Pfarrer über Rassismus: Wir brauchen echten Kulturwandel in der Kirche
Im TRT Deutsch-Interview fordert der Pfarrer Thillainathan mit Blick auf das Thema Rassismus auch als Betroffener einen Kulturwandel in der Kirche. Islamophobie, Antisemitismus und Rassismus seien „verschiedene Spielarten des gleichen Problems“.
Pfarrer Thillainathan bei einer Predigt. (TRT Deutsch)

TRT Deutsch hat mit Pfarrer Regamy Thillainathan gesprochen. Der Priester mit sri-lankischen Wurzeln ist Leiter der Berufungspastoral in der Diözesanstelle im Erzbistum Köln.


Herr Thillainathan,Rassismus in der Gesellschaft ist inzwischen immer wieder Gegenstand von öffentlichen Diskussionen. Inwiefern ist das Thema auch ein spaltender Aspekt innerhalb der katholischen Kirche?

Die katholische Kirche tut sich insgesamt schwer mit dem Thema. Das ist in einer gewissen Hinsicht auch verständlich. Der Selbstanspruch ist ja auch ein anderer und keine Gruppe, Gruppierung oder religiöse Gemeinschaft will damit konfrontiert werden, dass sie ihren eigenen Ansprüchen und Idealen nicht genügt.

Das religiöse Leben der katholischen Kirche in Deutschland wird zu einem großen Teil von Menschen mit Migrationserfahrungen getragen, aber sie kommen auf den Ebenen der Entscheidung und im öffentlichen Diskurs de facto nicht vor. Das prangere ich an.

Sie haben eine Diskussion über strukturellen Rassismus in der katholischen Kirche gestartet und vor Parallelgesellschaften gewarnt. Wie gestaltet sich Ihrer Meinung nach die Diskriminierung im kirchlichen Raum?

Das geht zurück auf einen Artikel über strukturellen Rassismus in „Forum Weltkirche“, den ich geschrieben habe. Da ging es auch um Rassismus unter Theologen. Die Diskussion in den sozialen Medien hat sich auf die Aussage des Münsteraner Theologieprofessors Thomas Schüller fokussiert, der eine meiner Positionen im vergangenen Jahr auf Facebook mit dem Satz kommentierte: „Mit Pippi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt (…) Aber die Asiaten meinen es ja immer gut.“

Wirklich schockiert haben mich die Reaktionen, als der Satz des Professors öffentlich wurde. Entweder wurde diese Aussage verharmlost – das sei ja gar kein richtiger Rassismus – oder es wurde auf die Verdienste des Professors hingewiesen, oder die Sache sei ja schon ein Jahr her. Die Sache ist doch die: Eine rassistische Aussage bleibt eine rassistische Aussage, egal wann und egal von wem sie geäußert wird. Mich hat erstaunt, dass der Vorfall in den katholischen und säkularen Medien kaum aufgegriffen wurde. Immerhin haben sich dazu auch über 300 Unterzeichner einer Petition klar positioniert, die zum Großteil selbst ausländische Wurzeln haben und sich im Alltag häufiger diskriminiert sehen als ich.

In einigen Berichten wurde dann geschrieben, dass ich aus Indien stamme, obwohl ich in Neuss aufgewachsen bin und sri-lankische Wurzeln habe.

Sie haben erklärt, dass schwarze Menschen und PoC (People of Color) keine „Diversity-Dekorationen zur Beruhigung des weißen Gewissens“ sein sollten. Wie begründen Sie diese Kritik und was fordern Sie am Beispiel Deutschland alternativ ein?

Immer wenn Kritik an der Kirche geübt wird, dann sollen es die Verantwortungsträger richten – die Bischöfe zum Beispiel. Mir und vielen anderen mit einer ähnlichen Biografie ist klargeworden: Rassismus und Diskriminierung ist nicht nur ein Problem in der hohen Hierarchie der Kirche, sondern es ist genauso ein Problem der Mitte. Von katholischen Journalisten, Professoren und Lehrern kann und darf man ein anderes Mindset erwarten. Gerade auch, weil sie sich ja beruflich mit Ungerechtigkeit auseinandersetzen.

