Studie: Erbschaften erhöhen Ungleichheit in Deutschland
Die Menschen in Deutschland erben im Durchschnitt immer mehr. Am meisten profitieren davon die Wohlhabenden. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sieht deshalb einen Reformbedarf.
Symbolbild. Ein Formular für die Erbschaftsteuererklärung sowie Stift und Testament liegen in Berlin auf einem Tisch. (DPA)

Erbschaften machen Vermögende in Deutschland noch reicher. Sie erben einer Studie zufolge am häufigsten und zugleich die höchsten Beträge. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) geht fast die Hälfte des Erbschafts- und Schenkungsvolumens an die reichsten zehn Prozent der Begünstigten. Die anderen 90 Prozent teilen sich die verbleibende Hälfte. „Die Erbschaftswelle verschärft die absolute Vermögensungleichheit“, analysiert DIW-Experte Markus Grabka.

Die Menschen in Deutschland haben in der Summe einiges zu vererben. Nach der gemeinsamen Studie des DIW, der Universität Vechta und des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) haben in den vergangenen 15 Jahren rund zehn Prozent aller Erwachsenen geerbt oder eine größere Schenkung erhalten. Im Schnitt belief sich das Erbe inflationsbereinigt pro Person auf rund 85.000 Euro, bei Schenkungen auf 89.000 Euro. Gegenüber dem Jahr 2001 erhöhte sich die Durchschnittssumme um jeweils etwa 20 Prozent. Verglichen wurde der Zeitraum 1986 bis 2001 mit den Jahren 2002 bis 2017. Befragt wurden 15.000 Haushalte im Rahmen des sogenannten Sozio-ökonomischen Panels (SOEP).

Bereits Vermögende profitieren am meisten

Zwar sinkt die relative Ungleichheit durch Erbschaften und Schenkungen tendenziell, da das Vermögen auf mehrere Personen verteilt wird. „Doch gleichzeitig wird der Abstand beim Vermögen zwischen denen, die erben, und denen, die leer ausgehen, immer größer“, erläuterte Grabka. Das hat vor allem soziale Gründe: „Kinder, die in einem Haushalt aufgewachsen sind, der bereits ein höheres Einkommens- und Vermögensniveau aufwies, erhalten später im Schnitt auch höhere Erbschaften und Schenkungen.“

Der Studie zufolge profitierte im Zeitraum 2002 bis 2017 das vermögendste Fünftel der Bevölkerung von den größten Erbschaften und Schenkungen. Der Median – also der Mittelwert, wenn man die Beträge der Größe nach sortiert – lag bei 145 000 Euro. Nur zwei Prozent des ärmsten Fünftels erhielten überhaupt etwas von Eltern oder Großeltern. Die Summe fiel mit 10.000 Euro am geringsten aus.

Auch die regionale Herkunft spielt in Deutschland eine Rolle. So waren der Studie zufolge Menschen in der damaligen DDR systembedingt weniger in der Lage, Vermögen aufzubauen. Sie können daher seltener und häufig nicht so viel an Kinder oder Enkel weitergeben. Während Westdeutsche im Untersuchungszeitraum im Schnitt rund 92 000 Euro erbten, erhielten Ostdeutsche 52.000 Euro. Bei Schenkungen waren es rund 94.000 Euro versus 58.000 Euro.

„Politik sollte gegensteuern“

Die Autoren plädieren für Änderungen des Steuerrechts. Die Politik sollte gegensteuern, „indem sie beispielsweise verhindert, dass das Vererben großer Vermögen mit der Zehnjahresfrist zeitlich gesplittet wird“, schlägt Studienautorin Claudia Vogel vom DZA vor. Derzeit können alle zehn Jahre Freibeträge in Anspruch genommen werden. Bei Kindern sind es 400.000 Euro pro einzelnem Elternteil.

Würde die Frist abgeschafft und große Erbschaften damit effektiver besteuert, könnte es Spielraum geben, Freibeträge für nicht oder entfernt verwandte Personen anzuheben, erläutert Grabka. „Dies würde nicht nur der neuen Vielfalt der Familienformen entsprechen, sondern auch zusätzlich die soziale Ungleichheit reduzieren.“

Manche Ökonomen befürchten, dass die Corona-Pandemie die Ungleichheit in Deutschland vergrößern könnte. Nach einer im Herbst veröffentlichten Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung sind Erwerbstätige mit niedrigen Einkommen, Minijobber und Leiharbeiter sowie Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft von Einkommensverlusten durch die Krise betroffen.

Für die Untersuchung waren im April und Ende Juni 2020 jeweils mehr als 6000 Menschen interviewt worden. Von Einbußen berichteten demnach fast 48 Prozent der Befragten mit einem Einkommen von maximal 900 Euro netto im Monat. Bei einem Einkommen von mehr als 4500 Euro netto sei das bei knapp 27 Prozent der Fall gewesen.

DPA