Volksdroge Alkohol: Suchtexperten fordern höhere Preise
Hoher Alkoholkonsum belastet nicht nur die Konsumenten, sondern auch ihre Angehörigen. Deshalb fordern Organisationen wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen strengere Regelungen und mehr Aufklärung über die Gefahren der Volksdroge.
Archivbild. 04.03.2022 - Baden-Württemberg, Rottweil: Verschiedene alkoholische Getränke stehen auf der Fensterbank im Zimmer einer Jugendlichen. Irland geht mit Warnhinweisen auf alkoholhaltigen Getränken EU-weit voran. Kommen auch in Deutschland bald neue Vorschriften? / Photo: DPA (DPA)

Eine Tochter, die Angst hat, dass die angetrunkene Mutter ausrastet oder ein Mitarbeiter, der wieder für den alkoholbedingt ausgefallenen Kollegen einspringen soll: Die „Volksdroge Nummer eins“ schädige nicht „nur“ die rund neun Millionen Menschen mit einem problematischen Alkoholkonsum, sondern belaste und gefährde auch viele Dritte in praktisch allen Lebensbereichen, betonte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm am Donnerstag zum anstehenden Start einer Kampagnenwoche. DHS, Bundesärztekammer (BÄK), Bundespsychotherapeutenkammer, die Gesellschaft für Psychiatrie (DGPPN) und die DG-Sucht forderten spürbare Preissteigerungen für alkoholische Getränke. Es dürfe für sie keine Werbung mehr geben und sie sollten weniger verfügbar sein, mahnten sie in einem gemeinsamen Positionspapier.

Alleine rund acht Millionen Angehörige seien von Alkoholkonsum und Suchtverhalten eines Verwandten mitbetroffen - mehrheitlich gehe es dabei um problematischen Alkoholkonsum, sagte DHS-Geschäftsführerin Christina Rummel der Deutschen Presse-Agentur. Diese Angehörigen seien starken Stimmungsschwankungen der nahestehenden Person ausgesetzt, fühlten sich hilflos und allein, zugleich aber auch verantwortlich dafür, nach außen den Schein zu wahren und Versäumnisse aufzufangen. Und: „In Familien mit Alkoholproblemen kommt es überproportional häufig zu gewalttätigen Übergriffen“, berichtete die DHS. Gravierend auch: Mehr als 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben Eltern, die Alkohol missbrauchen oder von ihm abhängig sind.

Aktionen deutschlandweit an vielen Orten von Aachen bis Zwickau

Deutschland sei „Alkohol-Hochkonsumland“, auch wenn über die vergangenen Jahrzehnte hinweg der Konsum gesunken sei, hieß es bei der DHS. Es brauche viel mehr Sensibilität im Umgang mit Alkohol - und Bewusstsein für die Gefahren. Deutschland sei sehr alkoholaffin, so Rummel. Die DHS koordiniert die Aktionswoche - diesmal unter dem Motto „Wem schadet dein Drink?“. Ab Samstag sollen mehr als 800 Veranstaltungen nahezu flächendeckend von Aachen bis Zwickau an den Start gehen. Das Ganze steht unter Schirmherrschaft des Bundesdrogenbeauftragten Burkhard Blienert. Viele Organisationen, Landesgesundheitsministerien und Suchthilfe-Netzwerke kooperieren.

Konkretes Aktionsbeispiel: Im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW bieten Polizei und Caritas einen Verkehrsparcours unter simuliertem Alkoholeinfluss an. In Essen finden Schulungen für Führungskräfte, in Düsseldorf Trainings für Mitarbeiter statt, die Uni Bielefeld ist mit Infos und Selbsttests dabei, die Stadtbibliothek Bottrop hat einen Büchertisch vorbereitet. Einige Hilfsangebote bundesweit richten sich auch an Kinder und Jugendliche. Präventionstage in Schulen und Betrieben soll es geben. Suchthilfe und Selbsthilfegruppen sind vor Ort.

