Das neue Jahr beginnt in Österreich mit der Bildung einer neuen Regierung: Kurz bevor der erste Tag dieses Jahres zu Ende ging, verkündete der konservative Ex-Kanzler Sebastian Kurz gemeinsam mit Werner Kogler, dem Chef der österreichischen Grünen, den „inhaltlichen Durchbruch“ nach mehr als sechs Wochen langen Koalitionsverhandlungen. Es sei gelungen, „das Beste aus beiden Welten zu vereinen“, sagte der Chef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), so dass beide Parteien ihre zentralen Wahlversprechen einhalten könnten: „Es ist möglich, die Steuerlast zu senken und gleichzeitig das Steuersystem zu ökologisieren. Und es ist möglich, das Klima und die Grenzen zu schützen.“ Wie genau das geschehen soll, wollen Kurz und Kogler erst Donnerstag Nachmittag bei der offiziellen Vorstellung des Regierungsprogramms darlegen. Am Samstag muss dann der grüne Bundeskongress sowohl den Koalitionsvertrag als auch die Liste der grünen Regierungsmitglieder absegnen. Mit wem die Parteichefs die ausverhandelten Kompromisse umsetzen wollen, steht jedoch weitgehend fest: Sowohl ÖVP als Grüne haben sich im Hinblick auf die Inhalte bisher sehr zugeknöpft gegeben, dafür aber fast täglich neue Wunschkandidaten für die nächste Regierung vorgestellt oder bestätigt. Frauenanteil in Ministerien so hoch wie noch nie
Nach übereinstimmenden Medienberichten hat sich die ÖVP unter anderem die Ministerien für Finanzen, Inneres, Äußeres, Wirtschaft, Landwirtschaft, Verteidigung, Bildung und Integration gesichert, während die Grünen ein um die Bereiche Umwelt und Energie erweitertes Verkehrsministerium, sowie Justiz, Soziales und Gesundheit bekommen sollen. Die Kandidaten für diese Ministerien gelten inzwischen als so fix, dass österreichische Beobachter bereits mit der statistischen Auswertung der Regierungsriege begonnen haben. Dabei fällt zunächst auf, dass der Frauenanteil so hoch sein wird wie nie zuvor in Österreich – er übertrifft selbst die paritätisch besetzte Beamtenregierung unter der Führung der ehemaligen Höchstrichterin Brigitte Bierlein, die das Land verwaltet, seit Sebastian Kurz nach der Ibiza-Affäre abgewählt wurde. Die ÖVP soll für die Führung von sechs von elf Ministerien Frauen vorgesehen haben, die Grünen für zwei von vier – die erste konservativ-grüne Bundesregierung Österreichs wäre damit auch die erste, in der Frauen die Mehrheit stellen. Die mächtigste dieser acht Ministerinnen dürfte die ehemalige Geschäftsführerin der Umweltschutzorganisation Global 2000, Leonore Gewessler, werden. Die 43-jährige Politikwissenschaftlerin aus der Steiermark soll das riesige Infrastrukturministerium übernehmen – und damit die Basis, von der aus die Grünen ihren Feldzug gegen die Klimakrise starten wollen. Die grüne „Superministerin“, wie sie in Österreich bereits genannt wird, kämpfte als NGO-Chefin gegen Freihandelsabkommen, Atomstrom und große Infrastrukturprojekte, bevor Werner Kogler sie 2019 überredete, für die Grünen zu kandidieren. Vor Global 2000 leitete sie die eng mit den europäischen Grünen verbundene „Green European Foundation“ in Brüssel. Erste politische Erfahrungen sammelte sie auf kommunaler Ebene, im Wiener Bobo-Bezirk Neubau, einer Hochburg der österreichischen Grünen. Die neue Regierung von Sebastian Kurz dürfte aber nicht nur besonders weiblich, sondern auch besonders jung werden. Sechs voraussichtliche