„Afrodeutsche fühlen sich nicht als Teil dieser Gesellschaft“
Rassismus in Deutschland ist in aller Munde. Welche Erfahrungen machen Afrodeutsche und wie gehen sie damit um? Die ehemalige Freiburger CDU-Stadträtin Sylvie Nantcha im Exklusivinterview.
Afrikanische Community - Kein selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft (DPA)

von Feride Tavus

Dr. Sylvie Nantcha ist die Initiatorin und Bundesvorsitzende von „The African Network of Germany“ (TANG) - einem bundesweiten Netzwerk von afrikanischen Vereinen und Einzelpersonen. Sie hat seit der Gründung von TANG in Zusammenarbeit mit Bundesministerien mehr als 15 Projekte initiiert und durchgeführt. Im Exklusivinterview beantwortet sie Fragen über Rassismus gegenüber Menschen afrikanischer Abstammung in Deutschland.

Deutschlandweit werden Droh- und Hassbriefe an Menschen mit Migrationshintergrund verschickt. Auch Sie haben einen solchen Brief erhalten und im Alltag Rassismus erfahren. Können Sie uns beschreiben, wie Sie damit umgehen?

Dr. Sylvie Nantcha:Natürlich schmerzt es mich, wenn ich in anonymen Hassbriefen als N-Tussi, Bimbo oder afrikanisches Gesindel bezeichnet werde. Natürlich verletzt es mich, wenn ich sehe, dass es immer noch Menschen gibt, die uns Menschen mit afrikanischer Herkunft nicht als ebenbürtige Mitmenschen betrachten. Aber ich lasse mir von niemanden mein Menschsein und mein Deutschsein absprechen. Ich bin Schwarz. Ich bin Deutsche. Ich bin Freiburgerin. Das ist meine Heimat. Ob es anderen gefällt oder nicht! Deshalb lasse ich mich nicht entmutigen, sondern kämpfe umso energischer weiter.

Die „NSU 2.0“-Drohbriefe sind lange Zeit als Einzelfälle bewertet worden. Ermittlungen zeigen aber, dass sie systematisch an ausgewählte Personen und Institutionen verschickt wurden. Auch die Polizei in Hessen ist darin verstrickt. Ist Deutschland für Schwarze und andere Deutsche mit Migrationshintergrund noch ein sicherer Ort?

Dr. Sylvie Nantcha:So erschreckend das Ausmaß der „NSU 2.0“-Drohbriefe ist, so furchtbar die rassistischen und antisemitischen Anschläge von Halle, Hanau, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, die mörderischen Anschläge auf Asylunterkünfte, oder der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder die rechtsextremen Umtriebe in der Bundeswehr sind: Schwarze und andere Deutsche mit Migrationshintergrund dürfen sich jetzt nicht einschüchtern lassen. Wir müssen jeden Tag mit erhobenem Haupt gegen Hass und Rassismus kämpfen. Der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus muss weitergehen – sonst hätten die Ewiggestrigen gewonnen.

Woher kommt dieser Hass - und wie ist der Nährboden dafür entstanden?

Dr. Sylvie Nantcha:Für diesen Hass gibt es viele Erklärungen: Eingebildete Konkurrenz und Neid, Unwissenheit, Furcht vor dem vermeintlich Fremden. Menschen mit anderer Hautfarbe und Herkunft werden herabgestuft, um die eigene Überlegenheit zu beweisen. Ein Nährboden für den immer noch existenten Rassismus gegen Schwarze Menschen ist auch, dass sich Deutschland bis heute nicht mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandergesetzt hat: die Eroberung eines Erdteils und die Verknechtung seiner Bewohner.

Erleben Schwarze Menschen einen anderen Rassismus als Menschen mit Migrationshintergrund, aber weißer Hautfarbe?

Dr. Sylvie Nantcha:Wir Schwarze Menschen sind die sichtbarste Minderheit in Deutschland. Wir müssen selbst dann, wenn wir in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, stets beweisen, dass wir Deutsche sind. In Deutschland leben etwa eine Millionen Menschen mit afrikanischen Wurzeln.

