„Tiefenökologie“: Völkische Siedler erhalten Aufwind durch Corona-Proteste
Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern nehmen immer häufiger völkische Siedler ländliche Anwesen in Besitz. Die Corona-Proteste dienen ihnen zur Verbreiterung der Basis. So entstehen neuheidnische und ökofaschistische Parallelgesellschaften.
Symbolbild: Am sogenannten Reichstagssturm im August des Vorjahres am Rande einer „Querdenken“-Kundgebung nahmen radikale Öko-Esoteriker, Impfgegner und Corona-Verharmloser zusammen mit Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen teil.  (AFP)

von Reinhard Werner

Jüngst war es das Kulturbüro Sachsen, das vor einem Netzwerk mehrerer Höfe sogenannter völkischer Siedler warnte, die in abwanderungsgeplagten Gemeinden Höfe und Häuser kaufen und sich über die Schaffung wirtschaftlicher Strukturen in weiterer Folge auch politisch in mehreren Regionen etabliert hätten.

Autarke Gemeinschaften mit Einfluss-Ambitionen

Bereits zuvor hatten mehrfach Recherchen auch in anderen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg oder Sachsen-Anhalt ähnliche Tendenzen zutage gefördert. Rechtsextremistische Akteure hätten bereits seit den 1990er Jahren mehrfach Immobilien in dünn besiedelten Gebieten Ostdeutschlands erworben und später dort Bio-Landwirtschaften und Handwerksbetriebe gegründet. Unter anderem waren es in dieser Zeit NPD-Kader wie Steffen Hupka oder der spätere Gründer des „Instituts für Staatspolitik“, Götz Kubitschek, die günstig verfallene Immobilien erwarben, instand setzten, bewirtschafteten oder an Gleichgesinnte vermieteten oder verpachteten.

Sobald das wirtschaftliche Auskommen gesichert sei, so die Beobachtungen, strebten die völkischen Siedlergemeinschaften kulturellen und politischen Einfluss an. Eine groß angelegte Recherche des Portals „LSA rechtsaußen“ aus dem Vorjahr brachte sogar zutage, dass der gesellschaftliche Einfluss von Personen aus dem Umfeld völkischer Selbstversorger-Netzwerke bis hinein ins Schulwesen reicht.

So sollen beispielsweise sowohl im Lehrkörper als auch in der Schülerschaft der Freien Waldorfschule einer Kleinstadt im Harzvorland Personen aus esoterisch-nationalistischen Netzwerken und Wirtschaftsgemeinschaften eine bedeutende Rolle spielen. Auch in Güstrow sollen sich an der dortigen „Freien Schule“ ähnliche Phänomene zeigen. Der Mikrokosmos der „völkischen Siedler“ soll Zahlen aus dem Jahr 2017 zufolge deutschlandweit etwa 1000 Personen umfassen, mittlerweile könnten es schon deutlich mehr sein.

Braune Altkader im grünen Milieu

Dass zwischen radikal ökologischen und rassistischen Ideen durch die Geschichte hindurch immer wieder Wechselwirkungen bestanden, gilt in Deutschland immer noch weitgehend als Tabuthema. Dies könnte damit zu tun haben, dass deutschsprachige Medien, in denen Studien zufolge ein starker Rückhalt für die Partei der Grünen und ökologische Ideen zu verzeichnen ist, deren Gegnern keine Angriffspunkte nennen wollen.

Tatsächlich hatten in der Gründungsphase der Grünen jedoch auch namhafte ehemalige Anhänger und Funktionäre der NSDAP eine Rolle gespielt und zum Teil auch Parteiämter bekleidet. Zu diesen gehörten etwa der frühere Bundestagsabgeordnete Werner Vogel, die Ex-Bundespräsidentschaftskandidatin Luise Rinser oder einflussreiche Personen wie August Haußleiter, Werner Haverbeck oder Herbert Gruhl.

Warnungen vor ökofaschistischem Missbrauch der Klimadebatte

Erst im März dieses Jahres warnten auch die Gründerin der britischen Vereinigung „Black Geographers“, Francisca Rockey, und der internationale Dachverband von „Fridays for Future“ vor rassistischen und ökofaschistischen Tendenzen, die unter dem Banner der „Tiefenökologie“ und in Randbereichen der Klimadebatte Aufwind erführen.