Wer wird durch den Alkoholkonsum anderer geschädigt?

Zum Thema Arbeitsplatz weist die DHS auch mit Plakaten darauf hin: „Alkohol verlangsamt das Denken.“ Es komme zu Fehlern, Produktionsausfällen, hohen Krankheitsständen, schilderte Rummel. Bei Mitarbeitern steige die Unzufriedenheit, wenn sie Fehlzeiten und Mängel auffangen müssten. Die DHS hat Gesprächshilfen und Materialien einwickelt. „Bei Firmen und Betrieben ist das Interesse riesengroß.“ Es gebe ein starkes Umdenken.

Im Verkehr werden bei jährlich mehreren Tausend Unfällen mit Personenschäden unter Alkoholeinfluss auch viele Unbeteiligte schwer getroffen, wie Experten unterstreichen. Alkoholkonsum begünstige zudem Gewalt und Kriminalität. In ihrem gemeinsamen Positionspapier stellen DHS, BÄK und die anderen Unterzeichner klar: „Die Folgen von Alkoholkonsum sind eine enorme Belastung der Bevölkerungsgesundheit, des sozialen Miteinanders und der Volkswirtschaft.“ In Deutschland werde übermäßig viel Alkohol getrunken, die Rahmenbedingungen seien „äußerst konsumfördernd“.

Kinder sind schwer belastet - und das Ungeborene trinkt immer mit

Für die rund 2,65 Millionen Minderjährigen, deren Eltern Alkohol missbrauchen oder alkoholsüchtig sind, sieht ihr Aufwachsen laut Christina Rummel oft so aus: „Sie haben keinen Halt, es gibt für sie keine Kontinuität, sie werden in einem Umfeld groß, das geprägt ist von Unsicherheit.“ Nicht selten müssen sie demnach ihre Eltern versorgen, haben keine echte Kindheit - aber ein erhöhtes Risiko, später selbst ein Alkoholproblem zu entwickeln.

Traurige Realität auch: Pro Jahr kommen in Deutschland nach DHS-Angaben etwa 10 000 Kinder schon alkoholgeschädigt zur Welt. Sie haben eine unheilbare Fetale Alkohol-Spektrum-Störung (FASD), können auffällig schmächtig sein oder schwere geistige Einschränkungen haben. Von FASD seien insgesamt rund 1,5 Millionen Menschen betroffen. Ganz besonders für Schwangere gelte beim Alkohol: „Es gibt keine unbedenkliche Menge.“

Es geht um Milliarden

Pro Jahr verursache Alkoholkonsum einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 57 Milliarden Euro, den die Gesellschaft trage, hieß es auch. Darunter fallen demnach gut 40 Milliarden direkte Ausgaben für Krankenhaus, Pflege oder Reha oder auch etwa indirekte Kosten von mehr als 16 Milliarden Euro wegen Arbeitslosigkeit oder Produktionsausfällen. Der Konsum von Alkohol werde viel zu selten kritisch hinterfragt, gelte noch immer als „völlig normal“, kritisierte der Bundesdrogenbeauftragte Blienert (SPD). Aber: „Jeder Schluck ist gesundheitsschädlich und das müssen wir auch so benennen“, forderte er in einer Mitteilung.

„Gesundheitspolitik und Gesundheitssystem sowie relevante gesellschaftliche Akteure müssen mehr tun, um den Alkoholkonsum insgesamt und die mit ihm verbundenen Folgen für Konsumierende, das soziale Umfeld und die Gesellschaft zu verringern“, hieß es in dem Positionspapier. „Die Ausdünnung der Verkaufsstellendichte, auch im Sinne der Einführung von lizenzierten Geschäften, ist eine sinnvolle Maßnahme.“ Und: „Die Bundesregierung ist aufgefordert, ein vollständiges Werbeverbot für Alkohol umzusetzen.“

DPA