Mitglieder des Kabinetts Kurz II sind unter 40, fünf weitere unter 50 Jahren. Die Zweitjüngste im ÖVP-Team nach dem 33 Jahre alten Kurz dürfte die Spitzenbeamtin Susanne Raab werden. Die nur zwei Jahre ältere Oberösterreicherin wurde von der ÖVP als Kanzleramtsministerin für Integration nominiert. Die Kurz-Vertraute gilt sowohl als Hardlinerin als auch als Expertin in diesem Bereich: Die studierte Juristin und Psychologin hat sowohl das österreichische Islamgesetz als auch das Burkaverbot mitgestaltet. Ihre Nominierung gilt einerseits als Signal an Kurz’ rechte Wähler, dass der harte Kurs gegen Migranten fortgesetzt werden soll. Die erstmalige Bildung eines eigenen Integrationsministeriums kann aber auch als symbolische Aufwertung eines Themas verstanden werden, das den Grünen traditionell am Herzen liegt. Versuch eines Neuanfangs
Die ÖVP setzt gleich in mehreren Bereichen auf weitgehend unbekannte Gesichter, was ähnlich wie die hohe Frauenquote als Versuch eines Neuanfangs nach dem Scheitern der Koalition mit der FPÖ interpretiert wird. So soll etwa Juristin Klaudia Tanner erste weibliche Verteidigungsministerin werden und damit eine besonders große Baustelle übernehmen: die Sanierung des finanziell völlig ausgebluteten Bundesheeres. Die 49-Jährige Niederösterreicherin stammt zwar ursprünglich aus dem Bauernbund, war aber schon 2017 für den Job im Gespräch. Sebastian Kurz, der sich gerne als „Rudeltier“ bezeichnet, wird aber auch alte Vertraute, die sich bereits als Minister bewährt haben, in sein Kabinett holen. Als wahrscheinlichster nächster Finanzminister gilt sein früherer Kanzleramtsminister Gernot Blümel, ein gelernter Philosoph. Blümels früheren Job – samt der Zuständigkeit für die Europapolitik – wird die ehemalige Richterin Karolin Edtstadler übernehmen, die derzeit die ÖVP-Delegation im EU-Parlament anführt. Elisabeth Köstinger dürfte wieder Landwirtschaftsministerin werden, Heinz Faßmann wieder Bildungsminister. Österreichs aktueller Außenminister Alexander Schallenberg, der als Mastermind von Kurz’ Europapolitik gilt, wird wohl als einziges Mitglied der Übergangsregierung seinen Job behalten. Für die Grünen werden voraussichtlich noch Alma Zadic und Rudolf Anschober in die Regierung einziehen. Die 35 Jahre alte Juristin Zadic, die Kogler von der grünen Abspaltung Liste Pilz abgeworben hat, soll Justizministerin werden. Der 59-Jährige Grundschullehrer Anschober, der in seiner Heimat Oberösterreich bereits Erfahrung in einer konservativ-grünen Regierung gesammelt hat, ist Werner Koglers Wunschkandidat für das Sozial- und Gesundheitsministerium. Offen ist derzeit aber noch, welche Themenbereiche Kogler selbst übernehmen wird. Kolportiert werden: Beamte und Sport – das Erbe seines Vorgängers Heinz Christian Straches, möglicherweise aber auch die Kultur. Das soll dem ersten grünen Vizekanzler genug Zeit lassen, um die parteiinternen Konflikte zu schlichten, die sich aus der Zusammenarbeit mit der ÖVP ergeben könnten. Ungeklärt ist außerdem, wer in der voraussichtlich weiblichsten Regierung, die Österreich je hatte, die Frauenagenden übernehmen wird. Dafür hat die aktuelle Frauenministerin bereits bekannt gegeben, was sie ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolgerin bei der Amtsübergabe sagen werde: Das Frauenbudget sei seit zehn Jahren nicht mehr erhöht worden – das müsse sich jedenfalls ändern.