Um 11.48 Uhr war die politische Karriere des österreichischen Ex-Kanzlers Sebastian Kurz vorbei. „Es war mir eine große Ehre, der Republik zehn Jahre lang gedient zu haben“, sagte der 35-Jährige am Donnerstag in Wien. Mit seinem Abschied aus der Politik zieht er die Konsequenzen aus einem jähen Sinkflug. Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Falschaussage und der Untreue hatten ihn stark in Bedrängnis gebracht.
Noch einmal bestritt Kurz am Vormittag auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz alle Vorwürfe, gab sich aber auch selbstkritisch. Zum Ende seiner zehn Jahre in der Bundespolitik bilanzierte er: „Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher.“
Kurz kündigte an, den Fraktionsvorsitz niederzulegen und einen geordneten Übergang seiner Funktionen zu organisieren. Als möglicher neuer Vorsitzender der Konservativen in Österreich wird Innenminister Karl Nehammer gehandelt. Weitere personelle Konsequenzen im Regierungsteam der ÖVP gelten als wahrscheinlich. Einflussreiche ÖVP-Landespolitiker erklärten im ORF, das der neue ÖVP-Vorsitzende auch das Kanzleramt übernehmen solle. Damit gilt der Verbleib von Kanzler Alexander Schallenberg an der Regierungsspitze als unwahrscheinlich. Schallenberg hatte erst im Oktober Kurz' Nachfolge angetreten.
Im Mai hatte die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Kurz eingeleitet - und sein politischer Stern begann zu sinken. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn, seine Karriere mit geschönten Umfragen gefördert zu haben. Dafür soll mehr als eine Million Euro aus Steuergeldern ausgegeben worden sein. Vorläufiger Tiefpunkt waren Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und in der ÖVP-Zentrale im Oktober, nach denen Kurz als Regierungschef zurücktrat.
Superstar der Konservativen in Europa
Kurz galt lange Zeit als Superstar der Konservativen in Europa. Er startete seine politische Karriere auf Bundesebene 2011 als Staatssekretär für Integration. Mit 27 Jahren wurde er 2014 jüngster Außenminister in der Geschichte Österreichs. 2017 gelang ihm der Sprung an die Regierungsspitze. Kurz wurde Kanzler einer Regierungskoalition aus ÖVP und rechter FPÖ. Für die Beteiligung der Rechtspopulisten an der Regierung wurde er vielfach kritisiert. Nach dem Ende der Koalition in Folge der Ibiza-Affäre kam es zu Neuwahlen. Seit Anfang 2020 war Kurz Kanzler eines Bündnisses von ÖVP und Grünen.
Zu seinen politischen Markenzeichen gehörten seine große Bürgernähe und sein vehementes Eintreten für eine restriktive Migrationspolitik. Auch in seiner Abschiedsrede kam er auf seinen Wahl-Schlager zurück: Migration dürfe nicht ungesteuert stattfinden und brauche Grenzen. Unter anderem für solche im Ton unaufgeregten und klaren Ansagen, die in anderen Ländern als ganz weit rechts eingeordnet werden, wurde er von vielen Österreichern bewundert. Zugleich polarisierte Kurz. Seine Anhänger gingen für ihn durchs Feuer, seine Gegner höhnten gern über ihn ohne Unterlass.
Auch wenn das zum Schicksal eines Spitzenpolitikers gehöre, habe ihn das doch auch etwas zermürbt, räumte Kurz ein. Gerade die Entwicklungen der vergangenen Monate hätten seine Begeisterung für Politik getrübt. „Ich hatte fast ein bisschen das Gefühl, gejagt zu werden.“
Seine Zukunftspläne ließ Kurz, der Jura nicht zu Ende studiert hat, im Unklaren. Er wolle sich im neuen Jahr neuen beruflichen Aufgaben widmen. Zuvor war spekuliert worden, er übernehme wohl einen Top-Job in der Wirtschaft. Zunächst solle nun seine Familie im Mittelpunkt stehen, gab der Ex-Kanzler zu erkennen. Er war vor wenigen Tagen erstmals Vater geworden. „Ich werde jetzt aufbrechen und meinen Sohn und meine Freundin aus dem Spital abholen“, rief Kurz beim Abgang den Journalisten zu.
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Österreichs Ex-Kanzler Kurz will sich komplett aus der Politik zurückziehen. Innenminister Karl Nehammer übernimmt seine Rolle als Klubobmann der ÖVP. Ein Grund für den Rückzug sind Hasstiraden gegen Kurz' neugeborenes Kind in sozialen Medien.
TRT Deutsch und Agenturen