Grüne und SPD kritisieren das Programm von CDU und CSU zur Bundestagswahl als „unsozial, zukunftsvergessen und planlos“. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag), es sei die Bestätigung dafür, dass beide Parteien ausgezehrt und verbraucht seien. Der Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, bilanzierte, statt eines Aufbruchs lege Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet „ein müdes Weiter-So“ vor. Das Unions-Programm sei „zukunftsvergessen, unsozial und unsolide“. Beim Klimaschutz etwa wolle sich Laschet „durchmogeln“ und setze so das Stückwerk aus 16 Regierungsjahren unter Angela Merkel fort, sagte Hofreiter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Ökonomen äußerten zudem Zweifel, dass das Wahlprogramm solide durchfinanziert ist.
Das 139 Seiten starke Manifest trägt den Titel „Das Programm für Stabilität und Erneuerung. Gemeinsam für ein modernes Deutschland“. CDU und CSU schließen darin trotz der massiven Staatsverschuldung infolge der Corona-Krise Steuererhöhungen aus. Sie wollen den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen, kleine und mittlere Einkommen steuerlich entlasten, ebenso Familien mit Kindern. Angekündigt wird auch eine Senkung der Unternehmenssteuern. Die Union bekennt sich überdies zum Beibehalten der Schuldenbremse und will möglichst rasch zu einem Bundeshaushalt ohne neue Schulden zurückkehren.
Grünen-Kritik: Zu wenig Initiativen für Umwelt
Hofreiter rügte, wirksame Maßnahmen für einen stärken Ausbau der erneuerbaren Energieträger, die Mobilitätswende oder einen schnelleren Kohleausstieg fehlten völlig. Und statt die dringend notwendige Investitionsoffensive für die Modernisierung des Landes zu finanzieren, wolle die Union die Steuer für einige Wohlhabende senken. „Die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung wird von der Union schlichtweg vergessen“, sagte Hofreiter. „Ein höherer Mindestlohn, starke Gewerkschaften, familienfreundliche Arbeitszeiten - all das will die Union nicht.“ Die Wahl am 26. September werde daher eine Richtungsentscheidung zwischen Aufbruch und Stillstand.
Walter-Borjans bilanzierte, das Programm sei die in Buchstaben gegossene Planlosigkeit in Sachen Zukunftssicherung. „Kein Konzept für stabile Renten, Kinderförderung, die mit steigendem Einkommen steigt, Eigenheime für wenige vor bezahlbaren Mieten für viele.“ Der SPD-Chef kritisierte, weite Teile des Programms seien unsozial. „Das Mantra heißt: Steuern runter für die ganz oben, und ansonsten laufen lassen.“
Auch Klimaschützer rügten das Wahlprogramm von CDU und CSU als unzureichend im Kampf gegen die „Erderhitzung“. Luisa Neubauer von der Klimaschutzbewegung Fridays for Future, die zugleich auch Mitglied bei den Grünen ist, sagte der „Rheinischen Post“: „Dieses Parteiprogramm ist eine 139 Seiten lange Weigerung, uns vor der Klimakrise zu schützen und das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Die noch größte Volkspartei weigert sich, die größte Krise anzuerkennen, geschweige denn sie anzugehen. Erschütternd.“
Experten sind sich einig, dass bis 2030 weltweit viel mehr getan werden muss, wenn die Erderwärmung - wie 2015 von knapp 200 Staaten in Paris vereinbart - deutlich unter zwei Grad bleiben soll. Schon jetzt habe sich die Erde um rund 1,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erhitzt. Die bereits sichtbaren fatalen Folgen: Je nach Region gebe es mehr Hitzewellen und Dürren sowie Starkregen, Stürme, Unwetter und Überschwemmungen.
Klöckner: Union für Maß und Mitte
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte der „Rheinischen Post“, die Union stehe für Maß und Mitte. „Wir wollen das Land nicht, wie andere, auf den Kopf stellen. Wir wollen keinen radikalen Wandel - sondern das Gute besser machen.“ Der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, sprach im Interview der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ von einem „Gegenentwurf zur Verbotspolitik der Grünen“.
Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, sagte dem RND, er sehe Widersprüche im Unions-Programm. So gingen Schuldentilgung und Investitionen, die absolut notwendig sind, kaum zusammen. Der Verweis auf das Wirtschaftswachstum, wie ihn Laschet bei der Vorstellung gemacht habe, sei zwar richtig. „Aber es wäre schon wegen des demografischen Wandels naiv zu glauben, dass die Bundesrepublik wie nach der Weltfinanzkrise einfach aus den Schulden rauswachsen wird.“ Der Präsident des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest, vermisst „ein überzeugendes und hinreichend konkretisiertes Konzept für die langfristige solide Finanzierung der Rentenversicherung“.
In der Bevölkerung scheint man einen radikalen Wandel indessen nicht unbedingt zu wünschen: CDU und CSU legen im neuen Insa-Meinungstrend für die „Bild“-Zeitung (Dienstag) um einen Punkt auf 28,5 Prozent zu, während die Grünen im Vergleich zur Vorwoche einen halben Zähler einbüßen und nun bei 19 Prozent liegen. Für die FDP werden 14 Prozent ausgewiesen (+ 0,5 Punkte) - mehr denn je seit Beginn dieser Erhebung. Die Liberalen rangieren damit nur noch knapp hinter der SPD, die auf 15,5 Prozent fällt (- 1). Die AfD kommt auf 10,5 Prozent (- 0,5), die Linke auf 7,0 Prozent (+ 1).
Eine schwarz-grüne Koalition käme der Umfrage zufolge - aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde für kleinere Parteien - mit 47,5 Prozent auf eine hauchdünne Mehrheit im Parlament. Eine Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP wäre mit zusammen 48,5 Prozent noch etwas stärker. Für die bisherige rot-schwarze Koalition (44 Prozent) oder für Grün-Rot-Rot (41,5 Prozent) gäbe es dagegen keine Mehrheit. Eine deutliche Mehrheit hätte auch eine sogenannte „Deutschland-Koalition“ aus Union, FDP und SPD. Die mögliche Bildung einer solchen wird zurzeit in Sachsen-Anhalt diskutiert.
Grüne und SPD: Wahlprogramm der Union ist „unsozial und planlos“
22 Juni 2021
„Wir können Deutschland führen“, verspricht die Union im Programm für die Bundestagswahl, ihrem Start in die Nach-Merkel-Ära. Das sieht ihr Noch-Koalitionspartner aber anders. Und nicht nur der bescheinigt CDU/CSU Planlosigkeit und soziale Kälte.
DPA