Im Streit um die Vollverschleierung einer 16-Jährigen an einer Hamburger Berufsschule hat sich das Verwaltungsgericht für die Religionsfreiheit ausgesprochen. Wie das Gericht in einem Eilverfahren entschied, darf die Schülerin ab Montag mit einem Nikab am Unterricht teilnehmen. Die Stadt Hamburg kritisiert die Entscheidung.
Der „Spiegel“ berichtete am Sonntag in Anlehnung an einen Medienbericht, dass die 16-Jährige bereits seit Sommer 2019 einen Nikab trage. Demnach wurde sie dafür von der Schulleitung aus dem Unterricht verbannt und musste stattdessen alleine im Nebenraum sitzen. Zudem sei Druck ausgeübt worden, damit sie ihren Vollschleier ablegt. Danach bekam die Mutter eine Zwangsgelddrohung in Höhe von 500 Euro seitens der Schulaufsicht, der sie dann beim Verwaltungsgericht widersprach. Das Gericht entschied sich zugunsten der Betroffenen, denn für das Vorgehen der Schule sah es keine gesetzliche Grundlage.
„Vorbehaltlos geschützte Glaubensfreiheit“
Eine Beschwerde der Stadt gegen eine entsprechende Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde ebenfalls zurückgewiesen, wie das Gericht am Montag mitteilte. Nach gegenwärtiger Rechtslage könne auch von der Schülerin selbst nicht verlangt werden, während des Schulbesuchs auf eine Gesichtsverhüllung zu verzichten.
„Die Schülerin kann für sich die vorbehaltlos geschützte Glaubensfreiheit in Anspruch nehmen“, heißt es in der Mitteilung. Für Eingriffe in dieses Grundrecht bedürfe es einer gesetzlichen Grundlage. „Eine solche sieht das hamburgische Schulgesetz gegenwärtig nicht vor.“
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte bereits nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts angekündigt, notfalls das Schulgesetz zu ändern, sollte sich die Rechtsauffassung seiner Behörde auch in zweiter Instanz nicht durchsetzen. Rabe argumentiert, dass Unterricht nur gelingen könne, „wenn auch Mimik und Gestik in die Kommunikation mit einbezogen werden".
In Deutschland gibt es kein bundesweites Gesetz gegen Vollverschleierung.
In Deutschland gibt es kein länderübergreifendes Gesetz, das die Vollverschleierung in Bildungseinrichtungen einschränkt. Im Juni 2017 verabschiedete der Bundestag jedoch ein Gesetz, das Beamtinnen und Soldatinnen die Gesichtsverschleierung verbietet. In Niedersachsen wurde das Schulgesetz im August 2017 geändert, um den Nikab im Unterricht zu verbieten. In Bayern ist der Gesichtsschleier seit 2018 in Schulen und Kindergärten untersagt. Offizielle Statistiken über die Zahl der Nikab-Trägerinnen fehlen, sie wird aber genrell als sehr gering eingestuft.
In der Bundesrepublik ist die „Religionsfreiheit“ und „ungestörte Religionsausübung“ durch Artikel 4 des Grundgesetztes geschützt. Dieser erlaubt unter anderem auch das Tragen von Symbolen und Kleidungsstücken, solange die Grundrechte Dritter nicht verletzt werden. Dem gegenüber steht Artikel 7, der sich auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule bezieht. Darauf berufen sich Lehrer und Leiter von Bildungseinrichtungen, wenn Nikab-Trägerinnen vom Unterricht ausgeschlossen werden sollen. Dadurch kamen in Vergangenheit einige umstrittene Gerichtsentscheidungen zustande.
Bei dem Nikab wird das Gesicht bis auf die Augen verdeckt. Er entstammt der vorislamischen Beduinenkultur. Ende des 19. Jahrhunderts fand er in seiner modernen Form eine größere Verbreitung bei den Musliminnen auf der arabischen Halbinsel - vor allem im Jemen und in Saudi-Arabien. Die meisten islamischen Rechtsgelehrten sind sich aber einig, dass eine derartige Vollverschleierung nicht verpflichtend ist.