dem Täter zu entkommen, so die Angehörigen des Opfers. Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen aus rassistischen Motiven ermordet - unter den Opfern war auch der 22-jährige Hamza Kurtović.

Armin Kurtović und Hamza Kurtović (Armin Kurtović)

Ermittlungsverfahren zum Notausgang wurde eingestellt

Wurde die Tür zum Notausgang absichtlich verschlossen? Geschah dies auf Anweisung der Polizei, weil man sich davon einen Vorteil bei Razzien versprach? In diesem Zusammenhang führte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung durch. Schließlich wurde das Verfahren im August 2021 aufgrund mangelnder Beweise eingestellt. Die Entscheidung wurde 2022 von der hessischen Generalstaatsanwaltschaft bestätigt.

Videoaufnahmen zeigen, dass zwei Besucher kurz vor den Schüssen in den Bereich des Notausgangs gehen. Sie kehren jedoch zurück, weil sie den Notausgang verschlossen vorfinden. Auch ein Überlebender habe bestätigt, dass alle Türen verschlossen waren und deshalb niemand zum Notausgang gelaufen sei. Einem Gutachten zufolge wäre genug Zeit für eine Flucht durch den Notausgang vorhanden gewesen.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit wäre auch Hamza reflexartig zur Tür gelaufen, wenn er angenommen hätte, dass sie offen sei. Menschen neigen dazu, sich von Gefahren zu entfernen, nicht auf sie zuzulaufen, bestätigte die Berliner Polizeipsychologin Birgitta Sticher vor dem Untersuchungsausschuss. Zwei Polizeibeamtinnen bestätigten ebenfalls vor dem Ausschuss, dass die Tür verschlossen war. Diese Aussagen wurden von den Ermittlungsbehörden angezweifelt.

Graffiti erinnert an die Opfer des Anschlags in Hanau am 19. Februar 2020 (DPA)

In der aktuellen Strafanzeige der Familie Kurtović werden unter anderem neue Zeugenaussagen angeführt. Ein Zeuge versichert, dass er im Jahr 2017 persönlich von einer Polizeianordnung in Bezug auf den Notausgang der Arena Bar gehört habe. Ein weiterer Zeuge berichtet, er habe von einem gegenüberliegenden Balkon aus wiederholt Polizeirazzien in der Arena Bar beobachtet. Während dieser Polizeirazzien seien einige Personen durch den Notausgang auf der Rückseite der Bar geflüchtet. Ab Ende 2017 sei jedoch niemand mehr von dort gekommen. Es hätten auch keine Polizisten mehr die Rückseite gesichert. Eine Kopie der schriftlichen Zeugenaussage vom November 2022 liegt TRT Deutsch vor.

Kurtović erhebt Vorwürfe gegen die Polizei

Armin Kurtović berichtet im Gespräch mit TRT Deutsch, dass sein Sohn Hamza hätte entkommen können, wenn der Notausgang geöffnet gewesen wäre. Er betont: „Wir sprechen von neun Sekunden und vielleicht 20 bis maximal 30 Metern.“ Kurtović erhebt Vorwürfe gegen die Polizei und fügt hinzu, dass die Behörden bei den Ermittlungen versagt hätten. Nach Angaben eines Polizeibeamten hat es in den letzten drei Jahren 47 Razzien in der Arena-Bar gegeben. „Wenn das so ein Drecksloch ist, warum wurde diese Bar nicht geschlossen“, so der Vater des Opfers.

Auf die Frage, warum die Staatsanwaltschaft trotz Zeugenaussagen nicht wegen des Notausgangs ermittelt habe, meint Kurtović: „Der Staatsanwalt muss jeden Tag mit diesem Polizisten arbeiten. Er steht mit diesen Menschen in Kontakt.“ Dabei hätten mehrere Zeugen ausgesagt, dass die Schließung des Notausgangs von Polizeibeamten angeordnet worden sei.

Nach Ansicht von Kurtović hätten die Ermittlungen von Polizisten durchgeführt werden müssen, die keine Verbindung zu Hessen haben und daher unvoreingenommen seien. Denn in diesem Fall handele es sich um ein Tötungsdelikt, bei dem die Polizei involviert sei. Hier werde versucht, etwas zu vertuschen, so Kurtović.

Armin Kurtović und Dijana Kurtović (DPA)

Der Familienvater zeigt sich enttäuscht von der Arbeit des Untersuchungsausschusses. Er erklärt, dass Aufklärung versprochen wurde. Aber viele hätten versucht, „sich aus der Verantwortung zu stehlen“, so Kurtović. Er fühle sich in diesem Land seit den Ereignissen nicht mehr sicher. Am Tag der Tat seien 19 SEK-Beamte im Einsatz gewesen. Später habe sich herausgestellt, dass 13 von ihnen in rechtsextremen Chats aktiv gewesen waren. Wie hoch sei die Wahrscheinlichkeit, dass unter diesen Umständen ein Polizist käme, der auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, fragt Kurtovic.

Kurtović habe sein Vertrauen in die Polizei, die Behörden, die Justiz und sogar in die Politiker längst verloren. Er äußert scharfe Kritik an den Äußerungen von Friedrich Merz: „Der CDU-Politiker sagt ‚Kreuzberg ist nicht Deutschland‘. Ich dachte immer, das gehört zu Berlin. Er nennt unsere Kinder öffentlich ‚kleine Paschas‘. Was ist los mit ihm? Ich bin hier geboren. Meine Kinder sind hier geboren. Wir sind ein Teil dieses Landes.“

Hamza Kurtović (Privatfoto: Armin Kurtović)

Der in Bayern geborene Familienvater fragt, wie lange sie noch als ‚Kanaken’ bezeichnet werden. „Was wird von mir erwartet? Soll ich die Augen aufreißen wie Cem Özdemir und in jedem dritten Satz sagen, ich bin Schwabe? Am Ende sind wir schuld an allem, was hier schiefläuft“, erklärt Kurtović.

Unter der angespannten Situation leide inzwischen auch seine Gesundheit. Vor fünf Monaten habe er drei Schlaganfälle gehabt, erzählt Kurtović. Für seinen Sohn Hamza wolle er aber weiterkämpfen. Das sei er seinem Sohn schuldig. „Er würde dasselbe für mich tun“, so Kurtović.

TRT Deutsch