Bei der Libyen-Konferenz in Berlin sollen einem internen UN-Bericht zufolge eine permanente Feuerpause und eine konsequente Umsetzung des Waffenembargos für das Bürgerkriegsland erreicht werden.
Demnach ist der Entwurf des Abschluss-Kommuniqués in sechs Bereiche unterteilt. Diese beinhalten neben der Erreichung eines Waffenstillstands und der Umsetzung des immer wieder missachteten Einfuhrverbots für Kriegswaffen auch Reformen in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit.
Das Schreiben wurde von Generalsekretär António Guterres an die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates geschickt. Datiert ist es auf den 15. Januar. Zudem sollen sich die Vertreter aus mehr als zehn Ländern am Sonntag für eine Rückkehr zu einem politischen Prozess in Libyen und zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts sowie der Menschenrechte verpflichten.
Hochrangige Staats- und Regierungschefs in Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfängt am Sonntagnachmittag Vertreter von Staaten, die Einfluss auf den Libyen-Konflikt haben. Unter anderen werden der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der russische Staatschef Wladimir Putin und US-Außenminister Mike Pompeo erwartet. In Libyen konkurrieren der UN-gestützte Ministerpräsident Fayez al-Sarradsch und der abtrünnige General Khalifa Haftar um die Macht - auch sie sollen nach Berlin kommen.
Aus dem UN-Bericht kann geschlossen werden, dass der Entwurf des Abschlussdokuments in den vergangenen Monaten in fünf Vorbereitungstreffen in Berlin mit Vertretern von mehr als einem Dutzend Ländern und Organisationen erarbeitet wurde. Unter ihnen sind dem Papier zufolge die USA, Russland und die Türkei, aber auch Italien, Frankreich, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Haftar-Milizen schließen Ölhäfen im Osten Libyens
Die Ölhäfen im Osten Libyens, die unter Kontrolle von Haftar stehen, haben ihre Exporte am Freitagabend eingestellt. Damit wird mehr als die Hälfe der Ölproduktion des Landes gestoppt. Ein Sprecher von Haftars sogenannter Libyscher Nationalarmee (LNA) sagt, das „libysche Volk" habe die Häfen geschlossen. Aus Kreisen der staatlichen Ölfirma NOC verlautet jedoch, die LNA und eine ostlibysche Schutztruppe hätten die Schließung befohlen.
Die Schließung der Ölhäfen im Osten Libyens führt der staatlichen libyschen Ölfirma NOC zufolge zu einem Produktionsausfall von 800 000 Barrel pro Tag. Einheiten von Haftar, der den Osten des Landes kontrolliert, hätten die Häfen in Brega, Ras Lanuf, Hariga, Sueitina und Es Sider geschlossen, erklärt NOC. Dies sei ein Fall von höherer Gewalt. Ein Barrel sind 159 Liter.
Der UN-Gesandte für Libyen hofft, dass die am Freitag geschlossenen Ölhäfen im Osten des Landes schon in wenigen Tagen wieder geöffnet werden. Er könne das aber nicht voraussagen, sagt Ghassan Salame in Berlin. Sollte das Problem nicht am Samstag oder Sonntag gelöst werden, dann werde dies bei der Libyen-Konferenz thematisiert.
Die UN-Mission in Libyen zeigt sich „zutiefst besorgt" über Versuche, die Ölproduktion in dem Land zu unterbrechen. Dies hätte verheerende Konsequenzen zuerst und vor allem für die Bevölkerung Libyens, heißt es in einer Erklärung. Alle Seiten seien zur Zurückhaltung aufgefordert.
Haftar kontrolliert zwar die wichtigsten Ölquellen. Von den Einnahmen aus dem Ölgeschäft profitiert allerdings die für die Umverteilung zuständige Einheitsregierung in Tripolis.
EU-Militäreinsatz in Libyen?
Um die angestrebten UN-Ziele in Libyen zu erreichen, schließt die EU einen Militäreinsatz nicht aus – zumindest wenn man dem EU-Außenbeauftragten Josep Borell glauben schenkt. Gegenüber dem Spiegel erklärte Borell, die EU müsse gewappnet sein, um die Umsetzung und Überwachung eines Waffenstillstandes „eventuell auch mit Soldaten“ zu gewährleisten.
Auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hält einen Bundeswehr-Einsatz in Libyen für möglich. Auf der Konferenz am Sonntag gehe es zunächst darum, ob es gelinge, einen dauerhaften Waffenstillstand in dem nordafrikanischen Land zu schließen, sagte die CDU-Chefin am Samstag in Hamburg zum Abschluss der Klausur des Bundesvorstands ihrer Partei.
