von Ali Özkök
Der Anwalt einer 16-Jährigen, die nach eigenen Angaben wegen ihres Kopftuchs von einem Hamburger Supermarkt diskriminiert wurde, hat einen Drohbrief erhalten. Dieser habe eine pulvrige Substanz enthalten und komme vermutlich aus der rechtsextremen Szene, sagte ein Sprecher der Polizei Mannheim am Mittwoch. Die Beamten räumten die Kanzlei des Juristen und einen Teil des Gebäudes.
Der betroffene Anwalt, Yalçın Tekinoğlu, sprach exklusiv mit TRT Deutsch. Im Interview gab sich der Jurist mit Blick auf sein Sicherheitsbefinden selbstbewusst: „Ich fühle mich nicht bedroht. Jemand, der einen Drohbrief verschickt, ist für mich ein Angsthase, der sich hinter einer Anonymität versteckt. Es ist jemand, der nicht den Mut dafür aufbringt, mit seinem Namen für seine Meinung einzustehen.“
Der Anwalt, der seine Kanzlei in Heidelberg hat, hatte zuletzt eine Hamburger Schülerin vertreten. Sie hatte zur Probe in einem Edeka-Supermarkt gearbeitet. Ein Vorgesetzter an der Kasse habe ihr gesagt, dass sie das Kopftuch abnehmen müsse, wenn sie dort arbeiten wolle, so die 16-Jährige. Ein Video, in dem sie den Fall unter Tränen schilderte, hatte im Internet für großes Aufsehen gesorgt.
Über den möglichen Hintergrund des Drohbriefs sagte Tekinoğlu, dass seine Vertretung beim Edeka-Fall ausschlaggebend gewesen sein könnte. „Es ist für mich ein Zeichen, dass das Ergebnis beim Diskriminierungsfall bei Edeka in Hamburg ein sehr erfolgreiches Verfahren war, wo auch Diskriminierung als solches benannt wurde“, so Tekinoğlu . „Dass der Geschäftsführer eines so riesigen Konzerns persönlich um Entschuldigung bittet – das war ein Riesenerfolg.“
Der Fall sei deshalb wichtig, weil „Diskriminierung auch als solches akzeptiert“ wurde. „Und nicht sagt, wie viele glauben, ein Arbeitgeber dürfe die Kleidung der Arbeitnehmer einfach begrenzen und Bewerberin mit einem muslimisch motivierten Kopftuch ablehnen.“ Der Anwalt begrüßte diese Entwicklung. Sie habe „vielen Menschen Mut gemacht.“
Edeka-Fall ein Ablenkungsmanöver im Drohbrief?
„Es kommt aber genauso in Betracht, dass der Edeka-Fall nur als Ablenkung gilt und das Schreiben aus einer ganz anderen Ecke kommt, beispielsweise der Fall mit der Strafarbeit für das Türkisch-Sprechen in der Schule im Süden von Baden-Würtemberg“, sagte der Rechtsanwalt.
Obwohl er grundsätzlich die Ernsthaftigkeit des Drohbriefs infrage stellt, sagte Tekinoğlu: „Das hat auch einiges an Interesse in der Öffentlichkeit erregt. Es kann sein, dass ein Einschüchterungsversuch unternommmen wurde.“
Der Anwalt verwies in diesem Zusammenhang auf die Drittklässlerin in der Gemeinde Villingen-Schwenningen. Diese musste eine Strafarbeit verfassen, weil sie in der Schulpause Türkisch sprach. Die Eltern des Kindes fanden, dass die Maßnahme diskriminierend war. Deshalb schlugen sie den rechtlichen Weg ein.
Fall um Drittklässlerin von Medien falsch dargestellt
Der Jurist, der die Familie des Kindes vertrat, erinnerte: „In der Schule sehen wir auch noch einmal ein besonderes Autoritäts- und Gewaltverhältnis – Staat gegen Bürger. Da ging es nicht nur um eine Minderjährige, sondern auch um die Eltern, die dahinterstanden.“
Er hielt vor, dass die Eltern gegen den Druck von der Schule „nicht ohne anwaltliche Unterstützung angekommen“ seien – „obwohl sie es versucht hatten“.
Mit Blick auf die Medienberichterstattung erwähnte Tekinoğlu, dass die Presse teilweise eine falsche Berichterstattung geliefert habe. So sei der Fall „an vielen Stellen falsch dargestellt“ worden, „als die Schule sagte, von ihr ginge das Gesprächsangebot aus.“
Ein Mädchen aus der „Mitte unserer Gesellschaft“
In Bezug auf den Diskriminierungsfall bei Edeka unterstrich Tekinoğlu, dass die junge Schülerin mit Kopftuch aus der „Mitte unserer Gesellschaft“ komme. „Sie ist hier geboren und aufgewachsen – lebt seit Generationen hier. Sie ist aus der Mitte unserer Gesellschaft. Man versuchte damit, einfach diese Gesellschaft zu spalten. Personen werden mit Merkmalen markiert, dann sagt man: Solche Merkmale wollen wir bekämpfen“, kritisierte der Jurist.
Das Spektrum der Mandaten mit Diskriminierungserfahrungen variiere: „Ob jetzt eine Muslimin mit Kopftuch oder ein jüdischer Mitbürger mit Kippa oder ein Homosexueller. Ich habe einen Fall vertreten, wo eine Mitarbeiterin, die auffällig tätowiert war, im Restaurant von Kunden abgelehnt wurde. Es kann im Prinzip jeden von uns treffen, weil unsere Gesellschaft bunt und individuell ist.“
„Minderjährige und weibliche Personen schutzbedürftiger“
Nach Ansicht von Tekinoğlu existiert eine Personengruppe, die besonders von Diskriminierung betroffen ist. „Ich glaube, dass minderjährige und weibliche Personen einfach schutzbedürftiger sind.“ Personen, von denen Diskriminierung ausgehe, befänden sich zu ihren Opfern eher in einem Über-und Unterverordnungsverhältnis.
„Es ist häufig so, dass eine Person nicht nur wegen eines Merkmals diskriminiert wird, wie wegen des Tragens von islamischer Kleidung“, schilderte Tekinoğlu. „Es kommen häufig weitere schutzbedürftige Merkmale hinzu: Minderjährigkeit, weiblich, Behinderung, der Sprache nicht mächtig, Flüchtlingsstatus.“ Das gelte nicht nur im Falle von Muslimen, sondern auch Christen.