Für Sinti und Roma sind Diskriminierung, Anfeindungen und sogar Gewalt einem neuen Bericht zufolge in Deutschland Alltag. Die neu gegründete Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) hat im Jahr 2022 bundesweit insgesamt 621 Vorfälle dokumentiert. Diese umfassen 343 Fälle von Diskriminierung, 245 Fälle von „verbaler Stereotypisierung“, sowie 11 Bedrohungen, 17 Angriffe und einen schwerwiegenden Fall von „extremer Gewalt“.
Fall von extremer Gewalt im Saarland
Dabei handele es sich um einen Fall im Saarland, der auch in der Statistik für politisch motivierte Kriminalität als antiziganistische Straftat erfasst worden sei, heißt es in dem am Montag veröffentlichten ersten MIA-Jahresbericht: Aus zwei vorbeifahrenden Autos heraus sei eine Personengruppe zuerst antiziganistisch beleidigt und anschließend mit einer Druckluftwaffe gezielt beschossen worden. Mehrere Menschen seien verletzt worden.
In dem MIA-Bericht tauchen nach Angaben der Autoren einige wenige Taten auf, die auch in der Polizeistatistik ausgewiesen sind, darunter weitere Fälle von Gewalt sowie Beleidigung und Volksverhetzung. Im Wesentlichen bezieht sich der Bericht aber auf Meldungen bei eigens dafür eingerichteten regionalen Stellen. Die Fälle seien teils auch unter der Schwelle der Strafbarkeit.
Staatliche Institutionen als Hauptverursacher von Diskriminierung
Besonders bemerkenswert finden die Autoren zwei Aspekte: Mehr als die Hälfte der erfassten Vorfälle entfielen auf Diskriminierung und „etwa die Hälfte der Fälle antiziganistischer Diskriminierung fand auf institutioneller Ebene statt“. Gemeint sind demnach staatliche Institutionen wie Polizei, Jugendamt, Jobcenter sowie kommunale Verwaltungen, die für die Unterbringung von Geflüchteten zuständig sind. Vor allem viele aus der Ukraine geflüchtete Roma seien betroffen.
Die MIA fordert daher die Erweiterung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, um nicht nur private Rechte zu schützen, sondern auch staatliche Stellen einzubeziehen und Diskriminierungen auf dieser Grundlage zu verfolgen.
Ukrainische Roma besonders betroffen
Etwa ein Siebtel der Fälle betrafen aus der Ukraine geflüchtete Roma. Die Meldestelle forderte in ihrem Bericht daher auch gleichen Schutz und gleiche Behandlung für ukrainische Roma wie ihn auch andere ukrainische Geflüchtete erhalten. Zudem appellierte sie an die Medien, auf Sprache und Bildmaterial zu verzichten, „die antiziganistische Stereotypen reproduzieren und verstärken“. Darüber hinaus wurde der Ausbau und die angemessene Förderung von Beratungsstrukturen und Anlaufstellen für Betroffene gefordert.
Die Arbeit der Melde- und Informationsstelle sei „unglaublich wichtig“, sagte der Antiziganismus-Beauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler. Antiziganistische Vorfälle ziehen sich durch alle Bereiche des Lebens, besonders bekämpft werden müssten aber jene, die bei staatlichen Behörden vorkommen. "Der Staat muss endlich Verantwortung übernehmen und den Schutz von Sinti und Roma vor Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung gewährleisten", betonte Daimagüler.
Zentralrat warnt vor „zunehmenden Rechtsradikalismus“
Der Jahresbericht sei die erste systematische Erfassung und Dokumentation von antiziganistischen Vorfällen, sagte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, bei der Vorstellung. Der Bericht zeige deutlich „die Gefahren eines zunehmenden Rechtsradikalismus und Nationalismus“ und die Auswirkungen auf das tägliche Leben von Sinti und Roma.