Sie sprechen Deutsch, haben oft einen deutschen Pass, sie bringen sich ein, haben Karriere gemacht, ihre Kinder und Enkel gehen hier zur Schule oder studieren. Und doch haben viele Menschen aus der afrikanischen Community das Gefühl, nicht als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft betrachtet zu werden. Sie erleben Tag für Tag Abwertung, Ausgrenzung und rassistische Zuschreibungen.

Zahlreiche Studien belegen, dass Schwarze Menschen besonders häufig ausgegrenzt und diskriminiert werden – bei der Arbeit, in der Schule, auf der Straße, bei der Wohnungssuche, im Alltag. Auch die UN bestätigt mit der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung, die von 2015 bis 2024 läuft, dass Schwarze Menschen weltweit dem Rassismus mehr ausgesetzt sind. Auch in Deutschland. Wir fordern den Bundeskabinettauschuss zur Bekämpfung von Rechtextremimus und Rassismus auf, die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung in Deutschland umzusetzen. Ist das Konzept Diversität in Deutschland gescheitert? Dr. Sylvie Nantcha:Nein, die Diversität ist nicht gescheitert. Vielfalt gewinnt, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns. Welche Maßnahmen erwarten Sie von der Politik? Mit welchen Initiativen könnte dem Rechtsextremismus gegengesteuert werden?

Dr. Sylvie Nantcha:Die Politik muss Initiativen gegen den Rechtsextremismus und gegen den Rassismus entwickeln. Wir wurden von der Bundesregierung gebeten, Anregungen und Vorschläge zur Bekämpfung von Rassismus gegen Schwarze Menschen zu formulieren, die bei der nächsten Sitzung des Kabinettsausschusses für Rechtsextremismus und Rassismus diskutiert werden sollen. Wir haben einen 14 Punkte umfassenden Forderungskatalog mit politischen Handlungsempfehlungen verfasst.

Wir brauchen ein Kompetenzzentrum mit einer mehrsprachigen Hotline für Schwarze Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Sie müssen aufgefangen, unterstützt und gestärkt werden. Dieses Kompetenzzentrum soll erste Hilfe und Gespräche für Betroffene anbieten und die Betroffenen an die Beschwerdestellen vor Ort oder an die zentrale Antidiskriminierungsstelle weiterleiten. Wir brauchen eine Studie zum Racial Profiling. Wir Schwarze Menschen sind besonders vom Racial Profiling betroffen.

Statt Emotionen zu schüren, muss die Debatte sachlich geführt werden. Und dafür brauchen wir Zahlen und Fakten. Wir plädieren dafür, dass das Wort „Rasse“ in Artikel 3 des Grundgesetzes gestrichen und durch den Begriff „Hautfarbe“ ersetzt wird. Es gibt keine Rassen. Wir lehnen die Bezeichnung und Verwendung des N-Worts ab und fordern, dass der Kabinettsausschuss gegen Rechtextremismus und Rassismus eine entsprechende Bekundung formuliert und dies vom Deutschen Bundestag verabschiedet wird.

Der Kampf gegen Rassismus muss als ständige Pflichtaufgabe angesehen werden. Deshalb brauchen wir in Deutschland eine Integrations- und Antirassismusbeauftragte, die im Bundeskanzleramt angesiedelt werden sollte. Wir fordern, dass die Strafverfolgungsbehörden politisch motivierte Straftaten gegen Schwarze Menschen in der PMK-Statistik eigens erfasst und dokumentiert. Und wir brauchen mehr Zahlen, Daten, Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse zur Situation von Schwarzen Menschen in Deutschland. Deshalb fordern wir weitere Studien und Forschungsprojekte zur Mehrfachdiskriminierung, zum Racial Profiling sowie zum Rassismus an Schulen.

Danke für das Gespräch!

TRT Deutsch