Angesichts der Pekinger Drohungen gegen Taiwan und zunehmender politischer Spannungen wird die deutsche Industrie im Umgang mit China vorsichtiger. Eine Entkopplung hält BDI-Präsident Siegfried Russwurm nicht für sinnvoll, doch ruft er die Unternehmen auf, die Risiken stärker in den Blick zu nehmen und die Abhängigkeiten von einzelnen Ländern zu verringern. „Der russische Überfall auf die Ukraine hat uns gelehrt, dass wir gegenüber autokratischen Staaten besser auf Extremszenarien vorbereitet sein müssen“, sagte Russwurm der Deutschen Presse-Agentur.
Die bessere Vorbereitung auf „Extremszenarien“ sollte nach Russwurms Einschätzung auch für China gelten. „Wir kennen die gegenwärtig starken Abhängigkeiten von Halbleitern aus Taiwan oder bei seltenen Erden aus China und müssen unsere Resilienz erhöhen.“
Deutsche Unternehmen investierten Ende 2020 rund 90 Milliarden Euro in China
Laut Bundesbank hatten deutsche Unternehmen Ende 2020 knapp 90 Milliarden Euro in China investiert. Nach Kräften gefördert wurde das wirtschaftliche Engagement in der weltgrößten Diktatur von der deutschen Politik: Seit Franz Josef Strauß im Januar 1975 als erster nach Peking flog, pilgerten deutsche Spitzenpolitiker in Serie nach China. Man dürfe China nicht am Maßstab westlicher Demokratien messen, lautete ein Lehrsatz des langjährigen CSU-Chefs.
Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) erklärte die „Wiedervereinigung“ Taiwans mit China für quasi unvermeidlich - obwohl eine überwältigende Mehrheit der Taiwaner die Einverleibung ablehnt. Angela Merkel (CDU) führte gemeinsame deutsch-chinesische Regierungskonsultationen ein.
Im Nachhinein erscheine vieles an der deutschen Chinapolitik naiv, sagt Bernhard Bartsch, Fachmann am Berliner Mercator-Institut für Chinastudien. „Man darf aber nicht vergessen, dass das China, mit dem wir es heute zu tun haben, ein anderes ist als vor zehn Jahren.“
Die deutsche Politik der späten Merkel-Jahre habe sich „viel zu langsam darauf eingestellt, dass wir es mit einem China zu tun haben, das sich in einem fundamentalen Systemkonflikt zum Westen sieht und seine wirtschaftliche Macht politisch ausspielt“, sagt Bartsch. „Dafür brauchen wir eine ganz andere Politik als in den Jahrzehnten zuvor.“ Diese Politik sei lange Zeit sehr zum Nutzen der deutschen Wirtschaft gewesen - „hat aber die Abhängigkeiten erzeugt, vor denen wir jetzt stehen.“
EU und Bundesregierung bisher neutral in US-China-Spannungen
In den vergangenen Jahren versuchte die Bundesregierung ebenso wie die EU, sich aus den wachsenden Spannungen zwischen China und den USA herauszuhalten. 2017 sprach Merkel von einer „strategischen Partnerschaft“ mit Peking. 2019 stufte die EU-Kommission China in einem Strategiepapier zwar als „systemischen Rivalen“ ein, aber gleichzeitig als „Kooperationspartner“. Doch je unverhohlener China mit einem Krieg gegen Taiwan droht, desto mehr sind die Europäer gezwungen, Position zu beziehen.
Das ist auch den Spitzen der deutschen Wirtschaft klar: „Wir sind fest im transatlantischen Bündnis verortet“, sagte BDI-Präsident Russwurm im Juni unter Beifall auf dem Tag der Industrie. „Es gibt für uns keine Äquidistanz im Verhältnis der EU zu den USA und zu China.“
Die chinesische Kommunistische Partei hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder bekräftigt, dass sie einen Angriff auf Taiwan nicht ausschließt, doch die jüngsten Militärmanöver rings um die Insel stellen eine neue Eskalationsstufe dar.
„Die chinesische Führung ist dabei, den Status Quo in der Taiwan-Frage schrittweise zu verschieben“, sagt Bartsch. „Das ist in erster Linie ein Konflikt zwischen den beiden Großmächten China und USA, aber von einer Eskalation wäre die ganze Welt betroffen. Auch Deutschland und Europa müssen das in ihre Risikokalkulationen einbeziehen.“
Bartsch glaubt nicht, dass ein militärischer Konflikt unmittelbar bevorsteht. „Trotzdem ist das ein Szenario, das in den USA ernsthaft durchdacht wird, und über mögliche Konsequenzen sollten wir uns auch in Europa klar werden.“
Deutsche Wirtschaft muss sich auf Extremszenarien vorbereiten
Zu den Konsequenzen zähle wirtschaftlicher Druck, den China gegen deutsche Unternehmen aufbaue. „Es gibt viele Beispiele, dass China Länder und Unternehmen bestraft, wenn es politische Spannungen gibt.“
In letzter Konsequenz bedeuten die von Russwurm angesprochenen „Extremszenarien“: Deutsche Unternehmen wären gut beraten, Vorsorge für den Fall eines chinesischen Angriffs auf Taiwan zu treffen. Ein Krieg im Fernen Osten würde die Wirtschaftsbeziehungen zu China aller Voraussicht nach ebenso schnell zum Erliegen bringen wie die Lieferungen der für die gesamte Weltwirtschaft bedeutenden High-Tech-Chips aus Taiwan.
Und auch ohne Taiwan-Konflikt ist das Chinageschäft schwieriger geworden. Russwurm spricht von „erheblichen Asymmetrien und ungleichen Wettbewerbsbedingungen“. Das Geschäftsumfeld für deutsche und europäische Unternehmen sei politischer geworden. Die Lebensbedingungen für entsandte Arbeitskräfte haben sich deutlich verschlechtert, wie nicht nur der BDI-Chef berichtet. Viele deutsche Manager haben das Land in diesem Jahr wegen der drakonischen Covid-Restriktionen verlassen. „Das alles belastet den langfristigen Ausblick.“
Abhängigkeit von China: Deutsche Industrie wird vorsichtig
11 Aug. 2022
Angesichts Chinas Drohungen gegen Taiwan wird die deutsche Industrie vorsichtiger. Doch deutsche Unternehmen haben Milliarden investiert und sind von China abhängig. BDI-Chef Russwurm fordert nun eine bessere Vorbereitung auf „Extremszenarien“.
DPA
Ähnliche Nachrichten
Rechtsrock-Konzert in Neumünster von Polizei verhindert
Polizei verhindert Rechtsrock-Konzert in Neumünster: Nachdem rund 400 Teilnehmer aufgefordert wurden, das Gelände zu verlassen, griffen einige Rechtsradikale die Einsatzkräfte mit Stühlen und Bierdosen an. Bundespolizisten aus Hamburg rückten an.
14 Bundesländer passen Abschlussprüfungen nochmals an
Fast alle Bundesländern wollen laut einem Bericht die Abschlussprüfungen an den Schulen weiter erleichtern. Grund dafür ist der Unterrichtsausfall während der Pandemie. Hessen hat sich noch nicht entscheiden. Rheinland-Pfalz geht einen anderen Weg.