Wenn sie selbst Kritik an der Kirche üben – die ja vielfach sehr gut begründet ist – müssen sie sich auch selbst daran messen lassen. Wenn ich diese Doppelmoral und Heuchelei anspreche, dann wird mit Methoden wie Derailing und Whataboutism von den Problemen abgelenkt. Das finde ich erschreckend. Wir brauchen auf jeden Fall einen echten Kulturwandel in der Kirche.

Pfarrer Thillainathan bei einer Ansprache. (TRT Deutsch)

Inwieweit sehen Sie in dem Einfluss und der Bildungshoheit Europas im Rahmen der katholischen Glaubenswelt auch ein Hegemonie-Problem?

Es ist eigentlich schon ein ziemlich deutsches und europäisches Problem, das ich zunehmend in der Kirche und in der Gesellschaft beobachte: Wir glauben, dass wir der Nabel der Welt sind. Eine eurozentrische, fast schon germanozentrische Sicht wird auf alles andere gelegt und daran wird alles gemessen. Mit Papst Franziskus sehen wir aber den Versuch, von den „Rändern der Welt“ zu denken und die Kirche zu gestalten. In Deutschland ist das noch nicht ganz angekommen.

Neben Rassismus kommt auch das Thema Islamophobie immer wieder auf den Tisch. Wo sehen Sie als Pfarrer die Gefahren, wenn solches Gedankengut salonfähig wird?

Islamophobie, Antisemitismus, Rassismus, Homophobie… all das sind nur verschiedene Spielarten des gleichen Problems. Es gibt das Grundphänomen: „Ich bin die Norm, ich bin omnipotent und Du hast Dich dem zu beugen. Alles was meiner Vorstellung von richtig und falsch widerspricht, wird solange bekämpft, bis ich mich durchgesetzt habe.“ Die Geschichte und die Entwicklung in der Welt zeigt ja, wohin ein solches Denken führen kann.

Am 20. Februar jährt sich zum ersten Mal der Anschlag von Hanau. Wie bewerten Sie in der Rückschau als Pfarrer diese Bluttat und was ist ihre Botschaft, um Brücken zwischen den Religionen zu bauen? Immerhin leben in Deutschland rund fünf Millionen Muslime. Ich habe mich im vergangenen Jahr ziemlich gewundert, dass der Karneval den feigen Anschlag in Hanau und den Tod von neun Menschen aus unserer Mitte so überschattet hat. Mir stellt sich die Frage: Können wir als Volk nach einer solchen Tragödie Karneval feiern? Wie hätte das Ganze ausgesehen, wenn es nicht Menschen mit Migrationshintergrund getroffen hätte? Diese Frage schmerzt und provoziert, aber eine tolerante Gesellschaft muss das aushalten können. Da sehe ich auch uns als Kirchen in der Pflicht, solche Fragen zu stellen und Diskussionen anzustoßen.

In Ihrer Position sind Sie im engen Austausch mit Theologie-Studierenden. Wie divers sind die Kontakte beim Theologie-Nachwuchs? Wie ausreichend fördert die Kirche Ihrer Meinung nach Diversität?

Wir alle dürfen dankbar sein, dass wir momentan eine Generation von jungen Menschen erleben, die unglaublich weltoffen und idealistisch ist. „Fridays for Future“ zeigt für mich auf eine bewegende Art und Weise, dass diese Generation sich nicht mit vorgefertigten Antworten begnügt und das Potential hat, sich lautstark einzumischen. Viele unserer Theologie-Studierenden sind in diesen gesellschaftlichen Fragen sehr engagiert. Immer mehr Studierende gehen auch für eine Zeit ins Ausland. Das müssen wir fördern und von ihren Erfahrungen müssen wir lernen. Vielen Dank für das Gespräch!

TRT Deutsch