„Dann wird natürlich auch die Frage kommen, wie soll das geschehen und wer wird das absichern. Dass dann Deutschland, das immer Teil des Prozesses war, auch sich mit der Frage auseinandersetzen muss, was können wir einbringen, das ist vollkommen normal."
Das Verteidigungsministerium könne in diesem Fall sehr schnell sagen, wie ein Beitrag der Bundeswehr aussehen könne. Unterstützung erhielt Kramp-Karrenbauer vom CDU/CSU-Fraktionsvize Johann Wadephul.
Präsident Erdoğan rief die EU seinerseits zur Unterstützung der türkischen Militärmission im nordafrikanischen Land auf. Die Türkei unterhält dort nach eigenen Angaben 35 Soldaten im Land, die koordinieren – aber nicht kämpfen. „Angesichts der Tatsache, dass Europa weniger Interesse an einer militärischen Hilfe für Libyen hat, wäre die offensichtliche Möglichkeit, mit der Türkei zusammenzuarbeiten, die bereits militärische Hilfe leistet“, schreibt er in seinem Beitrag für die US-Zeitschrift „Politico“.
Erdoğan kritisiert darin die bisherige Zurückhaltung der Weltgemeinschaft bei der Beilegung des seit zehn Jahren andauernden Konflikts. Nun sei man mit „den Folgen (...) konfrontiert.“ Schuld daran hätten vor allem auch „antidemokratische-Staaten“ wie Ägypten, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die Haftar und seine Milizen unterstützten. Ebenso sei unverständlich, wieso sich Frankreich entgegen der EU an die Seite des „Putschisten Haftar“ stelle.
„Europa wird mit einer Reihe neuer Probleme und Bedrohungen konfrontiert sein, wenn die legitime libysche Regierung fällt“, warnt Erdoğan und macht zugleich auf die Gefahr aufmerksam, die von Terrororganisationen wie Daesh oder Al-Qaida ausgehe. Diese fänden dort einen fruchtbaren Boden, um zu erstarken. Die EU müsse daher die libysche Einheitsregierung „angemessen“ unterstützen.
Italiens Außenminister Luigi Di Maio lobte am Samstagmorgen die Beziehungen zwischen der Türkei und Italien und bezeichnete sie als „stabil und exzellent“. Eine internationale Militärmission zur Beobachtung der Waffenruhe könne später unter geeigneten Umständen in Betracht gezogen werden.
Macron setzt bei Krisenlösung auf „Realismus“
Aus diplomatischen Kreisen in Paris verlautete, dass Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron bei der Konferenz eine aktive Rolle spielen und Gastgeberin Merkel bereits vor Beginn der Beratungen treffen wolle.
Macron setze sich dafür ein, dass die Konferenz ein Erfolg werde. In der französischen Hauptstadt wurde auch die „sehr kohärente und systematische“ Vorbereitung des Spitzentreffens gelobt.
In den diplomatischen Kreisen in Paris hieß es, Macron setze sich bei der Krisenlösung für das ölreiche Bürgerkriegsland für Realismus ein. Die LNA halte 80 Prozent des Landes. Es muss nach Pariser Ansicht vermieden werden, dass die Kämpfe in der Nähe der Hauptstadt Tripolis weitergehen. „Es ist nötig, dass die beiden (Konflikt-)Parteien eine Verhandlung beginnen, deren Parameter bereits bekannt sind und die in Berlin bestätigt werden“, hieß es weiter.
Es gehe Frankreich auch darum, dass Verpflichtungen, die bereits bei anderen Gelegenheiten eingegangen wurden, nun bestätigt werden - auch wenn das Umfeld sehr spannungsgeladen sei.
Ein Konflikt, der viele interessiert
In dem nordafrikanischen Land tobt seit dem Sturz von Machthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 ein Bürgerkrieg. Die Regierung in der Hauptstadt Tripolis unter Ministerpräsident al-Sarradsch wird dabei von den Truppen Haftars bedrängt, der in Ostlibyen seine wichtigste Machtbasis hat. Warlord Haftar und Verbündete beherrschen weite Teile des Landes, die Regierung nur kleine Gebiete im Nordwesten.
Die Gästeliste des Treffens sorgt seit Tagen für Unruhe. Zuerst beschwerte sich Libyens Nachbarland Tunesien, dass es nicht eingeladen wurde, dann Griechenland. Die Bundesregierung wollte den Teilnehmerkreis nicht zu groß ziehen und beschränkte sich bei den Einladungen auf die Länder, die von außen auf den Konflikt einwirken, zum Beispiel durch Waffenlieferungen oder die Entsendung von Söldnern.