Gut drei Jahre nach einem wegweisenden Urteil soll der Bundestag über Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe in Deutschland abstimmen. Zwei Abgeordnetengruppen haben Regelungsvorschläge dazu vorgelegt, über die am Donnerstag (9.00) ohne Fraktionsvorgaben entschieden werden soll. Der eine Vorschlag zielt darauf, dass Ärztinnen und Ärzte Arzneimittel zur Selbsttötung grundsätzlich unter Voraussetzungen verschreiben dürfen. Der andere Vorschlag sieht eine grundsätzliche Strafbarkeit vor, aber mit geregelten Ausnahmen. Möglich sein soll eine solche Beihilfe in beiden Entwürfen nur für Volljährige. Vorgesehen sind auch Fristen und Beratungspflichten.
Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Anfang 2020, das ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Strafgesetzbuch gekippt hatte - weil es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzte. „Geschäftsmäßig“ hat dabei nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet „auf Wiederholung angelegt“. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließe auch die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und auf freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen, argumentierten die Richter. Das Urteil stieß eine Tür für organisierte Angebote auf - aber ausdrücklich auch mit Regulierungsmöglichkeiten wie Beratungspflichten und Wartefristen.
Die liberale Initiative
Eine Gruppe um die Abgeordneten Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) schlägt ein „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung“ vor. Dafür hatten sich zwei Abgeordnetengruppen zusammengetan. Im Entwurf heißt es: „Jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte, hat das Recht, hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen.“ Ärzte dürften Volljährigen dann Arzneimittel dafür verschreiben - unter Bedingungen außerhalb des Strafrechts.
So sollen solche Mittel frühestens drei Wochen und höchstens zwölf Wochen nach einer vorgegebenen ergebnisoffenen Beratung verordnet werden dürfen. Für die Beratungen soll es eine Bescheinigung geben. Vorgesehen ist eine Härtefallregelung, wenn Suizidwillige in einem „existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen“ sind, die sie in der Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen. Dann sollen Ärzte auch ohne Beratungsbescheinigung Arzneimittel verordnen können, wenn ein zweiter Arzt oder eine zweite Ärztin es ebenfalls so einschätzen.
Die striktere Initiative
Eine Gruppe um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) schlägt ein „Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“vor. So soll es im Strafgesetzbuch heißen: „Wer in der Absicht, die Selbsttötung einer anderen Person zu fördern, dieser hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Geregelt werden aber Ausnahmen.
Nicht rechtswidrig sein sollen „Förderungshandlungen“, wenn „die zur Selbsttötung entschlossene Person volljährig und einsichtsfähig ist“. Zudem soll festgestellt werden müssen, dass sie „keine die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung“ hat und das Sterbeverlangen „freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur ist“. Eingeschätzt werden soll dies von einem Facharzt oder einer Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie bei zwei Terminen im Abstand von mindestens drei Monaten. Vorgegeben werden soll zudem eine umfassende ergebnisoffene Beratung bei einem weiteren Arzt.
Die Abstimmung
Die Erfolgsaussichten der beiden Vorschläge waren vorab ungewiss. Beide Gruppen haben Unterstützerinnen und Unterstützer gesammelt und warben um weitere Abgeordnete.
Vor der Abstimmung hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) signalisiert, dass er als Abgeordneter den Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast unterstützen würde. Laut dem Bundestag wird zunächst über den Entwurf der Gruppe um Castellucci abgestimmt, da er den weitreichendsten Ansatz verfolgt. Für die Annahme des Gesetzentwurfs wird eine einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen benötigt.Wird der erste Entwurf angenommen, soll eine Abstimmung über den zweiten Entwurf entfallen. Möglich ist auch, dass keiner der beiden Entwürfe angenommen wird.
Die Kritik
Bei Experten erntete der Bundestag viel Kritik. Die Stiftung Patientenschutz rief die Abgeordneten bei beiden Entwürfen zu einem Nein auf. „Die Gesetzentwürfe legitimieren unbeabsichtigt die Sterbehelfer-Praktiken in Deutschland“, sagte der Stiftungsvorstand Eugen Brysch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, sagte den Funke-Zeitungen, es sei nicht klug, junge Menschen in einer depressiven Phase und todkranke Alte denselben Regelungen zu unterwerfen. Diakonie-Präsident Ulrich Lilie forderte in der „Augsburger Allgemeinen“ (Donnerstag), zunächst mit einem Präventionsgesetz eine flächendeckende Palliativversorgung sicherzustellen und die psychosoziale Betreuung in Krisen zu verbessern.
Der jetzige rechtliche Rahmen
Unabhängig von einer möglichen Neuregelung bestehen schon rechtliche Regeln. So ist Ärztinnen und Ärzten eine „Tötung auf Verlangen“ auch auf ausdrücklichen und ernstlichen Wunsch hin verboten, wie es in einer grundsätzlichen Erläuterung der Bundesärztekammer heißt. Indes könnten in bestimmten Situationen „Behandlungsbegrenzungen“ geboten sein. So solle ein „offensichtlicher Sterbevorgang“ nicht durch Therapien künstlich in die Länge gezogen werden. Zudem dürfe ein Sterben durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer Behandlung ermöglicht werden, wenn dies dem Patientenwillen entspreche.