Libyen-Konferenz: Merkel steht vor großer Herausforderung
Mit großen Erwartungen startet heute der Gipfel in Berlin. Als Vermittlerin will Kanzlerin Merkel das Ende der Gewalt in Libyen erreichen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (AFP)

Es ist eins der größten internationalen Gipfeltreffen, die es in den vergangenen Jahren in Berlin gegeben hat. Und für Gastgeberin Angela Merkel ist es zweifellos eins der wichtigsten ihrer Kanzlerschaft, die sich dem Ende zuneigt. Sie hat die Vermittlerrolle in einem der gefährlichsten und kompliziertesten Konflikte übernommen, die es derzeit gibt. Am Sonntag geht es im Kanzleramt darum, einen Stellvertreterkrieg wie in Syrien zu unterbinden und ein Land zu stabilisieren, das seit einem Jahrzehnt immer weiter im Chaos versinkt. Aus europäischer Sicht geht es aber auch darum, den Zuzug von Flüchtlingen aus Afrika zu begrenzen und Terroristen einen neuen Rückzugsraum in unmittelbarer Nachbarschaft zu verbauen. Die Ausgangslage In Libyen herrscht seit dem Sturz und der Tötung des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi 2011 Chaos und Bürgerkrieg, in den sich zuletzt immer mehr ausländische Akteure und Kämpfer eingeschaltet haben. Im April 2019 eskalierte die Situation mit dem Vormarsch des Rebellengenerals Chalifa Haftar auf die Hauptstadt Tripolis, in der Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch das Sagen hat. Haftar kontrolliert inzwischen drei Viertel des Landes und wird von Russland, Ägypten, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) unterstützt. Die Türkei und Katar zählen zu den wichtigsten Verbündeten Al-Sarradschs. Das Ziel Der Gipfel soll die Eskalationsspirale stoppen, das bestehende UN-Waffenembargo durchsetzen, auf einen dauerhaften Waffenstillstand hinwirken und so den Weg zu einem Friedensprozess ebnen. Die Teilnehmer Die Bundesregierung hat die Länder eingeladen, die auf den Konflikt von außen einwirken oder sogar direkt daran beteiligt sind - etwa durch Waffenlieferungen oder die Entsendung von Söldnern. Auf der Gästeliste stehen alle fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, also die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Daneben sind die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten (beide Verbündete Haftars), die Türkei, Algerien und die ehemalige Kolonialmacht Italien (alle Verbündete Al-Sarradschs) dabei. Hinzu kommt Kongo, das in der Afrikanischen Union ein Komitee zum Libyen-Konflikt leitet - und Gastgeber Deutschland. Außerdem: die Vereinten Nationen, die Europäische Union, die Afrikanische Union und die Arabische Liga. Auf welcher Ebene die einzelnen Länder teilnehmen, war bis Samstagabend nicht vollständig bekannt. Die prominentesten Teilnehmer werden wohl der russische Staatschef Wladimir Putin, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und US-Außenminister Mike Pompeo sein. Die Hauptakteure

Und was ist mit den Libyern selbst? Al-Sarradsch und Haftar haben ihr Kommen zugesagt. Welche Rolle sie bei dem Gipfel spielen, ist aber noch offen. In erster Linie geht es in Berlin um ein Abkommen zwischen den fremden Mächten, die in Libyen Einfluss nehmen. Die Vermittlung zwischen den Konfliktparteien selbst ist eigentlich eine andere Baustelle. Die Anwesenheit der beiden bietet aber die Chance, auch im Ringen um ein formelles Waffenstillstandsabkommen weiterzukommen.

Die Gastgeber Dass Deutschland in einem großen Konflikt die maßgebliche Vermittlerrolle hat, kommt nicht so oft vor. Neben Libyen ist das derzeit noch im Ukraine-Konflikt - zusammen mit Frankreich - der Fall. Für Libyen bot sich Deutschland vor allem aus zwei Gründen an: Der Konflikt spielt sich in unmittelbarer europäischer Nachbarschaft ab und geht Europa deswegen ganz besonders an. Außerdem hat sich Deutschland bisher - anders als Frankreich - aus dem Konflikt weitgehend herausgehalten. Vorbereitet wurde der Gipfel seit Herbst vergangenen Jahres gemeinsam von Kanzleramt und Auswärtigem Amt. Die Erfolgschancen

Es ist schon ein Erfolg, dass der Gipfel in dieser Konstellation überhaupt zusammenkommt.

Auch ein Abschlussdokument wurde in fünf Vorbereitungstreffen hochrangiger Beamter bereits ausgehandelt. Nach UN-Angaben enthält es unter anderem ein Bekenntnis zur Umsetzung des Waffenembargos, das seit 2011 besteht, aber bisher wirkungslos geblieben ist. Eine Einigung auf die schriftliche Vereinbarung wäre ein weiterer diplomatischer Erfolg. Welche praktischen Auswirkungen er haben würde, ist aber eine andere Frage. Das Risiko

Es besteht vor allem darin, dass die gemeinsame Gipfelerklärung ein wirkungsloser „Papiertiger“ bleibt und die beschlossenen Maßnahmen nicht umgesetzt werden. Deswegen beginnt die eigentliche Arbeit erst nach dem Gipfel. Wie wird der Waffenstillstand gesichert? Wer überwacht die Einhaltung des Waffenembargos? Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat bereits eine Diskussion über einen Militäreinsatz der Europäischen Union angestoßen. Falls es dazu kommen sollte, wäre auch die Bundeswehr gefragt. Passenderweise kommen gleich am Montag die EU-Außenminister zu Beratungen in Brüssel zusammen - auch über Libyen.

DPA