Zwar bekannten sich nur wenige offen zu den Vorstellungen einflussreicher Ökofaschisten wie Garrett Hardin oder Pentti Linkola. Subtil werde vielerorts jedoch die Vorstellung vertreten, dass es erforderlich sei, Migration zu unterbinden und ärmeren Ländern wegen deren höherer Geburtenrate eine strikte Politik der Geburtenkontrolle aufzuerlegen.

Ökofaschismus gehe auf die Vorstellungen des britischen Pfarrers Robert Malthus Anfang des 19. Jahrhunderts zurück und propagiere, dass Menschen den Planeten übervölkerten und dabei manche Populationen ein größeres Problem als andere darstellten. Die Theorien von Malthus, darwinistische Vorstellungen und ein neuheidnischer Naturkult als Gegenbewegung zu Industrialisierung und Verstädterung verliehen insbesondere im Deutschland des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik der völkischen Bewegung eine starke ökologische Komponente.

Die Komponente eines rassischen Überlegenheitsdenkens lässt es für Anhänger völkisch-ökologischer Ideen offenbar auch nicht als Widerspruch erscheinen, selbst kinderreiche Familien zu haben, in Afrika hingegen den Verzicht darauf einzufordern.

„Anastasia-Bewegung“: Impuls aus Russland für völkische Siedler

In Randbereichen der extremen Rechten spielte völkischer Ökologismus auch nach 1945 eine Rolle, obwohl Anthroposophen, Naturheil-, New-Age- oder Ökologiebewegungen in Westdeutschland ihre Heimat eher bei den Grünen fanden. In der extremen Rechten waren es Bestrebungen wie die „Artgemeinschaft“, die „Artamanen“, die Ludendorff-Sekte, die „Deutsche Gildenschaft“ oder die später verbotene „Wiking-Jugend“ und deren Ersatzorganisationen, die den Gedanken autarker Siedlungsgemeinschaften kultivierten, die auf völkisch-rassischer Grundlage funktionieren sollten. Längere Zeit spielten diese jedoch nur eine marginale Rolle.

Im Laufe der 1990er Jahre waren es jedoch neue Impulse, die von Russland aus auch auf völkische und esoterische Kreise in Deutschland wirkten. Die in Zentralrussland entstandene „Anastasia-Bewegung“ ist nach einer zehnteiligen Romanserie des Autors Wladimir Megre benannt. Stand 2020 sollen in Deutschland 800 Anhänger der Sekte in 17 Kommunen leben, die sich die dort skizzierte Lebensweise einer vermeintlich authentischen naturreligiösen Tradition zum Vorbild nahm.

„Querdenker“-Proteste als Vernetzungsplattform

Waren es vor der Coronakrise bundesweite „Anastasia-Festspiele“ oder dezentrale Treffen, die Siedlergemeinschaften wie „Weda Elysa“ zur Rekrutierung neuer Mitglieder oder Interessenten dienten, haben sich seit dem Vorjahr die Proteste gegen die Corona-Politik zu willkommenen Gelegenheiten zur Vernetzung entwickelt.

Die Corona-Proteste entwickelten sich schon bald zum Kristallisationspunkt für Personen und Vereinigungen, die ein starkes Faible für antisemitische Verschwörungstheorien, esoterische Kulte, Impfgegnerschaft und extreme Ausformungen von Naturheilverfahren miteinander teilen. Die Beteiligung von Verschwörungskulten wie QAnon, sogenannten Reichsbürgern, Vertretern von Ansätzen wie „Meridian-Energie-Techniken“ oder „ganzheitliche Medizin und Therapie“, Seite an Seite mit „Identitären“ und Kadern aus dem NPD- oder AfD-Umfeld, schufen neue Formen der Vernetzung.

Es ist definitiv nicht auszuschließen, dass der Gedanke autarker völkischer Siedlungen fernab der Zivilisation auch für Impfgegner und Verschwörungsideologen aus der „Querdenker“-Szene zu einem möglichen Ausweg aus der angeblichen „Corona-Diktatur“ wird.

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